Theater und Leidenschaft: Eine fulminante Adriana Lecouvreur an der Nationaloper Sofia
Mit der Premiere von Francesco Cileas Adriana Lecouvreur setzt die Nationaloper Sofia einen neuen Maßstab in der Auseinandersetzung mit dem spätromantischen Repertoire. Die Produktion, die den bulgarischen Opernlegenden Alexandrina Milcheva und Raina Kabaivanska gewidmet ist, wird zur Hommage an zwei der größten Künstlerinnen des Landes, die das Werk durch ihre unvergleichlichen Interpretationen international geprägt haben. Einzigartig ist, dass das Haus für dieses komplexe Werk nicht weniger als drei vollständige Besetzungen aus dem eigenen Ensemble bereitstellt – ein seltener Kraftakt, der die Vielseitigkeit und das hohe künstlerische Niveau des Ensembles eindrucksvoll demonstriert.
Alexandrina Milcheva. Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Und so begann dieser besondere Premierenabend mit einer großen Überraschung. Generaldirektor Plamen Kartaloff begrüßte sein Publikum und die Jubilarin, die berühmte Mezzosopranistin, Alexandrina Milcheva, die vor wenigen Tagen ihren 90. Geburtstag feierte. Der Vorhang öffnete sich, in einem prachtvollen Goldstuhl saß die gefeierte Sängerin, eingerahmt von Mitgliedern des Balletts. Es gab Lobreden und Ehrungen, u.a. erhielt sie vom bulgarischen Kulturminister Nayden Todorov einen prachtvollen Orden als Würdigung für ihr Lebenswerk. Mit großer Rührung und Tränen in den Augen nahm die große, bescheidene Sängerin die Huldigungen entgegen und bedankte sich ihrerseits mit einer sehr persönlichen Rede, in welcher sie Bezug nahm auf ihre großen Partien, wie z.B. die Amneris, Azucena oder am Ende ihrer Bühnenkarriere die Adelaide in Toulouse. Sie ging ausführlich darauf ein, wie wichtig es für sie war, nicht einfach nur zu singen, sondern mit ganzer Seele und Körper, eine Partie zu gestalten, zu erzählen. Etwas, was sie ihren vielen Schülerinnen und Schülern vermittelte. Obschon sie in ihrer außergewöhnlich langen Karriere auf der ganzen Welt triumphierte, war und ist ihr das liebste Publikum immer in Sofia. Das Publikum und das Opernhaus in Sofia waren ihr stets ganz besonders wichtig. Von ihm erhielt sie nicht nur großen Zuspruch, sondern spürbare Energie für den jeweiligen Abend, um ihren großen Partien gerecht zu werden, und so galt ihr Dank den Anwesenden, die sie lautstark bejubelten.
Francesco Cileas Meisterwerk, uraufgeführt 1902 in Mailand, erzählt die Geschichte der gefeierten Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, die es tatsächlich gab und die in ihrer kurzen Lebenszeit, sie wurde nur 38 Jahre alt, als herausragendste Schauspielerin Frankreichs höchstes Ansehen genoss. Im Spannungsfeld von Liebe, Eifersucht und Intrigen entfaltet sich eine Oper von subtiler Intensität, deren Musik durch eine tief empfundene Melodik und ein fein ausgeleuchtetes Klangkolorit beeindruckt. Die Arien, Duette und Ensembles sind ein Wechselbad der Gefühle, das das Theater als Kunstform feiert und zugleich die Tragik des Lebens auf die Bühne bringt.
Julia Krasteva bleibt mit ihrer klassisch-historischen Regie dem Werk treu und betont die theatralische Dimension der Oper, ohne je ins Oberflächliche zu geraten. Ein sehr begrüßenswerter Ansatz! Ihre Personenregie lässt die Charaktere in ihrer Vielschichtigkeit erstrahlen: Adriana wird als leidenschaftliche und doch verletzliche Künstlerin gezeichnet, Maurizio erscheint zwischen Idealismus und Machtstreben hin- und hergerissen, und die Principessa steht als dunkle Antagonistin mit starker Bühnenpräsenz im Zentrum der Intrigen. Anrührend gelang ihr auch die Charakterisierung von Michonnet, der vielschichtig als selbstloser Liebender gezeigt wurde. Die sorgfältig choreografierten Gruppenszenen verschmelzen auf harmonische Weise mit der Musik und verleihen der Inszenierung Tiefe und Geschlossenheit. Krasteva belässt das Werk dankenswerterweise im historischen Kontext und erzählt doch ganz modern eine zeitlose Geschichte von Liebe, Hingabe und Verrat.
Das herrliche Bühnenbild von Alfredo Troisi taucht die Handlung in eine sehr elegante, prachtvolle Theaterwelt. Marmorsäulen und kunstvoll drapierte Vorhänge schaffen eine Bühne auf der Bühne, die sowohl den Glanz des 18. Jahrhunderts als auch die fragile Atmosphäre des Dramas einfängt. Vesna Radovic’ Kostüme sind äußerst wirkungsvoll und dennoch funktional, sie unterstützen die Charakterisierung der Figuren und tragen zur authentischen historischen Anmutung bei. Emil Dinkovs Lichtregie verstärkt die dramaturgischen Höhepunkte mit subtilen Übergängen von warmem Kerzenschein zu dramatischen Schattenspielen, die die Intensität des Geschehens spürbar machen. Gerade die Lichteffekte sind äußerst gelungen und gehen wunderbar konform mit der vielfarbigen Musik.
Tsvetana Bandalovska (Adriana). Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Tsvetana Bandalovska in der Titelrolle am 29. November begeisterte mit einer facettenreichen Interpretation. Ihre warm gefärbte Sopranstimme vereinte lyrische Zartheit und dramatische Wucht, besonders in ihrer Auftrittsarie, die sie mit einer ergreifenden Natürlichkeit darbot. Mit totaler Rollenidentifikation zeigte sie den Menschen Adriana in all seiner Verletzlichkeit. Spannend, wie instinktsicher sie dann in den Divenmodus wechseln konnte und den deklamatorischen, stimm-dramatischen Anforderungen nichts schuldig blieb. Bandalovska verschwand komplett in ihrer Rolle und gab ihr einen ganz eigenen Anstrich, der wohltuend individuell geriet. Es gab zahlreiche eindrückliche Momente, so z.B. als sie den Duft der vergifteten Blumen roch. Ihre Reaktion, der schockierte Ausdruck auf ihrem expressiven Gesicht wirkte absolut realistisch empfunden, sodass die Zuschauer diesen Moment eindrücklich mitfühlen konnten. Ein beglückendes Debüt dieser wandlungsfähigen, wunderbaren Künstlerin. Zu Recht galten ihr stürmische Ovationen.
Martin Iliev gestaltete Maurizio als vielschichtigen Charakter und glänzte mit seinem baritonalen, kraftvollen Tenor, der in den Liebesszenen mit Adriana eine mitreißende Dramatik entfesselte. Erfreulich war sein Bemühen, seiner Stimme auch lyrische Farben abzutrotzen, sodass die Zuhörer sich auch musikalisch verschiedene Facetten erleben konnten. Eine Freude, ihn stimmlich ausgeruht und souverän zu erleben.
Violeta Radomirska (Principessa de Bouillon), Tsvetana Bandalovska (Adriana). Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Violeta Radomirska brachte als Principessa de Bouillon eine faszinierende Kombination aus stimmlicher Expansion und großer Bühnenpräsenz mit. Ihre Arie „Acerba voluttà“ geriet zu einem dunklen Höhepunkt des Abends. Üppig, ausladend in der Höhe und offensiv in der Tongebung gelang ihr ein packendes Rollenporträt. Sie spielte differenziert und gab ihrer Partie schillernden Ausdruck. Zuweilen erinnerte ihr Gesang an ihre große Lehrerin: Alexandrina Milcheva.
Vesselin Mihaylov war ein prachtvoller Michonnet mit seiner warmen, empathischen Baritonstimme, die den inneren Konflikt seiner Figur äußerst berührend darstellte. Mit edlem Timbre und sicherer Höhe faszinierte er mit einer wissenden Textgestaltung. Seine vielen stimmlichen Schattierungen rückten seine Partie deutlich in den Mittelpunkt.
Auch die Nebenrollen waren mit Sorgfalt besetzt. Biser Georgiev als Prince de Bouillon verlieh der Figur Würde und stimmliche Autorität, während Hrisimir Damyanov als Abbé mit seiner lyrischen Tenorstimme für feine komische Akzente sorgte. Angel Hristov (Quinault) und Krassimir Dinev (Poisson) rundeten die Männerriege mit darstellerischer und stimmlicher Präzision ab.
Die Damen in den kleineren Partien, Silvana Pravcheva (Mlle Jouvenot) und Alexandrina Stoyanova-Andreeva (Mlle Dangeville), brachten mit ihren klaren Stimmen und eleganten Bühnenauftritten zusätzlichen Glanz in die Gruppenszenen.
Schäferspiel. Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Der Chor unter der Leitung von Violeta Dimitrova gefiel durch seine präzise und stimmungsvolle Interpretation, die sowohl in den großen Tableaux als auch in den zurückgenommenen Passagen gut abgestimmt war. Das Ballettensemble unter Lyudmila Ilieva verlieh dem Abend mit anmutigen, stilvollen Tanzszenen eine zusätzliche Ebene des Reichtums. Francesco Rosa führte das Orchester mit souveräner Hand durch die Partitur und ließ die opulente Klangwelt Cileas mit Leichtigkeit und Eleganz aufblühen. Die Sänger begleitete Rosa aufmerksam und gab dem Orchester Freiheit, die Musik empfindsam zu gestalten. Sehr klar arbeitete er ebenso die dynamischen Effekte heraus, ohne dabei die Sänger in Bedrängnis zu bringen. Das Orchester spielte jederzeit geschmeidig und mit feinem Klangsinn.
Am Ende gab es verdienten Jubel für alle. Sofias Opernkompanie zeigte große Opernkunst in herrlichen Bildern, spannenden szenischen Abläufen und in vorzüglicher musikalischer Gestaltung. Ein großartiger Abend!
Francisco Cilea
Adriana Lecouvreur
Besuchte Vorstellung der Neuproduktion an der Nationaloper Sofia am 29.11.2024
Fotos: Copyright by Svetoslav Nikolov-Chapi
Dirk Schauß