SOFIA: „DER RING DES NIBELUNGEN“ – Premiere vom 8.-13. Juli 2023
Ein begeisternder neuer „Ring“ in Sofia!
210 Jahre nach der Geburt und 140 Jahre nach dem Tode Richard Wagners – das war für den General-Direktor der Sofia Oper und Ballett, Prof. Plamen Kartaloff, Mitglied der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, Anlass genug, dem großen Bayreuther Meister zu Ehren das erste Sofia Opera Wagner Festival mit sieben seiner Werke, alle von Kartaloff in Sofia seit 2010 in Szene gesetzt, zu widmen. Kartaloff schreibt ihnen, und das heißt in diesem Falle dem „Ring des Nibelungen“, „Tristan und Isolde“, „Parsifal“ und schließlich dem „Fliegenden Holländer“ „kompositorische Macht“ und nicht enden wollende kosmische Dimensionen“ zu. Mit der Neuinszenierung des „Ring“ in diesem Jahr, der nun im Wagner Festival seine Premiere erlebte, wollte Kartaloff einen weiteren Schritt gehen im Hinblick auf die Geschichte des deutschen Repertoires in Bulgarien, zurückblickend bis auf „Das Rheingold“ 1943, „Die Walküre“ 1948, „Der fliegende Holländer“ 1954, „Lohengrin“ 1979 und „Tannhäuser“ 1986, sowie auf die berühmten Sänger dieser Produktionen. Aber auch im Hinblick auf die Neuinszenierungen der letzten Jahre von „Elektra“ und „Ariadne auf Naxos“ an der Sofia Oper und Ballett.
Und nun ein neuer „Ring“! Kartaloffs Entschluss, schon 13 Jahre nach dem Beginn des ersten bulgarischen „Ring“ in Sofia einen zweiten zu inszenieren, waren nicht nur die beiden runden, zu Beginn erwähnten Daten. Es sollte auch ein Gedenken werden an seinen großen Freund und kongenialen Mitstreiter Richard Trimborn, der große Pädagoge und exzellente Coach der bulgarischen Sänger in der Vorbereitung für den „Ring“ von 2010-13, sowie für „Tristan und Isolde“ und „Parsifal“. Man erinnere sich: Trimborn wurde von Persönlichkeiten wie Wolfgang Sawallisch und Carlos Kleiber zur Mitarbeit engagiert.
Diese Neuinszenierung soll aber auch an den ersten rein bulgarischen „Ring“ auf der Sofioter Bühne von 2010-13 erinnern, der nur mit bulgarischen Opern-Künstlern gestaltet wurde. Er soll wie eine Reise werden in eine phantastische Geschichte über Menschen und Geschehnisse in mythischen Zeiten, im Kontext der Gegenwart ebenso wie er Zukunft, in der Projektion einer Welt, in der sich ständig der Zyklus Geburt – Leben – Tod wiederholt. Die mythologische Zeit könne dabei in eine historische Zeit überführt werden, was das Verhalten und die Beziehungen zwischen Menschen und Gesellschaften betrifft, in ihrem Streben nach Gewinnmaximierung, Macht und Weltherrschaft. Dabei entstünden Konflikte bis hin zu Kriegen (sic!), geboren aus dem Kreislauf von Interessen und Gesetzlosigkeit. So soll der Fokus dieser Neuinszenierung auf einer Welt mit einer kreislaufartig vonstatten gehenden Entwicklung liegen, für die in ihr lebenden Menschen von Geburt bis zum Tod. Die eruptive Macht der Wagnerschen Musik unterstreiche dabei die Imagination durch cinematographische Zeit-Raum-Assoziationen. Alle wesentlichen Formen der Kunst, Philosophie, Dichtung, Theater, Malerei und Bildhauerei seien miteinander verbunden beim Schaffen von Ideen aus der Philosophie der Wagnerschen Kunst. Sie seien auch das Mittel zur Interpretation der neuen Lesart der Tetralogie durch Kartaloff im Hinblick auf die Visualisierung von Wagners Musik in Zeit-Raum-Dimensionen.
Hans Kudlich aus Wien war Kartaloffs offenbar kongenialer Bühnenbildner hinsichtlich dieses Regiekonzepts und baute ihm drei sogenannte Triskels auf die Bühne, die neben dem exotisch anmutenden Walhall und der geometrischen Behausung Hundings die den ganzen „Ring“ beherrschenden Bühnenelemente werden. Die Triskel, die wie halbe Brillen aussehen, präsentieren ein nordisches Symbol in Form von drei radialsymmetrisch angeordneten Kreisbögen, offenen Spiralen oder ineinander verschachtelten Dreiecken, mit denen auch das Rheingold hier gezeigt wird. Mit ihnen will Kartaloff sozusagen die Spirale des Lebens in den vier „Ring“-Teilen zeigen und konstruiert die Folge der Szenen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Aktion. Die Triskel sollen in symmetrischer Balance oder auch separater Aufstellung die „Seele der Handlung“ in enger Beziehung zueinander verkörpern. Und Wagners Charaktere befinden sich in einer Spirale des Lebens-Zyklus, von ihrer Geburt in ihre Welt hinein zu Größe und schließlich zum Tode.
Als nach dem letzten Takt des Feuerzaubers der „Walküre“ Maestro Konstantin Trinks langsam den Taktstock senkte, brach das bulgarische und aus weiten Landen angereiste Publikum in begeisterten Jubel aus. Plamen Kartaloff, hatte, wie schon mit seinem ersten „Ring“, den richtigen Wagner-Nerv getroffen: Das Stück aus der Musik heraus zu inszenieren und damit entlang den Intentionen des Bayreuthers Meisters. Und siehe da! Es passte alles wunderbar zusammen, eine Personenregie – auch aufgrund bereits rollenerfahrener Sänger – von einer solchen Intensität und in völliger Harmonie mit der herrlich aus dem Graben erklingenden Musik, wie sie selbst für Kartaloff, einen intimen Kenner des Wagnerschen Oeuvres, bemerkenswert ist.
„Die Walküre“/ Schwertgewinnung. Foto: Setoslav Nikolov
„Die Walküre“/ „Hojotoho“. Foto: Setoslav Nikolov
Es war emotional mitreißend, wie Martin Iliev als vom Kampf schwer gezeichneter Siegmund, der wie immer einen leicht depressiven Eindruck macht, welcher aber zu der Verliererrolle, die er hier spielt, bestens passt, und Tsvetana Bandalovska als Sieglinde zusammen kommen und wie sie bei der Schwertgewinnung einen klangvollen Schrei der Begeisterung ausstößt. Dieser verfehlte auch im Publikum nicht seine emotionale Wirkung. Dann folgten zwei „Neulinge“ in ihren Rollen im „Ring“ in Sofia, Thomas Hall als Wotan und Gergana Rusekova als Brünnhilde. Sie schlugen ebenfalls großartig ein. Der US-Amerikaner Hall ist ein exzellenter Heldenbariton mit perfekter Stimmführung und der für den „Walküre“-Wotan erforderlichen Tiefe, bei großer Wortdeutlichkeit und bestechender mimischer Gestaltungskraft, sodass er sich perfekt in das ansonsten rein bulgarische Sängerteam einpasste. Er gestaltet den Wotan mir großer mimischer Intensität und stimmlicher Prägnanz bei ausgezeichneter Diktion. Gergana Rusekova kommt auf einem feuerroten lebensgroßen Grane zu ihrem schon eindrucksvoll gesungenen „Hojotoho“ herein, dem sie dann mit einem schön abschattierten farbigen Sopran bei einer fast zu vernachlässigenden Grelle bei einigen Spitzentönen, wo weniger mehr gewesen wäre, eine auch emotional beeindruckende vokale Leistung folgen lässt. Mariana Zvetkova ist eine nachdrückliche, matronenhafte Fricka mit hellem Mezzo. Angel Hristov hat als Hunding stimmlich keinen guten Abend, spielt die Rolle aber überzeugend. Auch das Walküren-Oktett (Ayla Dobreva, Silvia Teneva, Lyubov Metodieva, Ina Kalinova, Elena Mehandyhiyska, Tsveta Sarambelieva, Alexandrina Stoyanova-Andreeva und Vesela Yaneva) war im Sinne des Wagner-Festivals weitgehend festspielreif und im Ensemble vokal so stark auf seinen roten Pferden, die zudem mit einer perfekten Choreografie (Riolina Topalova) bewegt wurden, dass das Publikum zweimal beherzten Szenenapplaus gab – wo erlebt man das sonst?!
Dieses Konzept geht insbesondere mit der herrlichen und stimmungsvollen Lichtregie von Andrej Hajdinjak, die manchmal an die Farben von Marc Chagall – tiefes Blau kontrastiert mit intensivem Rot – oder auch an die Ästhetik eines Wieland Wagner erinnert, dem Multimedia-Design von Ivan Liptchev und auch mit den passend interpretativen Kostümen von Hristiyana Mihaleva-Zorbalieva auf. Immer wieder sind im Hintergrund stumme Szenen der Vorgeschichte zu erleben, eine interessante Idee, die lange Monologe auflockert und besser erklärt. Interessant und ungemein phantasievoll ist diesmal Wotans glänzender Metall-Speer. Seine Spitze gleicht etwas jener des berühmten Empire State Building in New York City…
Das Rheingold/ Finale. Foto: Setoslav Nikolov
Im „Rheingold“, wie es aber auch dem Charakter des Vorabends geschuldet ist, war die Handlungsdichte noch nicht so ausgeprägt wie in der „Walküre“. Gleichwohl können viele Bilder auch hier überzeugen. Insbesondere wirkt Nibelheim spektakulär mit den in einer vertikalen Dreier-Kombination aufgestellten und perfekt beleuchteten Triskeln mit sichtbar geschlagenen und perfekt gestimmten Ambossen. Die Riesen wirken wie Fabelwesen aus einer anderen Zeit – Referenz an einen Ur-Mythos. Stefan Vladimirov singt den Fasolt etwas zu deklamatorisch und unsauber. Sein Bruder Fafner, Petar Buchkov, gestaltet die Partie mit seinem Bass klangvoller. Plamen Dimitrov gelingt eine starke Charakterstudie des Alberich mit nicht immer ganz sauberer Diktion. Daniel Ostretsov ist ein engagierter und sarkastischer Loge mit einem schon heldische Züge aufweisenden Tenor. Nikolay Petrov ist wieder ein altbewährter Wotan, wirkt aber, wenn man Thomas Hall tags drauf erlebt, der ja nach der „Ring“-Dramaturgie etwa 20 Jahre älter sein sollte, hier aber wohl 20 Jahre jünger ist, wie aus der Zeit gefallen, bisweilen auch stimmlich. Krasimir Dinev ist ein sehr guter Mime, mit einem prägnanten Vortrag und starker Persönlichkeit. Svetozar Rangelov singt den Donner etwas unausgewogen, und Hrisimir Damyanov hat für den Froh nicht das nötige Volumen. Silvana Pravcheva ist hingegen eine gute Freia, und Vesela Yaneva kann als Erda mit ihrer ultimativen Warnung an Wotan in einem überaus phantasievollen hell-beigen Abendkleid attraktiv überzeugen.
„Das Rheingold“/ Nibelheim. Foto: Setoslav Nikolov
Unter den drei Rheintöchtern ragt wie fast immer die Mezzosopranistin Alexandrina Stoyanova-Andreeva als Flosshilde heraus, der man auch einmal die Waltraute in der „Götterdämmerung“ anbieten könnte. Stimmlich und insbesondere auch darstellerisch ist Ayla Dobreva eine gute Woglinde und Ina Kalinova eine ebenso gute Wellgunde. Im Terzett machen alle einen wirklich starken stimmlichen Eindruck! Großartig ist, dass Wotan beim Erklingen des Siegfried-Motivs im Finale – als Ausdruck des „großen Gedankens“ – das Schwert (später Nothung) aus dem Boden zieht, wo es Fafner, da es ja nicht aus Gold sondern nur aus wertlosem Eisen ist, liegen gelassen hat. Dieser kurze Moment zeigt wahre Kenner- und Könnerschaft des jeweiligen Regisseurs – man erlebt ihn äußerst selten!
„Siegfried“ – Schwertschmiedung. Copyright: Setoslav Nikolov
„Siegfried“. Copyright: Setoslv Nikolov
Der große Publikumserfolg dieser neuen „Walküre“ erlebte nach dem obligatorischen Tag Pause seine Fortsetzung mit dem „Siegfried“, der hier einmal gar nicht zu der Hängepartie wurde, die er immer wieder mal werden kann, wenn Regisseuren nach der „Walküre“ erstmal nichts mehr einfällt. Gleich zu Beginn sieht man, wie Mime das Baby Siegfried von der sterbenden Sieglinde birgt und der dann immer größer werdende Junge ein paarmal über die Bühne rennt. Es entwickelt sich dann im 1. Aufzug ein unglaublich intensiver Dialog zwischen Siegfried und Mime mit überaus emotionalen Ausbrüchen des ultimativ seine Herkunft erforschenden Jungburschen. Kostadin Andreev ist dabei wieder der stürmische Jung-Siegfried, wie man ihn aus dem 1. „Ring“ kennt, total überzeugend und mitreißend in seinem emotionalen Engagement. Er müsste allerdings weiter an seinem Deutsch und einer besseren Gesangstechnik feilen. Das Material dazu hat er allemal. Dass Krasimir Dinev als Mime bei aller zwergenhaften Behinderung eine starke Persönlichkeit darstellt, macht diesen Diskurs zwischen beiden noch spannender und kraftvoller.
Der dritte in diesem guten Bunde ist der Ungar Krisztián Cser als Wanderer, der mit enormer Ruhe, Souveränität und gar Noblesse die Bühne betritt und erstmals für einige ruhige Momente sorgt, in denen nachhaltig zu weltbewegenden Fragen reflektiert wird, symbolisiert durch eine als riesengroßer Ball gestaltete Weltkugel. Die Wissenswette mit ihrem fatalen Ausgang für Mime wird so zu einem kleinen Kunststück! Csers perfekt geführter Heldenbariton adelt die Figur des Wanderers ungemein, eine optimale Besetzung, die Kartaloff aus Ungarn einlud!
Für den Drachenkampf entschied sich Kudlich für eine relativ traditionelle Option. Man sieht den Drachen kurz hinten durch ein Triskel auftreten und dann abtauchen. Das war mit den gespreizten Halb-Konussen im 1. „Ring“ eindrucksvoller. Petar Buchkov erscheint als Fafner mit seinem für diese Rolle bestens geeigneten Bass etwas zu weit weg und müsste verstärkt werden, zumal er nicht als Riese, wie seit Patrice Chéreau 1976 üblich, nach vorn kommt. Im Kontrast dazu ist Ayla Dobreva mit ihrem schönen lyrischen Sopran wieder als Waldvogel im Hintergrund auf einem Trampolin mit anmutigen Flügelschlägen zu erleben, herrlich poetisch! Zwischendurch liefert sich Plamen Dimitrov als Alberich noch ein skurriles Rendez-vous mit seinem verhassten Bruder Mime, gewissermaßen ein kleines Scherzo im 2. Aufzug des „Siegfried“, und damit im Scherzo des ganzen „Ring“!
„Siegfried“. Copyright: Setoslav Nikolov
Beim Vorspiel des 3. Aufzugs von Maestro Konstantin Trinks meint man die lange Pause, die Wagner im „Ring“ gemacht hat, unmittelbar zu hören – eine solche Intensität und Dramatik ist aus dem Sofioter Graben zu hören, die somit des Wanderers Gemütszustand bestens wiedergibt. Krisztián Cser liefert sich eine heftige Auseinandersetzung mit Vesela Yaneva als Erda, die mit den hier höheren dramatischen Anforderungen der Rolle nicht so gut zurecht kommt wie mit der ruhigen Warnung an Wotan im „Rheingold“. Dennoch wird dieser Dialog zu einem starken Moment des Abends, wobei der Wanderer seine ehemalige Geliebte allerdings etwas zu früh „hinab“ schickt. Nachdem der Dialog zwischen Cser und Andreev mit subtil inszeniertem Humor und Sarkasmus über die Bühne gegangen ist, kann Radostina Nikolaeva, d i e Brünnhilde des Sofioter Ensembles für den „Siegfried“, einmal mehr die ganz Schönheit ihres lyrisch-dramatischen Soprans entfalten und mit ihrem engagierten und ungeduldigen Siegfried ein fulminantes Finale gestalten.
„Götterdämmerung“. Siegfrieds Ermordung. Foto: Setoslav Nikolov
Die Premiere der „Götterdämmerung“ beginnt mit einem überaus mystischen Prolog, in dem die drei Nornen in nächtlichem Blau das Schicksalsseil weben, in jeweils einem der drei Triskel agierend. Ihre in dieser Ästhetik eindrucksvoll gestalteten Kostüme zeigen selbst das Seil, und zwar Schwarz für die Erste, Dunkelgrau für die Zweite und Hellgrau für die Dritte Norn, und alle tragen einen Hut wie Nofretete. Alle hantieren mit erleuchteten Glaskugeln wie in einer Assoziation an Pythia im antiken Orakel von Delphi… Tsveta Sarambelieva als Erste, Ina Kalinova als Zweite und Lyubov Metodieva als Dritte Norn entfalten wohlbedachte und schicksalslastige Aktivitäten und singen dabei auf sehr gutem Niveau. Der Prolog wird so zu einer kraftvollen und spannenden Einführung in diese „Götterdämmerung“.
Im Vorspiel kommt dann eine ganz große auf die Bühne, Yordanka Derilova. Die erstklassige bulgarische Brünnhilde aus Dessau gastiert wie schon im 1. „Ring“ nun auch am 3. Abend der Neuinszenierung in Sofia. Und ihre Leistung, nicht nur stimmlich mit ihrem kräftigen, leuchtenden und alle Höhen mühelos meisternden hochdramatischen Sopran sowie auch mit ihrer einfühlsamen Schauspielkunst lässt sie einmal mehr zum Star des Abends werden, trotz des ebenfalls sehr guten stimmlichen und darstellerischen Auftretens ihres Siegfrieds Martin Iliev. Die beiden sind ein Traumpaar jeder „Götterdämmerung“, er mit seinem gehaltvollen, leicht tiefgründigen Tenor und einer stets etwas depressiven Ausstrahlung, sie als die alles einnehmende, strahlende und mitreißende Brünnhilde, die niemanden unberührt lässt. Das hat sie in Sofia auch schon mit den anderen beiden Brünnhilden gezeigt sowie in Dessau mit der Isolde – als die sie dort im Januar 2024 wieder zu sehen sein wird – der Ortrud, der Kundry und manch anderen Partien ihres Fachs. Ja sogar in diesem Sofia Opera Wagner Festival mit der Cho-Cho-sang in Puccinis „Madama Butterfly“! Mit ihr ist ein echtes „Bühnenvieh“ am Werk, man kann es kaum anders sagen. Mit ihrer darstellerischen Intensität tragen Iliev und Derilova diese „Götterdämmerung“ mit großer Authentizität den ganzen Abend über.
„Götterdämmerung“. Brünnhildes Schlussgesang. Foto: Setoslav Nikolov
Daneben beeindruckt aber auch wieder der noch relativ junge und mit großem Potential auch für internationale Einsätze ausgestattete Atanas Mladenov als Gunther. Die Sieglinde aus der „Walküre“, Tsvetana Bandalovska, ist eine ebenso überzeugende Gutrune, mit starker Persönlichkeit wie Mladenov. Kamelia Kader singt mit ihrem klangvollen Mezzo eine sehr ansprechende Waltraute mit einer einnehmenden Walhall-Erzählung, ein starker emotionaler Moment im Dialog mit Brünnhilde. Plamen Dimitrov beeindruckt in seinem nächtlichen Besuch bei Hagen, der von Petar Buchkov verkörpert wird, der zwar einen guten Bass für diese Partie mitbringt, aber im Hinblick auf deren Komplexität und Herausforderungen stimmlich wie darstellerisch noch etwas Luft nach oben hat.
Die schon bewährten Rheintöchter Ayla Dobreva als Woglinde, Ina Kalinova als Wellgunde und Alexandrina Stoyanova-Andreeva als Flosshilde lassen die Szene mit Siegfried im 3. Aufzug zu einem facettenreichen und unterhaltsamen get together werden, das nicht einer gewissen Erotik entbehrt. Sie nutzen dabei alle – schmeichelnden – Möglichkeiten ihrer schön timbrierten Stimmen und lassen damit das derzeit in Bayreuth zu erlebende Rheintöchter-Terzett weit hinter sich. Der wie immer kompetent von Violeta Dimitrova einstudierte Chor der Sofia Oper und Ballett singt stimmstark und wurde in interessanten Kostümen auch sehr gut choreografiert.
Bühnenbildmäßig bietet diese neue „Götterdämmerung“ neben der Nornen-Szene auch weitere neue und interessante Momente, wobei Kartaloffs Absicht, mit den drei Triskels immer wieder auf den Zyklus Geburt – Leben – Tod anzuspielen, in wesentlichen Momenten offenbar wird und dramaturgisch auch passend wirkt. So erscheint Hagen in der Gibichungen-Szene in einem Triskel mit einer großen respektgebietenden altgermanischen Maske, wie es etwa vom Bayreuther „Ring“ Wieland Wagners 1965 in Erinnerung ist. Das verleiht dieser zentralen Figur auch optisch noch größere Bedeutung. Grane ist mit Siegfried wieder sichtbar als das knallrote Ross, das schon in der „Walküre“ Furore machte. Auf ihm reitet Yordanka Derilova als Brünnhilde am Ende auch in die Flammen.
Auch der Mannenchor ist geschickt in den drei Triskeln angeordnet, womit er optisch noch stärker wirkt. Das alles ist aber keineswegs altmodisch oder antiquiert. Kartaloff findet immer einen ästhetischen Dreh, die szenische Interpretation mit einem gewissen Maß an Phantasie, Abstraktion und bisweilen auch Surrealismus zu garnieren, wobei die Musik Wagners immer seine inszenatorische Leitlinie ist. Dazu hat er auch diesmal wieder ein storyboard entworfen. Deshalb passt in diesem neuen „Ring“ im Sinne des Wagnerschen Gesamtkunstwerk-Gedankens einfach alles zusammen. Und das wird vom Publikum bemerkt und goutiert, auch von jenem, das Wagner gar nicht gut kennt, und es am Ende mit kaum enden wollendem Applaus und standing ovations belohnt.
Konstantin Trinks erweist sich als gute Wahl Kartaloffs für die musikalische Leitung dieses neuen „Ring“. Der international bekannte deutsche Maestro dirigiert mit einem unglaublichen Engagement in einer Intensität, die zu ständigem Kontakt mit allen Musikern führt und sie somit zu großer Motivation anreizt, die das Orchester der Sofia Oper und Ballett an allen vier Abenden auch eindrucksvoll ausstrahlt. Die wichtige musikalische Vorarbeit mit dem Orchester hat der an der Sofia Oper regelmäßig insbesondere im deutschen Fach tätige Dirigent Evan-Alexis Christ geleistet, aufbauend natürlich auf den Ergebnissen, die Richard Trimborn mit den bulgarischen Sängern schon für den 1. „Ring“ erarbeitet hatte. Trinks ist auch nicht eines gewissen Pathos‘ unhold, insbesondere im „Rheingold“ und in der „Götterdämmerung“, was seine künstlerische Nähe zu Wilhelm Furtwängler zu belegen scheint. Das kommt nicht zuletzt positiv und auch zu dieser Produktion passend in den großen Orchestervorspielen wie dem Walkürenritt, dem Vorspiel zum 3. Aufzug „Siegfried“, aber auch im berühmten „Reingold“-Vorspiel zum Ausdruck. Sein Kontakt mit den Sängern war an allen vier Abenden stets intensiv. Angesichts der allgemeinen Begeisterung führte Trinks schon nach der „Walküre“ das gesamte Orchester auf die Bühne, natürlich auch nach der „Götterdämmerung“. In Sofia gibt es eben noch Oper zum Anfassen!
Nun wird die „Walküre“ aus diesem „Ring“ am 1. und 2. Oktober bei den Musikfestspielen Königswinkel im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen, Allgäu gastieren und weitere internationale Gastspiele dieses „Ring“ oder Teile daraus sind sicher zu erwarten. Er kann Wege und Möglichkeiten aufzeigen, wie man Wagner auch heute noch spielen kann, ohne in die bisweilen allzu unergründlichen Tiefen des Wagnerschen Regietheaters abzusteigen…
Klaus Billand