SIENA/ CHIGIANA SUMMER ACADEMY AND FESTIVAL vom 20.8. bis 24.8.2022
Seit der Italienische Komponist Nicola Sani künstlerischer Leiter der Accademia Chigiana in Siena geworden ist, hat sich die Ausrichtung dieser traditionsreichen Institution eindeutig allmählich in Richtung zeitgenössische Musik verändert.
Die Hauptattraktion des unter dem Motto FROM SILENCE stehenden heurigen Sommerfestivals war z.B. der ausführliche LUIGI NONO Schwerpunkt mit den meisten seiner wichtigen Werke.
Diese Konzerte haben wir zwar verpasst (aber man kann bei einem über zwei Monate dauernden Festival nun einmal nicht alle Veranstaltungen verfolgen, wenn man nicht in der Stadt des Palio wohnt), aber wir durften in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung stand, doch einige sehr eindrucksvolle Abende erleben.
Fünf Klaviere in einer Kirche. Foto: Chigiana Summer Academy and Festival
Als erstes gleich das Konzert des Chigiana Keyboard Ensembles und des Chigiana Percussion Ensembles. In der wunderschönen aufgelassenen Kirche von Sant‘Agostino waren nicht weniger als fünf Pianos aufgebaut, was schon ordentlich was hermacht. Das erste Stück war sogleich der Höhepunkt des Abends: „…Schatten…durch unausdenkliche Wälder“ von Georg Friedrich Haas. Man kann es nicht oft genug sagen: Haas ist derzeit der genialste Tonerfinder unter den zeitgenössischen Komponisten und er überrascht und verblüfft und fesselt uns (wie zuletzt in seiner Oper „Bluthaus“ an der Bayrischen Staatsoper) immer wieder aufs Neue.
Morton Feldmans „Five Pianos“ fiel, obwohl durchaus interessant, im direkten Vergleich dazu ziemlich ab, weil man Feldman halt schon sehr lange und sehr gut kennt. Aber immer noch besser als G.Anderson „Bearbeitung“ von Mozarts berühmten „Rondo alla turca“, die eigentlich nur ein Witz war. Was für eine vertane Chance eines Auftragswerks !
Lorenzo Biguzzi / Sologitarre. Foto: Chigiana Summer Academy and Festival
Nicht ganz glücklich stimmte auch der Gitarren-Soloabend von Lorenzo Biguzzi. Zwar war der Ort (der prächtige Salon des prächtigen Palazzo Chigi – der Sitz der Accademia) wunderschön und der Titel – „Voltando silenziosamente pagina (schweigend die Seite umblättern) – so poetisch wie es nur irgendwie geht, und Biguzzi spielte auch ausschließlich Werke der bedeutendsten zeitgenössischen Komponisten (Corghi, Pennisi, Scodanbbio, Bussotti etc.), aber irgendwie klang das alles irgendwie ähnlich, irgendwie klang das alles wie dekonstruierter Flamenco…
Hinzu kam der Tic von modernen Tonschöpfern, die Musiker zu ihnen wesensfremden Tätigkeiten zu zwingen, für die sie nicht ausgebildet sind: wie sprechen, singen oder sogar (wie in diesem Fall) schauspielen. So musste Biguzzi an Ende des Konzerts seine Gitarre auf einen leeren Stuhl in der ersten Reihe legen und mit bewegten Worten von ihr Abschied nehmen, bevor er dann gerührt den Saal verliess…Aua. Peinsam. Fremdschäm.
Ian Fountain und David Garingas. Foto: Chigiana Summer Academy and Festival
Im Gegensatz dazu wird der Abend mit dem lettischen Violoncellisten David Garingas (begleitet von Ian Fountain) aus ausschließlich positiven Gründen in Erinnerung bleiben. Bereits beim Eingangsstück „Spiegel im Spiegel„ von Arvo Pärt fühlte man sich im siebten Himmel. So hoch schwebte man den folgenden Werken von Syl’vestrov, Casella und Komarova zwar nicht
aber die Aufmerksamkeit, das Interesse, die Neugier blieben immer bewahrt.
Der eigentliche Wahnsinn begann aber erst nach dem „offiziellen Teil“ des Konzerts. Der russische Pianist Vladimir Sokolov ist ja dafür bekannt, dass er mindestens 6-7 Zugaben gibt. Das ist Geringas (der Papst Francesco ziemlich ähnlich sieht) eindeutig zu gering …er gibt a c h t !
Nach acht Zugaben. Foto: Chigiana Summer Academy and Festival
Die Wirkung dieses sozusagen „zweiten Konzerts“ am selben Abend lässt sich schwer beschreiben. Es mag daran liegen, dass das alles Geringas‘ Lieblingsstücke waren, dass sie alle kurz waren und er sie wahrscheinlich schon hunderte Male in seinem Leben gespielt hat …aber die Intensität seiner Interpretationen, die schon im „ersten Teil“ eigentlich unüberbietbar erschien, war in dieser „Nachspielzeit“ noch einmal auf ein ganz anderes, fast schon unerträgliches Level gehoben.
Unvergesslich.
Robert Quitta, Siena