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SHOSTAKOVICH/ R. STRAUSS – BALTIC CHAMBER ORCHESTRA; RUBICON CD. Kammersymphonie C-Moll, Metamorphosen – Elegischer Nachhall des Krieges

13.10.2017 | cd

SHOSTAKOVICH/ R. STRAUSS – BALTIC CHAMBER ORCHESTRA; RUBICON CD

Kammersymphonie C-Moll, Metamorphosen – Elegischer Nachhall des Krieges

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Unter dem verheerenden Eindruck anlässlich eines Kurzaufenthalts des weitgehend nach wie vor in Trümmern liegenden Dresden komponierte Shostakovich 1960 sein achtes Streichquartett. Der Anblick der durch Brandbomben verwüsteten Stadt inspirierte Shostakovich zu einem seiner eindringlichsten und persönlichsten Werke. Der Widmung „Zum Gedenken an die Opfer von Faschismus und Krieg“ entspricht eine  musikalische Botschaft, die sich aus Material aus früheren Werken, wie den Symphonien Nr. 1 und 5, der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“, dem ersten Cellokonzert sowie jüdischen Themen aus dem zweiten Klaviertrio, speist. Die autobiographischen werkimmanenten Bezüge werden durch die Verwendung der Tonfolge D, Es, C und H (D. SCHostakovich) noch verstärkt. Der Dirigent Rudolf Barshai hat das Werk mit Zustimmung des Komponisten für Streichorchester als Kammersymphonie Op. 110a eingerichtet.

Das Baltic Chamber Orchestra ist eine exquisite Kammerorchesterformation, die sich aus den besten Streichern der St. Petersburger Philharmoniker rekrutiert. Unter der Leitung des trotz seiner frz. Wurzeln im russischen Repertoire heimischen  Emmanuel Leducq-Barome, Schüler von Mariss Jansons am St. Petersburger Konservatorium, erschüttern und berühren die wie elektrischer Strom surrenden Streicher, die mystischen Schatten im Largo, die hämmernden Rhythmen im zweiten Satz und der bittere Hohn im Allegretto. Die Echos der Gewehrsalven am Ende des Stücks hallen noch lange nach.

Als zweites Stück des neuen Albums hat Emmanuel Leducq-Barome die „Metamorphosen“ vonRichard Strauss gewählt. In diesem im Vergleich zu Shostakovich viel sanfteren Trauerstück beweint der 81 Jahre alte Komponist nicht nur die Zerstörung des Münchner Hoftheaters und des Goethehauses in Weimar, sondern ganz grundsätzlich „den Verlust eines einstmal besseren und erhabeneren Deutschlands – der Nation von Goethe, Beethoven (auf dessen Trauermarsch aus der Erocia Strauss musikalisch immer wieder Bezug nimmt), und Schiller.“ (Matthew Cosgrove) Der Titel dieser „Studie für 23 Solostreicher“, bei der jedem Streicher seine  eigene Melodie zugeordnet ist, variierte vom ursprünglichen Entwurf „Trauer um München“ bis zur Finalversion „Metamorphosen für 23 Solostreicher“ (wie die „Vier letzten Lieder“ oder das „Oboenkonzert“ ohne Opuszahl), die 1946 in Zürich unter Paul Sacher uraufgeführt wurden.

Auch hier erweist sich das Baltic Chamber Orchestra als artikulatorisch eloquentes Ensemble, das die komplexen Strukturen weder in einem Streicherwohlklangteppich nivelliert noch weichspült, sondern wunderbar durchhörbar auffächert. Die langsamen Tempi erlauben ein aktives neugieriges Nachverfolgen des motivischen Materials, ohne dass ein Quentchen an Spannung preisgegeben wird. Die steten kaleidoskopartigen Variationen bewirken beim Hörer zuletzt eine Katharsis, die tröstlich und versöhnlich wirkt. Ein großer Komponist ist hier auf dem Weg zu seinem musikalischen Testament.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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