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SHANGHAI: CHINA SHANGHAI INTERNATIONAL ARTS FESTIVAL

30.11.2014 | Oper

SHANGHAI: CHINA SHANGHAI INTERNATIONAL ARTS FESTIVAL vom 3.-7.11.2014

IMG_3415 Szenenfoto China-Oper“Kylin Pouch and Concert“. Foto: Dr. Klaus Billand

Vom 17. Oktober bis zum 16. November 2014 fand in Shanghai das 16. China Shanghai International Arts Festival statt. Neben einem großen Schwerpunkt mit chinesischer Oper gab es auch viele Gastspiele bedeutender Künstler und Ensembles aus Europa, wie Ballett-Ensembles aus Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Deutschland, Dänemark und Taiwan; Orchester aus Russland (Yuri Temirkanov), Italien (Antonio Pappano), Frankreich (Paavo Järvi), Israel (James Judd); Solokonzerte und Soloabende (u.a. Angela Gheorghiu) und vieles andere mehr. Das Festival hat auf chinesischer Grundlage einen wahrlich internationalen Anspruch. Es wird unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums der Volksrepublik China von der Volksregierung der Stadt Shanghai veranstaltet. Seit seiner Gründung im Jahre 1999 folgt das Festival dem Konzept von Innovation und Entwicklung und wurde nach Angabe des Veranstalters zum Flaggschiff für den Kulturaustausch des Landes und zu einem der einflussreichsten Festivals in der internationalen Kunstszene.

Neben einer Aufführung von Bert Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in einer spannenden und völlig unkonventionellen Inszenierung von Meng Jinghui mit dem National Theatre of China besuchte der Rezensent drei chinesische Opern in verschiedenen Theatern: Die Oper „Feign Madness in Palace“ des Han Opera Theatre in Wuhan im Yifu Theatre; die Oper „The Beauty Diao Chan“ des Gansu Opera House im Shanghai Grand Theatre (hier lief 2010 Wagners „Ring des Nibelungen“ als Kölner Gastspiel), und die Beijing Oper „Kylin Pouch and Concert“ im Shanghai Arts Theatre.

IMG_2956 Schlussapplaus Gansu-Oper „The Beauty Diao Chan“. Foto: Dr. Klaus Billand

Die Geschichten, um die es in diesen Opern geht, und darum geht es in der klassischen chinesischen Oper zumeist, handeln von alten Traditionen, Bräuchen und historischen Figuren, die meist landesweit bekannt und in viele Erzählungen und Überlieferungen eingegangen sind. Es sind aber in gewisser Weise auch Volkserzählungen bzw. -märchen, in denen über die Austragung von Konflikten auf die Bedeutung bestimmter Werte und Verhaltensweisen, aber auch Fehlverhalten hingewiesen wird, wobei auch unterschiedliche Interpretationen möglich sind.

Die Han Oper „Feign Madness in Palace“ geht zurück auf die Qin Dynastie, in der Gao Zhao und Hong Kuang, beide Kanzler und Berater des Kaisers Qin II. waren. Um mehr Macht zu bekommen, schmiedet Gao einen Plot und versucht nach dessen Widerstand Hongs Unterstützung zu bekommen, indem er seine Tochter, Yanrong Zhao, die Hauptdarstellerin des Stücks, Hongs Sohn Fu Kuang heiraten lässt. Als Hong dennoch nicht kooperieren will, lässt Gao dessen „Universal Blade“ (die Universale Klinge) stehlen, die ihm vom früheren Kaiser verliehen worden war, um damit Kaiser Qin II. zu ermorden. Auf Gaos Hinweis, dass Hong den Mord plante, lässt der Kaiser die gesamte Familie von Hong Kuang hinrichten. Gao bietet nun seine Tochter dem Kaiser als Konkubine an und erhält als Anerkennung die „Universale Klinge“… Gaos Tochter Yanrong Zhao wurde von der landesweit als Star verehrten Sängerin Wang Li verkörpert, die mit wahrlich beeindruckender Stimmvielfalt und –Akrobatik in der für die chinesische Oper typischen Tonbildung und eine äußerst grazile Darstellung den psychologischen Prozess vom gehorsamen Mädchen zur rebellischen Frau zeigte. Das Publikum war von ihrer Leistung so begeistert, dass es nach Schluss der Aufführung mit Handys fotografierend zum Bühnenrand eilte und mehrere Zugaben von ihr forderte, die sie auch bereitwillig gab. Auch das kleine chinesische Orchester wurde in den minutenlangen Beifall einbezogen.

Ganz andere Dimensionen hatte die Oper „The Beauty Diao Chan“ des Gansu Opera House im Shanghai Grand Theatre. Auch dieses Stück handelt vom Kampf um die Macht. Das im Jahre 1961 gegründete Gansu Opera House hat sich dem Studium, der Entwicklung und der Darbietung der sog. Dunhuang-Muik verschrieben und damit landesweit große Erfolge erzielt. Die Oper „The Beauty Diao Chan“ ist dabei ein Kernstück des Repertoires und erzählt anhand des mühe- und schmerzvollen Lebens von Diao Chan wie Ehrlichkeit, Freundlichkeit und Schönheit durch eine chaotische und gespaltene Gesellschaft zerstört werden. Die Freundlichkeit und Ernsthaftigkeit der Heldin Diao Chan, ihre Würde und unvergleichbare Schönheit werden in dem Stück besonders gepriesen – das Ende ist fatal. Librettisten waren Weiruo Huang und Tiansheng Li. Regie führte Zongqi Hu. Ganz anders als die beiden anderen Opern ist diese mit einem großen Symphonieorchester ausgestattet, mit Instrumenten europäischer Orchestertradition. Auch das Klangbild erinnert immer wieder an die große europäische Oper, etwa im Sinne der Grand Opera, mit großen Tableaus. Die Chöre spielen, ähnlich wie bei Puccinis „Turandot“, an die man sich des Öfteren auch erinnert fühlt, eine bedeutende Rolle. Das Klangbild ist meist ruhig und ausgewogen, die Betonung liegt eher auf der großen harmonischen Linie. Der 1. Akt wirkte zumal mit der starken Rolle der Chöre fast oratorienhaft. Auch hier spendete das zahlreich erschienene Publikum großen Applaus, aber mit weniger Begeisterung als bei den anderen beiden Opern. Man könnte sagen, dass diese Gattung eher einem chinesischen Musikdrama im großen Stil entspricht und damit vielleicht auch eine gewisse Distanz zum Publikum entstand.

Die Beijing Oper „Kylin Pouch and Concert“ schließlich fand im viel kleineren und damit privater wirkenden Shanghai Arts Theatre statt, und somit auch mit dem kleinen klassischen Orchester der chinesischen Oper an der rechten Bühneseite – und viel mehr Publikumsnähe. Die Aufführung wurde vom National Beijing Opera Theater zum 110-ten Geburtstag von Meister Cheng Yanqiu gegeben. Er ist einer der vier berühmten Dan-Schauspieler und der Begründer des sog. Cheng-Stils. Dieser hat sich mittlerweile durch seine Schüler Li Shiji und Li Qianghua in einen nördlichen und südlichen Stil aufgespalten. Beide arbeiteten an diesem Stück zum ersten Mal zusammen. Die bedeutende Cheng-Stil-Künstlerin Li Haiyan und der Cheng-Stil Künstler Guan Dongtian waren die Stars dieses Abends, in dem es wieder um menschliche Schwächen in der alten chinesischen Gesellschaft ging. Nicht nur diese beiden konnten das Publikum mit ihrem eindringlichen und akzentuierten Gesang sowie differenzierter Mimik und Bewegungskunst begeistern. Sogar Familien mit Kindern waren darunter. Kylin Pouch wurde 1940 vom Schriftsteller Weng Ouhong gegründet, autorisiert von Cheng Yanqui. Inwieweit sich der Cheng-Stil von anderen Stilarten der chinesischen Oper unterscheidet, wird sich dem westlichen Besucher, der zudem auf keine längeren Erläuterungen in Englisch in den Programmheften hoffen darf, wohl niemals erschließen…

Klaus Billand, (Übersetzung chinesischer Programmhinweise: Jianan Bi)

 

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