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SERGEY RACHMANINOV: DIE GLOCKE, SYMPHONISCHE TÄNZE, Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; BR Klassik live CD

08.01.2018 | cd

 SERGEY RACHMANINOV: DIE GLOCKE, SYMPHONISCHE TÄNZE, Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks; BR Klassik live CD

Mariss Jansons zum 75. Geburtstag am 14. Jänner 2018

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Beeindruckende Raritäten von Rachmaninov, der sie auch als seine besten Werke sah. Mariss Jansons hat die monumentalen „Glocken“ op. 35 nach einem Gedicht von Edgar Allan Poe für Solostimmen, Chor und Orchester von 1913, sowie die drei Symphonischen Tänze op. 45 aus dem Jahr 1940 – das letzte vollendete Werk des 1943 in Beverly Hills verstorbenen Komponisten im Herkulessaal in München im Jänner 2016 sowie im Jänner 2017 dirigiert. Eindringliche musikalische Plädoyers für einen noch immer zu Unrecht als parfümiert verschrieenen Komponisten.

 

Das dunkel kupfern bis silbern klingende Glockengeläute ist untrennbar mit den goldbehaubten Zwiebeltürmen der orthodoxen Kathedralen verbunden – auf Rachmaninov dürfte dieses feierlich-mystische Erinnerungsrufen seit Kindesbeinen an einen immensen Eindruck hinterlassen haben. Im Gedicht werden die Klänge von Schlitten-, Hochzeits-, Feuer- und Totenglocken beschworen. Diese Glocken symbolisieren in Sergey Rachmaninovs Chorsymphonie die vier schicksalshaften Lebensphasen: die unbeschwerte rauschhafte Jugendzeit, die Partnersuche samt Hochzeit, die grausame Lebensrealität samt Lebenskämpfen und hilflosem Protest gegenüber Unglück, Elend und Katastrophen  sowie den Tod. Das Stück unter Mitwirkung von Sopran (Tatiana Pavlovskaya), Tenor (Oleg Dolgov) und Bariton (Alexey Markov) basiert auf dem gleichnamigen Gedicht Edgar Allan Poes in einer freien russischen Übersetzung von Konstantin Balmont. Die symphonische Dichtung weist symbolistische und futuristische Elemente auf, der dritte Satz scheint den ersten Weltkrieg ahnend vorwegzunehmen.

 

Die märchenhaften Symphonischen Tänze für großes Orchester entstanden 1940 auf Long Island. Der erste Satz zitiert aus der ersten Symphonie, der zweite dokumentiert klingend die Jahre zwischen der Jahrhundertwende und der Russischen Revolution, der dritte koppelt das „Dies irae“ mit dem byzantinischen Abendlob „Gesegnet sei der Herr.“ Diese mit „Alleluja“ betitelte Sequenz trägt auch den Sieg über das Jüngste Gericht davon. „Ich danke dir, Gott“ steht programmatisch unter der abgeschlossenen Orchesterpartitur. 

 

Mariss Jansons mag wohl als idealer Deuter und Seher dieser Musik gelten. Der wahre Grandseigneur unter den heutigen Dirigenten verfügt über eine Eleganz der Interpretation und eine aristokratische Aura, wie sie früher etwa Carlo Maria Giulini auszeichneten. Mariss Jansons Musizieren nimmt unmittelbar durch eine von innen leuchtenden Glut und eine existenzielle Notwendigkeit gefangen. Man muss nicht mit jedem Detail seiner Sicht einverstanden sein, aber die Ehrlichkeit und Demut mit und vor der Partitur wird diesem großen Künstler niemand absprechen können. Wir wollen ganz herzlich zum kommenden Geburtstag gratulieren und uns in Dankbarkeit neigen. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, eines der vier deutschen Spitzenorchester, beschert beginnend mit den silbernen Streichern über das dunkle Holz und das brillante Blech einen instrumentalen Rausch sondergleichen. Wie so oft bei diesem Komponisten mischen sich orientalisch inspirierte Klänge in die schäumenden Orchesterwogen. Nicht zu überhören ist, dass Rachmaninov bei diesem Werk auf eine schon 1915 begonnene Ballettpartitur zurückgriff. Für Raritätensammler und Freunde höchster Orchesterkultur!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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