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SERGEI LYAPUNOV: 12 Études d‘exécution transcendante Op. 11, Etsuko Hirose Klavier, MIRARE CD

19.05.2018 | cd

SERGEI LYAPUNOV: 12 Études d‘exécution transcendante Op. 11, Etsuko Hirose Klavier, MIRARE CD

Einer der beeindruckendsten, technisch anspruchsvollsten und klangmächtigsten Klavierzyklen des hierzulande wenig bekannten Komponisten Sergei Lyapunov liegt nun in einer bemerkenswerten Einspielung vor. Stilistisch knüpft Lyapunov an den von ihm bewunderten Franz Liszt und Mili Balakirev (einer aus dem „Häuflein der fünf“) an. Einflüsse frz. Impressionisten sind ebenfalls auszumachen. Der hochromantische, mit Liszts berühmten Etüden nicht nur den Namen, sondern auch die visionäre Gestik teilende Zyklus von ebenfalls zwölf Etüden entstand in den Jahren 1897 bis 1905. Jedem einzelnen Teil ist ein Name, also ein Programm zugeordnet, das Inhalt und Anspruch zugleich beschreibt. Die letzte der Etüden ist mit „Elegie zum Andenken an Franz Liszt“ betitelt und dezidiert als Hommage an und Porträt seines großen Vorbildes geschrieben. Lyapunov geht so weit, dass er genau die bei Liszt fehlenden Tonarten verwendet, um eine Ergänzung der Liszt‘schen Etüden zu schaffen und den Quintenzirkel der in parallelen Dur- und Molltonarten gehaltenen Etüden zu verdoppeln. Das im philosophischen Sinn sklavische im Fahrwasser eines kompositorischen Übervaters Gleiten ist wahrscheinlich die Crux, warum der Zyklus weniger Beachtung findet, als er verdient. Die musikalische „Sprache“, ihr Duktus und erfühlter Kern ist nämlich nichts weniger als genuin russisch.

Dieses große pianistische Showstück ist derzeit selten auf den Konzertpodien anzutreffen, wurde aber von Größen wie Ferruccio Busoni oder Vladimir Horowitz gerne und oft aufgeführt. Das geht aber auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurück.

Die Diskographie ist mager, im Katalog finden sich lediglich eine technisch unbrauchbare Aufnahme aus dem Jahr 1949 mit Louis Kentner, die bisher klassische aus 1990 mit Konstantin Scherbakov (Marco Polo), eine Version von Malcolm Binns sowie eine junge Interpretation von Vincenzo Maltempo (Piano Classics 2016). Florian Noack ist bei seiner geplanten Gesamtaufnahme aller Klavierwerke Lyapunovs noch nicht bei den Etüden angelangt. Als umso willkommener darf die neue Einspielung der japanischen Pianistin Etsuko Hirose begrüßt werden. Nach einem etwas zaghaften Beginn mit zuviel Pedal beim Wiegenlied legt sie so richtig los und lässt Geister ihr Unwesen treiben, Glocken läuten, von Sommernächten träumen, äolische Harfen singen, Sylphen tanzen und gewaltige Stürme vom Zaum brechen. Der Hörer wundert sich etwa beim „Sturm“, dass überhaupt irgend jemand imstande ist, diese vertrackte Musik voller Drama und aberwitziger Virtuosität zu spielen. In der Hitze des Gefechts klingt das schon einmal griffig und wild, der Siedegrad der Musik kommt jedoch perfekt zur Geltung. Die atemberaubende Mechanik des Spiels, das technisch Grenzwertige sind bei Etsuko Hirose gut nachvollziehbar. Was Vladimir Horowitz allerdings zu ihrem Spiel gesagt hätte, steht in den Sternen. Das neue Album ist jedenfalls eine Bereicherung der Diskographie des in jüngster Zeit wieder mehr Beachtung findenden Komponisten.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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