Alexandra Lubchansky, Jordan Shanahan. Copyright: Sommeroper Selzach
SELZACH/ Schweiz/ Sommeroper: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER. Premiere am 2.8.2018
Den lokalen Erzählungen nach soll der Uhrenfabrikant Adolf Schläfli in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts auf einer Reise einen Deutschen kennen gelernt haben, der ihm von den Passionsspielen in Oberammergau erzählte und das Interesse des Schweizers dafür weckte. Der Deutsche, so wird erzählt, soll Richard Wagner gewesen sein. Schläfli besuchte also den Passionsspielort und war so beeindruckt, dass er so etwas auch bei sich zu Hause haben wollte. In seinem Heimatort Selzach, eine Gemeinde am Jurasüdfuß mit heute etwa 4400 Einwohnern, ließe er ein bis heute existierendes Passionsspielhaus errichten, das 1995 eingeweiht und erstmals bespielt worden ist. Passionsspiele gab es hier durch lange Jahre mit wechselndem Erfolg; die letzte Produktion, „Passion 72“ endete im finanziellen Desaster.
Mit der Premiere von Mozarts „Zauberflöte“ begann am 12.August 1989 eine neue Ära im unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Passionsspielhaus – die als Spielort für Opern. Und aus dem damaligen Team ist der Bühnenbildner Oskar Fluri noch immer dabei. Heuer, im 30.Jahr der Sommeroper Selzach, hat man Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ als Jubiläumsproduktion ausgewählt und erinnert damit gleichzeitig an den indirekten Vater der Spielstätte. Und um es gleich zu sagen, das Risiko, dass die Verantwortlichen mit der Produktion dieses Orchester und Chor gleichermaßen fordernden Werkes eingegangen sind, hat sich gelohnt. Das nicht durchwegs opernaffine Publikum feierte die gestrige, 2.August, Premiere lautstark und mit standing ovations. Berechtigt.
Regisseur Dieter Kaegi, im Brotberuf Intendant des TOBS (Theater Orchester Biel Solothurn), ließ sich von Oskar Fluri ein Bühnenbild bauen, wie es passender kaum sein könnte: Dalands Schiff samt der über eine Leiter erreichbaren Steuerbrücke – ein alter Kahn; das Holländerschiff – Bug (1.Akt) und Heck eines phantasievollen Seglers; eine an die Zeit der frühen Textilindustrie erinnernde Spinnstube im 2.Akt. Das plakative letzte Bild, vor einem stilisierten Segelmast, wie man ihn in vielen Häfen sieht, liegt ein von einer trauernden Gemeinde im Andenken an Senta hingelegter Kranz, hätte sich der Regisseur allerdings sparen können. Auch die dieses Bild ergänzenden Kostüme entspringen dem Ideenreichtum Fluris. Sehr gut die Viedeoprojetionen für das Meer und die Lichtgestaltung (Sigi Salke)
Für die musikalische Umsetzung konnten die Produktionsleitung (Pia Bürki und René Gehri) und die künstlerische Betriebsleitung (Thomas Dietrich) Constantin Trinks als Dirigent gewinnen. Der renommierte Dirigent verschmolz die aus unterschiedlichen Orchestern zusammen gekommen Musiker zu einem einheitlichen Klangkörper, als ob die Damen und Herren schon immer gemeinsam Wagner musiziert hätten. Dass die gute Akustik des Hauses die einzelnen Orchesterstimmen unterstützt, ist gleichsam das Tüpfchen auf dem i des musikalischen Genusses. Mehr als hörenswert auch der von Valentin Vassilev hervorragend einstudierte Chor, erstmals unterstützt von Chorsängern aus Basel, Bern, Berlin und der Wiener Volksoper.
In der Titelpartie glänzt Jordan Shanahan mit Ausstrahlung und Stimme. Der auch als Posaunist ausgebildete Sänger verfügt über jenes Charisma, das der langjährige Opernbesucher bei jungen Künstlern heute so oft schmerzlich vermisst. Schon bei den ersten Tönen wird der Gast aus Wien von der ausdrucksstarken gut geführten Stimme in Bann gezogen; ein erster Eindruck, der sich im Laufe des Abends festigt und bestätigt. Diesen jungen Mann sollte sich der eine oder andere Stimmenscout anhören und auf seine Beobachtungsliste setzen. Alexandra Lubchansky debutiert durchaus erfolgreich als Senta; leichte Tonunsicherheiten in der Höhe sind vermutlich der Premierennervosität geschuldet. Pavel Daniluk, seit vielen Jahren am Opernhaus Zürich engagiert, hinterlässt als Daland einen zwiespältigen Eindruck. Klingt er im ersten Akt eher nach Sprechgesang, bietet er nach der Pause einen durchaus hörenswerten Vater. Sehr gut die zum Stammensemble gehörende Astrid-Frederique Pfarrer als Mary; mit leichter Stimme und deutlichem Tremolo singt Konstantin Nazlamov den Steuermann. Leider nicht seinen besten Abend hatte in der Premiere Ladislav Elgr als Erik; mag sein, dass ihm die Sichtweise des Regisseurs – Erik ist hier weniger Jäger denn kleinbürgerlicher Beamter – nicht wirklich behagte oder das aktuelle Wetter der Stimme nicht gut tat.
Copyright: Sommeroper Selzach
Diese dreizehnte Produktion der Sommeroper Selzach ist die vielleicht aufwändigste bisher. Und wenn man bedenkt, dass Bühnenbild, die Kostüme und Technik in der Freizeit von Freiwilligen geschaffen und betreut werden, steht der Erfolg dieses „Holländer“ auf einer noch höheren Stufe. Manch ein nicht nur heimisches Festival könnte sich die erlebte und gehörte Qualität als Vorbild nehmen.
Michael Koling