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SELZACH/Schweiz/ Sommeroper: CARMEN. Eine Kooperation mit dem Theater Orchester Solothurn. Wow! War das ein Abend…

03.08.2024 | Oper international

Georges Bizet: Carmen • Sommeroper Selzach • Premiere: 02.08.2024

Eine Kooperation mit dem Theater Orchester Solothurn

Wow! War das ein Abend…

Als 16. Produktion zeigt die Sommeroper Selzach Bizets «Carmen» im Passionsspielhaus. Maria Riccarda Wesseling zeigt, dass sich Bizets Opus ultimum sehr wohl klassisch und mit Köpfchen inszenieren lässt. In szenischer Hinsicht hat die Produktion Referenzcharakter.

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Graphics Poster Annual, New York: Platin Award 2025 für das Plakat «Carmen» , Sommeroper Selzach.

Maria Riccarda Wesseling gehört zu jener kleinen gruppe Regisseure, die sich intensiv mit dem Stück und der Vorlage auseinandersetzen und dann das Stück und nicht ihr Ego auf die Bühnen bringen. Wesseling arbeitet den Femizid, um den sich die Oper dreht, klar heraus. Und dabei gelingen ihr Momente, die dadurch überzeugen, dass sie in klassischem Gewande neue Denkanstösse bringen (Ausstattung: Oskar Fluri). So sitzen während des ganzen ersten Akts neben dem Wachlokal drei ältere Damen und drei ebensolche Herren, die das Treiben beobachten. In der kurzen Pause beginnen sie dann plötzlich Flamenco zu tanzen bis der Schatten Carmens übernimmt (virtuos: LaDina Bucher). Mit dem Wechsel zum 2. Bild beginnt dann langsam die Reduktion des Bühnenbilds hin zu flächigen Formen in hartem, andalusischem Weiss. Aus dem sprudelnden Brunnen ist ein Orangebaum (Lebens-Lust-Baum, der gleichzeitig blüht und Früchte trägt)geworden, in dessen Schatten Lilas Pastia seine Schenke betreibt. Die wunderschönen Kacheln sind verschwunden, die architektonischen Formen werden einfacher. Die Leidenschaft brennt weiter, und wenn Carmen auf dem Tisch tanzt, werden die etwas längeren Zürcher Habitués an die Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle und die legendäre Agnes Baltsa erinnert. Im dritten Akt fehlt die klassischerweise leere Bühne mit Halbmond und mittigem Haufen von Schmugglergut: der Akt spielt in einer Scheune, in der das wichtigste Schmuggelgut, der Tabak, getrocknet wird, und trotz staatlichem Monopol auf den Tabak Teile ebendieses regelmässig verschwinden. Durch den Himmel von Tabakblättern ist im Hintergrund die Landschaft zu erkennen. Der vierte Akt spielt am Eingang zu Stierkampfarena. Carmen und Escamillo haben die Nacht im Etablissement gleich daneben und zeigen sich nach dem Aufstehen in vertrauter Art und Weise auf dem Balkon. Während Escamillo zum Stierkampf eilt und das Publikum ihm zujubelt (nun wird klar, wozu die zwei grossen Treppen dienen: entsprechen aufgestellt illustrieren sie den Beginn der Ränge mit den Zuschauern) ereignet sich dann auf diesem kleinen Raum im Durchgang der Femizid. Sigi Salke und Kai Pflüger setzen das Geschehen ins richtige Licht.

Was Oskar Fluri und das Team des Bühnenbilds in sagenhaften über 7000 Arbeitsstunden geleistet haben, ist schlicht atemberaubend! Nach dieser Ausstattung kann sich jedes Haus nur die Finger lecken! Ein ganz, ganz grosses Kompliment!

Mit sichtbarer Motivation agiert in dieser singulären Ausstattung die Statisterie der Sommeroper Selzach.

Valentin Vassilev hat den Chor der Sommeroper Selzach und Kinderchor der Sommeroper Selzach perfekt vorbereitet. Die Stimmen harmonieren bestens, die Textverständlichkeit ist tadellos.

Lobenswerterweise wird in Selzach die Dialogfassung gespielt. Mit nur wenigen, kaum auffallenden Strichen und ohne regietheaterliche Verstümmelungen. Kaspar Zehnder am Pult des Orchesters der Sommeroper Selzach findet den idealen Ausgleich zwischen Dramatik und Singspiel. Das Orchester spielt hochkonzentriert und voller Leidenschaft. Der Klang ist, unterstützt durch die Akustik des Holzbaus wunderbar rund und satt.

Deborah Saffery überzeugt als Carmen mit wunderbar rundem, vollen Mezzosopran und wohldosierte Leidenschaft bei intensivem Spiel beschert ihr die gebührende Bühnenpräsenz. James Kryshak ist ihr als Don José quasi ebenbürtig. Die Stimme ist über weite Strecken eine herrlicher junger Heldentenor und büsst nur in den mit Falsett gesungenen exponierten Höhen etwas an Volumen an. Marcel Brunner nennt einen für die Rolle des Escamillo ideal geeigneten Bassbariton sein eigen. Mit kernig, dunkler Substanz und grosser Farbpalette gestaltet einen Torero, wie man ihn sich vorstellt. Marion Grange feiert als Micaëla einen grossen Erfolg. Ihre Micaëla ist kein Mädchen mehr, sondern eine junge Frau und so wirkt ihr voller, wunderbar runder, absolut höhensicherer Sopran in Kombination mit der grossen Farbpalette der Stimme wie ihre Emotionen glaubwürdiger als es häufig der Fall ist. Grosses Kompliment! Stefanie Frei als Frasquita und Astrid Pfarrer als Mercédès harmonieren stimmlich tadellos und überzeugen mit quicklebendigem Spiel. Das superbe, zu Recht heftig vom Publikum gefeierte Ensemble ergänzen Jasper Leever als Zuniga, Iyad Dwaier als Moralès, Wolfgang Resch als Dancaïro und Konstantin Nazlamov als Remendado

Selzach – Der Place to be dieses Sommers!

Weitere Aufführungen:

Mi., 07. Aug., 19:00; Fr., 09. Aug., 19:00; So., 11. Aug., 17:00; Di., 13. Aug., 19:00; Do., 15. Aug., 19:00; Sa., 17. Aug., 19:00; So., 18. Aug., 17:00.

05.08.2024, Jan Krobot/Zürich

 

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