Scott Hendricks: „Den Rigoletto zu singen ist wie Marathon zu laufen“
Der amerikanische Bariton Scott Hendricks ist einer der vielseitigsten Sänger unserer Tage. Dieses Jahr kehrte er nach zwei Titelrollen in Uraufführungen – Mark Greys „Frankenstein“ am La Monnaie in Brüssel und Moritz Eggerts „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ an der Komischen Oper Berlin als Rigoletto an die Bregenzer Festspiele zurück. Ein Gespräch unter anderem über Verdis Hofnarren, breitgefächertes Repertoire und zeitgenössisches Musiktheater.
Scott Hendricks. Foto: Simon van Rompay
Ihre erste Begegnung mit Rigoletto: War das eine Aufführung, oder eine Aufnahme, die Sie gehört haben?
Scott Hendricks: Meine erste Begegnung mit Rigoletto war mein Rollendebüt an der Houston Grand Opera im Frühjahr 2009. Bis dahin hatte ich keine Aufführung des Stücks gesehen. Ich konnte diesen wunderbaren Charakter also ohne irgendwelche Voreinstellungen kreieren. Lindy Hume, unsere fantastische Regisseurin damals, gab mir die Freiheit, mir den Charakter ganz anzueignen und ich werde ihr dafür ewig dankbar sein. Patrick Summers, ein von mir sehr geschätzter Dirigent, unterstützte mich ebenfalls sehr und so konnte ich dieses Rollendebüt damals wirklich unter idealen Bedingungen geben.
Rigoletto ist eine riesige Partie, die eine Karriere prägen kann. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Schwierigkeiten, stimmlich und darstellerisch? Und wie hat sich die Rolle über die Jahre entwickelt?
Scott Hendricks: Nun ja, wenn sie diese Frage zehn verschiedenen Sängern stellen, werden sie zehn verschiedene Antworten bekommen. Für mich ist die größte Herausforderung, diszipliniert zu bleiben, sowohl musikalisch als auch darstellerisch. Die Rolle ist ziemlich lang, die Tessitura ziemlich hoch und der Charakter ist herzzerreißend. Den Rigoletto zu singen, ist wie Marathon zu laufen, keinen Sprint, und man muss die Gezeiten des Stücks verstehen. Rigoletto ist eine Monsterrolle, im wunderbarsten Sinne.
Was ist der Unterschied zu den anderen Verdirollen, die Sie gesungen haben?
Scott Hendricks: Jede Rolle ist auf eine eigene Art anders, und bietet andere Herausforderungen. Wie ich schon vorhin erwähnt habe gleicht den Rigoletto einem Marathon. Das Wichtigste ist, sich seine Kräfte gut einzuteilen.
Sie haben schon oft bei den Bregenzer Festspielen gesungen. Was sind die Freuden, was die Herausforderungen, auf so einer großen und außergewöhnlichen Bühne aufzutreten?
Scott Hendricks: Für mich überwiegt nur die Freude. Ich liebe einfach alles daran. Ich liebe es, im Wind und Regen zu singen, mit den Spinnen und Stechmücken… Ich liebe den Bodensee, den Abendhimmel, die 7.000 Menschen fassende Zuschauertribüne. Alles ist größer als das Leben, und es kann einen erst einmal einschüchtern. Die Seebühne ist eine Art Spielplatz für mich, und ich liebe dieses Theater.
Ihr Repertoire ist breit gefächert mir einem ungewöhnlichen Schwerpunkt auf moderner und zeitgenössischer Musik. Wie vereinbaren Sie die Technik, die man für Opern des 19. Jahrhunderts braucht mit der für zeitgenössische Werke, falls es da technisch überhaupt andere Herangehensweisen gibt?
Scott Hendricks: Ich denke nicht, dass man verschiedene Techniken benötigt. Ich singe alles mit meiner Stimme. Dabei arbeite ich nach wie vor mit einem Lehrer und lasse mehrmals im Jahr alles abchecken, und so fühle ich mich für alle Projekte sehr gut vorbereitet. Außerdem versuche ich, mich immer so gut wie möglich auszuruhen. Sich die Zeit zu nehmen, sich zu erholen ist sehr wichtig.
Scott Hendricks. Foto: Simon van Rompay
Abgesehen von Rigoletto, was sind Ihre Lieblingsrollen des Standardrepertoires und warum?
Scott Hendricks: Die beiden Rollen, an die ich sofort dachte, als ich diese Frage gelesen habe sind Iago und Posa. Iago ist vielleicht der größte Bösewicht von allen, und ich liebe es, diesen „bad boy“ zu ergründen. Er ist gerissen, klug, ein Meister der Manipulation, intrigant und beobachtet stets alle Geschehnisse. Es macht großen Spaß, ihn zu singen und ich kann es kaum erwarten, ihn wieder auf der Bühne darzustellen. Posa ist mein liebster „good guy“. Er ist loyal, ehrgeizig, hat einen unglaublichen Charakter, kämpft für die Unterdrückten und opfert sich für eine große Sache. Er ist wirklich ein toller Typ.
Ein paar Worte über die beiden Titelrollen und Opern, die Sie dieses Jahr uraufgeführt haben, Frankenstein am La Monnaie in Brüssel und M an der Komischen Oper Berlin.
Scott Hendricks: Frankenstein war ein Projekt, das mir sehr nah und wichtig war, eine Herzensangelegenheit. Das Stück wurde von einem guten Freund (Mark Grey) geschrieben und von einem anderen guten Freund (Bassem Akiki) dirigiert und außerdem von einem Regieteam, das ich schon immer verehrt habe (Alex Ollé mit La fura dels Baus) in Szene gesetzt. Und wir führten es in einem meiner Lieblingstheater, dem La Monnaie de Munt auf. Der unglaubliche und unschlagbare Peter de Caluwe glaubte von Anfang an an das Projekt. Jede einzelne Person, die Teil der Produktion war brachte etwas Wunderbares mit, und wir wurden alle zu einer großen Familie. Ich vermisse sie alle sehr.
M war eine fantastische Erfahrung. Es ist nicht alltäglich, eine One-man-show mit über 100 Kindern auf die Bühne zu stellen, und diese Kinder waren einfach toll! Der Komponist Moritz Eggert unterstützte mich über den ganzen Prozess hinweg sehr, und ich liebe die Komische Oper. Dort hat man mich gleich als Teil des Theaters aufgenommen. Der Regisseur, Barrie Kosky ist mein Theaterbruder. Wir sind einfach jedes Mal, wenn wir zusammenarbeiten auf einer Wellenlänge und lesen ständig jeweils die Gedanken des anderen. Das war ein großer Spaß und das erste Mal, dass ich in Berlin gearbeitet habe, und ich habe mich komplett in diese Stadt verliebt.
Danke für das Gespräch!
Isolde Cupak am 15.8.2019