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SCHWERIN/ Schlossfestspiele. TOSCA – Open Air

27.07.2018 | Oper

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Schwerin/Schlossfestspiele: „TOSCA“ – OPEN AIR 26. 7. 2018

Jedes Jahr wird vom Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin eine große Oper oder Operette mit neu gestalteter Bühne eigens für die Schlossfestspiele inszeniert, um inmitten des ehemaligen Residenzensembles „auf dem Alten Garten“ zwischen Theater, Museum und dem, mitten im großen Schweriner See gelegenen, im Renaissancestil erbauten, und nach dem Vorbild der Schlösser der Loire „verfeinerten“, prunkvollen „Märchen“-Schloss, eine besondere Atmosphäre zu zaubern, die Besucher aus nah und fern anzieht. Die Bühne wird jedes Jahr anders und immer wieder mit neuen Ideen gestaltet und in dieses Ensemble geschickt eingebunden.

Es mag gewagt erscheinen, dass dafür in diesem Jahr „Tosca“, der italienische Opernklassiker um Liebe, Eifersucht, Macht und Intrigen von Giacomo Puccini ausgewählt wurde, aber die Inszenierung von Toni Burkhardt ist beeindruckend und eine neue Farbe in der Palette der Inszenierungen (Premiere: 22.06.2018).

Mit einem riesigen, durchsichtigen („leeren“) Kreuz, das den Durchblick in die Landschaft mit einbezieht und von einer „Draht-Kathedrale“ als Gerüst aus Stahlstäben umgeben ist, wird die Handlung aus dem 19. Jh. in eine unbestimmte, zukunftsträchtige Zeit verlegt, zu der jedoch leider die biederen Kostüme von Adriana Mortelliti, insbesondere die der Tosca, die in Anlehnung an die 30er Jahre des 20. Jh. (warum eigentlich gerade diese Zeit?) nicht so recht passen wollten und die grandiose Wirkung des hochstrebenden Bühnenbildes von Wolfgang Kurima Rauschning eher abschwächten.

Das natürliche Leben spielte auch mit. Die Kulissen bieten allgemein einen Durchblick „in die Welt“ außerhalb der „Bühne“ mit ihrem ganz normalen Leben, das „draußen“ weitergeht und nichts ahnen lässt von dem, was sich hinter den Kulissen (im doppelten Sinne) abspielt. Im Hintergrund sieht man die Segelboote auf dem Wasser und die Straße davor, wo das Leben wie immer pulsiert und die Leute ihren Alltagsbeschäftigungen nachgehen.

Es war nicht nur eine „lauschige“, sondern extrem warme Nacht bei wolkenlosem Himmel, ohne jeden Regentropfen, die bange Angst bei jeder Open-Air-Aufführung. Ein Vogel setzte sich, wie zum Bühnenbild gehörig, auf das („Kathedral“-)Gerüst, später flogen zwei krächzende Möwen wie bestellt bei Scarpias Tod über Bühne und Publikum, und schließlich wurde der Vollmond hinter dem Schloss sichtbar. Solche passenden Zufälle gibt es eben nur open air.

Bei dieser Inszenierung gibt es kein Madonnengemälde, an dem Cavaradossi, der Maler, entsprechend Libretto arbeitet, sondern einen überdimensionalen Madonnenkopf „aus weißem Stein“, bei dem die obere Schädelpartie fehlt – noch unfertig (oder „gehirnamputiert“?). Er dient mehrfach als Requisit, zum Beispiel für den Gesang des Hirten, und steht zum Schluss „in Flammen“. Der junge Hirt (Henrike Paschen) hat gleich mehrere Funktionen, zunächst – ein „Novum“ – als wissbegieriger Lehrling bei Cavaradossi, der ihn mit väterlichem Wohlwollen anhand seines Skizzenbuches, das vermutlich das skizzierte Antlitz der Attavanti enthält, instruiert, später vom Gerüst aus als neugieriger kindlicher Beobachter der dramatischen Szene zwischen Tosca und Scarpia, der sich auch den toten Scarpia besieht. Unklar ist dabei nur, warum Tosca, ohne ein wirkliches Abbild der schönen Attavanti gesehen zu haben, so aufgebracht und eifersüchtig ist.

Aber zurück zum Anfang. Der Dirigent des Abends, Martin Schelhaas (Musikalische Leitung: Daniel Huppert) kam und verneigte sich. Das Orchester, die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin, saß bereits – nur optisch – im Dunkeln, in einem schwarzen Kasten, aber keiner „Black box“ (!) und war nur hinter einer ebenso dunklen, schwer „zu durchschauenden“ Vorderwand, durch die nur später die Pultlampen schienen, zu erahnen – eine zweckmäßige, aber noch nicht die beste Lösung. Das Orchester spielte sehr engagiert und durfte traditionsgemäß am Schluss auf die Bühne kommen, um den wohlverdienten Applaus entgegenzunehmen, wobei es selbst hierbei noch „dirigiert“ wurde.

Angelotti (Sebastian Kroggel) kam wie ein echt angstvoll Flüchtender angehetzt, um sich zu verstecken. Der Mesner (Bruno Vargas), versah seinen Dienst und verlieh seinen simplen Ansichten als Gegenpol zu den Idealen der Protagonisten mit dunkler, sicherer Bassstimme in einer guten Charakterstudie Ausdruck. Der Künstler Cavaradossi, von Scarpia als „der schöne Mario“ erwähnt, wirkte hier schon etwas älter, gereifter, gesetzt und abgeklärt, eher väterlich statt ein junger, ungestümer Rebell zu sein. Hier hätten Kostüm und Maske eine schöne Aufgabe gehabt! Gesanglich wurde Zurab Zurabishvili mit seiner tragenden Stimme seiner Partie jedoch gerecht.

Im Gegensatz zu ihrem „geliebten“ Mario wirkte die junge Karen Leiber, die sich bei den großen dramatischen Opernheldinnen des 19. und 20. Jh. zu Hause fühlt und die sich insbesondere als Wagner-Interpretin einen Namen gemacht hat, wirklich jung und schön, weniger als eine Diva als vielmehr eine aufrichtige junge Frau. Sie dürfte am Anfang einer großen Karriere stehen und war auch hier – sowohl gesanglich als auch darstellerisch – die dominierende Künstlerin im doppelten Sinne. Sie erfüllte die Gestalt Tosca in dramatischer Steigerung bis zur Ekstase mit Leben, aber auch Gefühl, das sie mit feinem Pianissimo unterstrich. Bei der berühmten Arie „Vissi d’arte, vissi d’amore“, mit der sie sich in ihrer Not ins Gebet flüchtet, gefühlvoll und in schöner Übereinstimmung mit dem Orchester gesungen, sprang der berühmte „Funke“ über. Nicht selten erinnerte sie an die junge Waltraud Meier.

Als Gegenspieler, Polizeichef Scarpia, der mit seinem Polizeiaufgebot in das fröhliche „Ringelreihen“ des gemischten Opernchores, Extrachores und Kinderchores (Choreinstudierung: Joseph Feigl/Werner Doßmann) die im 1. Akt in der Kirche aus Freude über Napoleons Sieg tanzen, hereinplatzt und alle Indizien, auch Toscas, für die Madonna bestimmten, Blumenstrauß einsammeln lässt – solche und andere „neckische“, auch lustige Zutaten dürften dem Publikum geschuldet sein -, überzeugte Derrick Ballard mit kraftvoller Stimme, Härte und Durchschlagskraft, mit der er, darstellerisch oft mit stoischer Ruhe, seinen eisernen, unerbittlichen Willen und seine Zwielichtigkeit zum Ausdruck brachte. Wie Karen Leiber als Tosca wirkte auch er in seiner Rolle glaubhaft.

Glaubhaft wirkten auch Matthias Koziorowski als Spoletta, Cornelius Lewenberg als Scarrione und Igor Storozhenko als Schließer.

Das Bühnenbild war immer auf optische Wirkung und gute Sicht von allen Seiten ausgerichtet. Ein „gefallenes“ dunkelrotes Kreuz korrespondierte im 2. und 3. Akt mit dem großen stehenden, als „Teppichböden“ im Palazzo Farnese und später in einer Kirche im Längs- und Querschiff. Das Problem des Wechsels von einem zum anderen Akt, das open air, so ganz ohne Vorhang, eine besondere Herausforderung darstellt, wurde hier ganz einfach gelöst. Die Polizei „räumte“ den „Palazzo“, angedeutet durch eine kleine Tafel mit zwei Stühlen, eine Ottomane und einen zierlichen Schreibisch, auf und den „toten“ Scarpia weg.

Nach ihrer „Mordtat“ im Affekt geht Tosca wie befreiend auf diesem „roten Teppich“ in das stehende Kreuz, das jetzt wie ein Tor in die Freiheit, symbolisiert durch einen angestrahlten echten (gewachsenen), Baum im Hintergrund wirkt, ohne zu ahnen, was ihr noch bevorsteht, – fast ein Happ end -, bis sie von der grausigen Realität wieder eingeholt wird.

Zum Abschluss wird das Ganze in wechselnden Farben a la Laser Show violett, orange, rot, grün usw. angestrahlt, vielleicht als Wechselspiel der Gefühle zu deuten, zumindest aber als der übliche Ausklang eines Open-Air-Events.

Man kann schon jetzt auf „Anatevka“ (Fiddler on the Roof) im nächsten Jahr gespannt sein.

 Ingrid Gerk

 

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