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SCHWERIN/ Mecklenburgisches Staatstheater: “PREMIERE: „ORFEO ED EURIDICE“ von C. W. Gluck. Premiere

Zwischen Oper und Ballett

16.11.2019 | Oper

Schwerin / Mecklenburgisches Staatstheater: “PREMIERE: „ORFEO ED EURIDICE“ VON C. W. GLUCK – ZWISCHEN OPER UND BALLETT – 15.11.2019

 In dem sehr ansprechenden Schweriner Theater mit seiner bedeutenden Vergangenheit, wo Friedrich von Flotow als Kapellmeister und Konrad Ekhof, der Vater der Schauspielkunst, der hier auch die erste Theaterakademie gründete, wirkten und selbst ein Richard Wagner sich einmal um die Kapellmeisterstelle beworben hat, hatte jetzt „Orfeo ed Euridice“ von Christoph Willibald Gluck Premiere. Mit dieser Oper brach Gluck seinerzeit, geleitet von dem Grundsatz „Einfachheit, Wahrheit und Natürlichkeit“ in genialer Weise die erstarrten Konventionen der Barockoper auf und stellte die dramatische Handlung der berührenden Geschichte um den sagenhaften Sänger Orpheus, der aus Liebe und mithilfe der Musik sogar den Tod besiegt, auf eindrucksvolle Weise ins Zentrum.

Jetzt meint man ebenfalls, alles anders machen zu müssen und jede Oper durch eine ausgefallene Inszenierung zu „modernisieren“ und zu verändern. Der italienische Tänzer, Choreograph und Regisseur Stefano Giannetti brachte jetzt die, 1762 am Hofburgtheater in Wien uraufgeführte, „Azione teatrale per musica“, nicht in der bekannten Opernversion auf die Bühne, sondern in einer engen Verbindung von Musiktheater und Ballett. Die Oper als komplettes Ballett gab es in den vergangenen Jahrzehnten auch schon hin und wieder an manchem Theater und das Einfügen von Ballett (und sogar Artistik) in die Oper ist zurzeit en vogue. Giannetti brachte nun eine enge Verquickung von Handlung, Gesang und Bühnentanz, zwischen agierenden Sängerinnen und Tanzenden auf die Bühne. Die einzelnen Ebenen durchdringen und ergänzen sich in seiner Inszenierung gegenseitig. Es ist immer “Leben“ auf der Bühne fern jeder ehrfurchtsvollen Erstarrung.

Die Regisseure haben es gegenwärtig nicht leicht. Sie sind auf der Suche nach Neuem, „Noch-nie-Dagewesenem“, möchten der Fachwelt, aber auch dem Publikum, das oft konträre Vorstellungen hat, gefallen. Sie wollen die früheren realistischen, in ihren Augen „verkrusteten“ Bühnenbilder „aufbrechen“, die Opernhandlung „verbessern“ (die nicht immer nur fad ist oder verändert werden müsste) und bewegen sich doch immer wieder in den gleichen Schemata wie bisher. Macht endlich einmal wirklich Neues … !

Auch Giannetti beginnt mit der üblichen Alltagssicht (Ausstattung: Alexander J. Mudlagk) – ein Zugeständnis an die jetzigen Gepflogenheiten? – leitet aber geschickt zu einem an die Historie erinnernden Handlungsablauf über. Euridice wird zu Beginn inmitten einer Volksmenge in Alltagskleidung, durchmischt von Ballettgestalten, die nichts Gutes ahnen lassen, an der Seite ihres geliebten Orfeo von einem Todesschützen seitlich der Bühne mit lautem Knall erschossen. Es gibt zwar auch jetzt noch Giftschlangen, aber Natur scheint zurzeit im Theater nicht vorzukommen. Euridice wird auf einen großen Steinquader gelegt, was schon leicht an (römische) Historie erinnert, und von Orfeo und der Menge, die durch ihre aufgesetzten Kapuzen plötzlich tatsächlich an eine fast antike Trauergemeinde erinnert, betrauert.

Dann erhält Orfeo einen typischen, dunkelroten Theaterumhang und Lorbeerkranz über seiner legeren, sportlichen Kleidung und wird augenblicklich zum antiken „Helden“, der auf einem fast „antiken“ Wagen hinweg gefahren wird – in die Welt antiker Sagen, die sich jetzt in Bühnenbild und Kostümen ausdrückt, sehr beeindruckend, durch die Videos im Hintergrund (Krischan Kriesten) unterstrichen, die in einer genialen Mischung aus moderner, undefinierbarer und historisch-romantischer Gestaltung in halb realistischen, halb wirren bewegten und stehenden Bildern Hölle, Grotten, Höhlengewirr und Elysium vorspiegeln und durch Anleihen aus der Barockoper wie Wolken und Wellen, glänzende Harfe, Rauch und Theaterdonner, durchsichtige Vorhänge und wiederholt eingefügte Sternhimmel-Wand ergänzt werden – wie ein Blick in die Antike, gebrochen von roten bzw. blauen Neonröhren (damit es nicht zu romantisch wird?). Noch einmal bricht die Gegenwart herein, indem Furien Orfeo als Schlägertruppe bedrängen, deren er sich auch ohne Gesang erwehren muss. Kein Wunder, dass ihm der Lorbeerkranz vom Haupt fiel.

Am Ende musste dieses „Idyll natürlich wieder aufgebrochen werden! Seitlich vom Parkett nähern sich zwei derbe Gestalten in Uniform und Stahlhelm der Bühne, stülpen dem armen Orfeo den dritten Stahlhelm über und führen ihn ab – zum Militär, in den Krieg? – Da wird es nichts mit unendlicher Liebe gemeinsam mit Euridice im Jenseits – die Gegenwart ist hart, auch im Theater.

Hanna Larissa Naujokshatte es als Orfeo, der ständig auf der Bühne präsent ist, nicht leicht, bewältigte ihre Rolle aber sicher, vor allem in Höhe und Mittellage. Ihr Timbre wirkte etwas nüchtern, für die Rolle eines Mannes geeignet, aber für Orfeo mit ein wenig zu wenig Schmelz, den man sich vor allem in seinem berühmten Klagelied im dritten Akt „Che farò senza Euridice“ gewünscht hätte. Felicitas Frische war in Gesang und Erscheinung eine betont weibliche Euridice. Das Kostüm des Amor erinnerte eher an eine insektenhafte Elfe, aber Katrin Hübner überzeugte mit Gesang und agiler Darstellung.

Das Ballett des Mecklenburgischen Staatstheaters führte die, auf die Möglichkeiten des Theaters und regionalen Bedingungen zugeschnittene Choreografie Giannettis überzeugend aus, auch in den Hebefiguren.

Opernchor und Extra-Chor des Mecklenburgischen Staatstheaters (Einstudierung: Friedemann Braun, Daniel Kirchmann) fügten sich trotz mancher Intonationstrübungen und Temposchwankungen in das Gesamtgefüge ein. Während der Furienchor aus Männern, der sich, schwarz vermummt, zu beiden Seiten des Zuschauerraumes der Bühne nähert, gewöhnungsbedürftig, aber laut sang, wirkte der Chor der besänftigten Furien hingegen gewinnend.

Der österreichische Dirigent Manfred Mayrhofer inspirierte die unter seiner Leitung zuverlässig spielende Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin und hielt auch für die Bühne musikalisch die Fäden in der Hand. Er „atmete“ mit dem Orchester, setzte die Intentionen des Komponisten bestmöglich um und verhalf vom Orchestergraben aus, der Aufführung zu einem schönen Erfolg. Er verstand es zu begeistern und Musik und Oper dem Publikum nahezubringen.

Ingrid Gerk

 

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