SCHUMANN & MENDELSSOHN: SOPHIE PACINI – Warner CD
Nein, nicht „In Between“, sondern MIttendrin
Kaum je habe ich eine CD erlebt, wo Aufmachung und Inhalt so diametral gegenüberstehen, so wenig harmonieren wie bei diesem magisch und voller innerer Stellungnahme gespielten Album mit frühromantischen Juwelen von Clara und Robert Schuman, Fanny Hensel und Felix Mendelssohn. Auf dem Foto ist die elegante bodenlang gelb gewandete Künstlerin zu sehen, mit geschlossenen Augen meditativ im Wasser plantschend. Das sieht ganz nach esoterischer Introspektion aus, nach schick bis harmloser Wohlfühlmasche. Und „In Between“ soll den (neutralen) Treffpunkt aufzeigen, wo die Kunst zwischen den beiden Männern und Frauen gefeiert wird. Uff! Geht‘s noch? Also in jedem Geschäft oder auch im Internet wäre ich an dieser CD ganz sicher vorbeigegangen, weil ich sofort (die komplett falschen) Rückschlüsse auf eine (harmlos gefällige) Interpretation gezogen hätte.
Musikalisch legt die CD hingegen präzise Emotionen offen und nimmt dabei den Hörer damit unmittelbar gefangen, wie es die großartige Pianistin Sophie Pacini offenbar vorgehabt hatte. Über sie ist im Booklet nichts zu erfahren. Im Internet kann der Musikinteressierte nachlesen, wo die Deutsch-Italienierin überall auftritt und ist erstaunt. Ein dichter Terminkalender führt sie demnächst nach Bonn und München, in jüngst vergangener Zeit war Sophie Pacini in Berlin, Kön, Kiel, Braunschweig, Burghausen, Madrid, Solingen, Wien (Konzerthaus), Mainz, Amberg, Paris, Schloss Elmau, Mondovi, Luzern, Kapstadt, Hong Kong, Mexiko City, in Eisenach, Evian, Leipzig und Innsbruck zu hören. Auf der Website sind auch Gedanken zur Musik zu lesen, die das Wesen der Interpretation von Sophie Pacini gut deuten. Ein Beispiel: „Zum Scharfblick auf die Noten gesellt sich eine Geisteslinie, die sich, wie Virginia Woolf (Mrs. Dalloway) sagen würde wie „a knife throug everything“ („eine Klinge in die Dinge“) vertieft, also in den Text, in dessen Innenleben. Diese Klinge kann, bescheidenerweise, nur jene meines eigenen Geistes sein. Und das ist letztlich auch die einzig mögliche Texttreue.“
Sophie Pacini beginnt ihr Album mit einer Transkription von Franz Liszt des Schumann Liedes „Widmung“ aus dessen Zyklus Myrthen. Vom ersten Ton an ist der Duktus des Albums mit der Kunst gewidmeten Passion, menschlichen Beziehungen in all seinen komplexen Ausformungen, dem Wunder der Inspiration und was dazu beiträgt, gegeben. Das ganzen Album zeigt großzügige Rubati, ist ein Manifest der Romantik, auch in ihren Extremen und Zuspitzungen. Pacini geht in ihrer Lesart der Fantasiestücke Op. 12 von Robert Schumann an alle Grenzen. Die Verbindung von Musik mit Anregungen aus Literatur und bildender Kunst darin gehen auf E.T.A. Hoffmanns Fantasiestücke in Callots Manier zurück. Märchenhaftes prägt die Stimmung, Sophie Pacini erzählt in dem achtteiligen Zyklus ganz persönlich vom Abend, der Nacht, Grillen, Fabeln und Wirren. Ein dichteres, in ihrer Intensität und Anteilnahme leidenschaftlicheres Klavierspiel ist kaum vorstellbar. Schumanns Toccata in C, Op. 7, ein Stück, das in der Zeit seiner Entstehung als das technisch anspruchsvollste der gesamten Literatur galt, überwältigt durch die Besessenheit und den Drive, final das Kondensat an Bipolarität mit all ihren widerstrebenden Stimmungslagen, die die gesamte Musik Schumanns durchweht.
Programmatisch kann man gar nicht passender fortfahren als mit Mendelssohns dämonischen „Variations sérieuses“. Eigentlich diente das Stück dem „Crowd-Funding“, würde man heute sagen, für ein Beethovendenkmal in Bonn. Sophie Pacini dreht die steile Spirale der 17 Variationen auf das vielschichtige wehmütige Grundthema in Dynamik und Beschleunigung bis zur Weißglut. Spannend bis zum Zerreissen, atemberaubend! Mit Mendelssohns fünf „Liedern ohne Worte“ (den Begriff hat Fanny entwickelt) gewinnen wieder Lyrik und Poesie Oberhand, der frühromantische Wahnsinn hat hier Verschnaufpause. Die Tempi sind durchwegs zügig gewählt, pianistische Kunst und der Sinn für die Architektur, so verrückt sie sein mag, triumphiert über formloses Sentiment. Das Vorbild Martha Argerich hat da offenbar seine direkten Spuren hinterlassen.
Pacini erklärt, dass „Fanny und Felix Mendelssohn, Clara und Robert Schumann nicht nur Geschwister oder ein Ehepaar waren, sie haben sich beim Komponieren auch wechselseitig inspiriert, wobei den beiden Frauen keineswegs der geringere Anteil zukäme.“ Leider werden auf der CD nur jeweils eine kleine Kostprobe der Kunst von Clara Schumann (Scherzo in C-Moll Op. 14) und Mendelssohns Schwester Fanny (Lied Op. 2 Nr. 1) geboten. Die beiden Stücke sind jedenfalls aus kompositorischer Sicht ganz vortrefflich und sprechen für sich selbst. Die CD schließt mit Mendelsssohns „Rondo capriccioso“ in E, Op. 14., das mit koboldhafter Koketterie und augenzwinkernder Nonchalance eine weitere Facette im Schaffen Mendelssohns zeigt.
Dr. Ingobert Waltenberger