Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

SCHLOSS UNTERDÜRNBACH: Festivalstart mit Uraufführungen

Johanna Doderer: Was die Welt heute braucht, sind Märchen

29.06.2024 | Konzert/Liederabende
nor

Gebhard Heegmann, Gernot Heinrich, Kathi Adamcyk und Johanna Zachhuber. Alle (Handy-)Fotos: Martina Schmid-Kammerlander

SCHLOSS UNTERDÜRNBACH: Johanna Doderers Festival DAS KLINGENDE SCHLOSS

28. Juni 2024

Von Manfred A. Schmid

Johanna Doderer, eine der führenden Komponistinnen der Gegenwart, hat es sich zur Aufgabe gemacht, zeitgenössische Kunst auch abseits der bekannten Kulturzentren einem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Im Schmidatal im Weinviertel bietet sie heuer als Intendantin des Festivals „Das klingende Schloss“ gleich mehrere Uraufführungen an. Im Rahmen des sich auf drei Tage erstreckenden Programms gibt es u.a. aber auch Lieder von Franz Schubert, Richard Wagner, Erich Wolfgang Korngold und Maurice Ravel, gesungen von Josipa Bainac, zu hören sowie eine Ausstellung von Aquarellen der Malerin Bärbel Winkler zu sehen: Ganz im Sinne der Zielsetzung der Intendantin: „Erleben Sie in stimmungsvoller Architektur und Landschaft die Farben der Natur und der Musik.“

Den Anfang macht die Uraufführung des Märchens Das klingende Schloss, das dem Festival seinen aktuellen Namen verleiht. Komponiert von Johanna Doderer, nach einem Text ihrer Mutter, der Dichterin Maria Doderer, geht es in diesem Stück um die magische Errettung der von einem dunklen Schatten, dem Krieg, bedrohten, in Schutt und Asche gelegten Welt. Unsere Welt, so die Komponistin in ihrer einleitenden Erläuterung, brauche Märchen, heute mehr denn je. Ein Blick auf die großen Krisen, mit denen wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen, kann das nur bestätigen. Erzählt wird, wie sich ein Vögelchen und ein junges Mädchen, von einem geheimnisvollen Talisman geleitet, aus den Trümmern erheben, sich auf den Weg machen und Zuflucht in dem in einem paradiesischen Land gelegenen Schloss finden, das selbst zu Musik wird. Das Schloss als Inbegriff der Harmonie und des friedlichen Miteinanders. Doderer bleibt in ihrer Komposition für Violine, Klavier und Rezitation weitgehend im tonalen Bereich, ihre Musik schmiegt sich dem Text an, setzt auf große Intervallsprünge und rhythmisch lebensvolle Passagen, hat aber auch keinerlei Scheu vor romantisch-rhapsodischen Klängen und melodiösem Überschwang. Die Geigerin Judith Fliedl, David Hausknecht am Klavier und der Rezitator Gottfried Franz Kapsarek begeistern mir ihrer animiert vorgetragenen, empathischen Interpretation. Von der musikalischen Gestaltung her wäre dieses Märchen durchaus für Kinder geeignet: Ein musikalisches Märchen für Groß und Klein, für die ganze Familie. Bei der begeistert akklamierten Uraufführung im sogenannten „Affensaal“ im Schloss Unterdürnbach waren allerdings keine Kinder anwesend. Aber auch so war der Saal prall gefüllt, so dass mache Besucher nur auf den Gängen Platz finden konnten. Ob dieses Märchen aber tatsächlich Kindern gefallen würde, muss sich erst herausstellen. Der etwas langatmige, oft auch gar schwülstige Text tritt mehrmals auf der Stelle, besonders der Schluss zieht sich unnötig in die Länge und wirkt zu sehr gestreckt für das, was er zu bieten hat. Wenn der ehrgeizige Plan der Intendantin/Komponistin, Das klingende Schloss als eine Art „Unterdürnbacher Jedermann“ alljährlich zur Eröffnung des Festivals aufzuführen, umgesetzt werden sollte, wäre eine Straffung vielleicht angeraten.

doderer2

Judith Fliedl und David Hausknecht

Auf das Märchen folgte die Uraufführung des Liedes Ich warf eine Rose ins Meer der australischen Komponistin Melissa Coleman. Das schon des Öfteren vertonte Gedicht von Richard Dehmel hat Coleman impressionistisch aufgefächert und mit einem ausführlich die sinnlich-erotischen Andeutungen kommentierenden Klavierpart ausgestattet, der von David Hausknecht souverän gestaltet wird.  Anna Hauf bewältigt die stimmlichen Herausforderungen dieses Liedes, das vor allem in der Tiefe von einer Mezzosopranistin so gut wie alles verlangt, mit Bravour und setzt auch melodramatische Akzente.

Nach einer Heurigenjause – auch für kulinarische Genüsse wird bei diesem Festival gesorgt – folgt im Arkadenhof des Schlosses ein vor allem dem 2006 verstorbenen österreichischen Ausnahmekünstlers Otto M. Zykan gewidmetes Nachtkonzert. Das Vokalensemble REIHE Zykan + unter der Leitung von Michael Mautner begeistert mit der exzellenten Wiedergabe von Zykans Unterösterreichisches Liederbuch, das Mautner aus dem Nachlass des Komponisten zusammengestellt und ergänzt hat. Der dreiteilige Zyklus trägt den Untertitel „21 Lieder über die Höhen, Tiefen und Abgründe der österreichischen Seele“. Mit Texten u.a. von Friedrich Achleitner, Ernst Herbeck, Franzobel und Bert Brecht. Die bissigen, schwarzhumorigen, oft auch geradezu hinterfotzigen Lieder werden von Vokalensemble, bestehend aus Kathi Adamcyk (Sopran), Johanna Zachhuber (Alt), Gernot Heinrich (Tenor) und Gebhard Hegemann (Bassbariton) mit großem Können und dem nötigen Augenzwinkern dargeboten. Albert Sassmann ist ein aufmerksamer, pointierter Begleiter am Klavier. Irene Suchy, Musikwissenschafterin, ORF-Sendungsgestalterin und Witwe Otto M. Zykans, führt durch das Programm. Der Einsatz eines Mikrofons im nächsten Jahr wäre zu überlegen.

Nach diesem Paradebeispiel für „Schmäh als ästhetisches Prinzip“ geht es am Schluss des stimmungsvollen Abends wieder ernster zu. Johanna Doderers „Mit dem Kuss seines Mundes“ aus dem „Hohelied“ Salomons für Vokalsextett und Klavier, 2023 für die Barocktage Melk entstanden, ist ein erhebendes Beispiel für die hohe Kunst der Polyphonie in heutiger Gestalt. Das um Anna Hauf (Mezzosopran) und Martin Schranz (Tenor) erweiterte Vokalensemble REIHE Zykan + interpretiert das Werk mit inniger Beteiligung und weiß das Publikum zu berühren. Hildegard von Bingens „O viridissima Virga“ setzt den seelenvollen Schlusspunkt eines außergewöhnlichen Konzerts voller Überraschungen.

 

Diese Seite drucken