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SCHLOSS RHEINSBERG / Heckentheater IPHIGENIE IN AULIS – Open-Air. Zum 250. Geburtstag der Gluckschen Iphigenie in Aulis und des Schlosstheaters Rheinsberg-Premiere

07.07.2024 | Oper international

SCHLOSS RHEINSBERG / Heckentheater IPHIGENIE IN AULIS – Open-Air-Premiere; 6.7.2024

Zum 250. Geburtstag der Gluckschen Iphigenie in Aulis und des Schlosstheaters Rheinsberg

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Copyright: Uwe Hauth

„Passant! Souviens toi que la perfection n’est point sur la terre…“ Heinrich von Preußen auf seinem Grab in Gestalt einer abgebrochenen Pyramide

Die Weisheit, die der jüngere Bruder Friedrichs des Großen unweit des Heckentheaters im Park von Schloss Rheinsberg auf Stein verewigen ließ, nämlich, dass Vollkommenheit nicht existiert, gilt nicht nur für den Menschen an sich, sondern auch des Menschen Werk, besonders dann, wenn unberechenbare Kräfte der Natur mit im Spiel sind.

Star der Premiere an diesem zuerst stürmisch verregneten, dann trockenen, durch einen kleinen Wolkenbruch in der Pause witterungsmäßig wie künstlerisch durchaus abwechslungsreichen Abend ist die üppige Natur des Waldtheaters, die sich in tiefem Grün ergeht und sich mit Vogelsang und neugierigen Katzen nicht lumpen lässt. Prinz Heinrich ließ diese charmante, beidseitig mittels hintereinander aufsteigenden Buchenhecken abgegrenzte Sommerbühne 1758 im Schlosspark errichten.

Die Natur ist ja auch in Glucks Oper von entscheidender Bedeutung, als die Göttin der Jagd Diana – auf Agamemnon maximal sauer, weil er den Lieblingshirschen der Göttin erlegte – kein noch so klitzekleines Lüftchen zulässt. Die griechische Kriegsflotte sitzt also fest und kann nur dann mit Wind nach Troja rechnen, wenn, Blut gegen Blut, Agamemnon seine Tochter Iphigenie opfert. Damit sind natürlich weder Iphigenies Verlobter Achill noch deren Mutter Klytämnestra d‘accord.

Die Oper behandelt diesen altbekannten Stoff der griechischen Mythologie in Gluck’scher Reformmanier, das heißt musikalisch schnörkellos ganz auf das Wort und die natürliche Expression der dramatischen Handlung konzentriert in einer lockeren Abfolge von deklamatorischen Accompagnato-Rezitativen, Arien, Ensembles und Chören. „Die wahre Aufgabe der Musik ist, der Dichtung zu dienen, ohne ihre Aktionen zu unterbrechen oder zu hemmen!“ Natürlich wäre es keine französische Barockoper, wenn sie nicht durch Ballette zur höheren Unterhaltung des Publikums angereichert wäre. Prinz Heinrich mochte Glucks „Iphigenie in Aulis“ jedenfalls und ließ die Oper in seinem Theater mehrfach aufführen.

Die Volten der Natur spielten auch an diesem Abend verrückt, ganz ohne den Willen irgendwelcher antiker Götter. Starkregen noch eine Stunde vor Aufführungsbeginn bedingte, dass das Orchester zum Schutz der Instrumente im Schloss spielte und der instrumentale Teil der Opernaufführung via Lautsprecher übertragen wurde. Für das Publikum war das mit einem doch eingeschränkten Musikvergnügen verbunden, weil die Technik nur einen flachen, stumpfen Sound lieferte. Artikulation und der Obertonreichtum wirkten eingeschränkt, die Koordination zwischen Bühne, vor allem aufgrund einer Mesalliance vom zahlenmäßig und vom Volumen her nicht beeindruckenden Chor, und dem „Fernorchester“ litt.

Auf der musikalischen Habenseite der von Prof. Georg Quander szenisch eingerichteten, ganz und gar werkgetreuen Aufführung mit einem gesprochenen Monolog des Agamemnon als in die Handlung einführender Erzähler vor der Ouvertüre und einer Vorwegnahme des Hacken-Mordes der Klytämnestra an Agamemnon und des Todes des Achill am Schluss stand eine Besetzung, die mit einer höchst erfreulichen Begegnung mit einer Schar junger Sängerinnen und Sänger überraschte. Ihnen allen einen erfolgreichen Weg in der Welt der Oper zu prophezeien, fällt nicht schwer.

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Copyright: Uwe Hauth

Allen voran der fabulöse Maximilian Vogler als Achilles, Verlobter der Iphigenie. Dieser junge Tenor verfügt über einen hellen, instrumental geführten lyrischen Tenor mit Biss. Sowohl die in feinsten Lyrismen sich ausdrückende Liebe zu Iphigenie als auch im erbitterten Streit mit Agamemnon im dritten Akt, der seine jugendlich heldische Begabung forderte, waren sowohl stimmlich als auch schauspielerisch ein Erlebnis. Ihm zur Seite war die isländische, in Wien ausgebildete Sopranistin Marta Kristin Fridrickdottir eine in Vater- und Heimatliebe zu jedem Opfer bereite Tochter. Mit wunderbar leichtgängigem Sopran, der ebenso in der Tiefe und im hohen Register völlig frei fließt und schwebt, gelingen ihr vor allem die lyrischen Legatobögen aufs Eindrücklichste. Mit Einfühlung und Intensität schlüpft sie in diesen aus heutiger Sicht doch schwer erklärbaren idealistischen Charakter. Ich gestehe, dass ich sie lieber in französischer Sprache gehört hätte, die ja doch vom Komponisten so vorgesehen anders als die deutsche Übersetzung Glucks Behandlung von Sprache, Melos und Deklamation musterhaft zeigt. Obwohl diesmal in kleineren Rollen angesetzt, ließen sowohl der kernig-virile Bariton von Gergely Kerezturi als Arkas und Patrokles als auch der wahrlich hinreißende, glockenklare Koloratursopran der Salzburgerin Marianna Herzig als Diana aufhorchen. Der junge chinesische Bass Dashuai Jiao verlieh dem Oberpriester Kalchas dunkle Autorität.

Als Ergänzung zu dieser exzellent gecasteten, die Glaubwürdigkeit der Figuren im Blick habenden Opernjugend waren die Rollen des Ehepaars Agamemnon und Klytämnestra mit zwei altbekannten Gesangstars besetzt. Dietrich Henschel verkörperte einen Bilderbuch-Agamemnon, zerrissen zwischen Tochterliebe und Staatsräson. In den introvertierteren Legatostellen kämpfte dieser sowohl im Liedgesang als auch auf der Bühne reüssierende Fischer-Dieskau-Nachfolger bisweilen mit einer kleinen Indisposition, im Dramatischen ließ er seinen unvergleichlich charaktervollen Bariton machtvoll aufblühen. Ganz auf schneidende Expressivität war der einst koloraturgängige, auf Händel- und Rossinirolle spezialisierte Mezzosopran von Vivica Genaux als königlich-stolze, ihre Tochter liebende Klytämnestra getrimmt. In ihrer großen dramatischen Szene im dritten Akt „Schleudre, Zeus, Blitze zur Erde“ wuchtete sie temperamentvoll ihren Hass in den Äther. Nicht Schöngesang, sondern bedingungslose Wahrhaftigkeit prägen diese eindringliche Rollengestaltung im Herbst ihrer Karriere.

Werner Ehrhardt leitete das Concerto Brandenburg und den Kammerchor Chorisma Neuruppin (mit Luft nach oben, was Volumen, Präzision der Einsätze und Intonationsgenauigkeit anlangt) auf jeden Fall tapfer und engagiert. Musikalisch ist mir aufgrund der suboptimalen Tonqualität der Übertragung keine nähere Aussage möglich.

Einen tollen Job machte auf jeden Fall die Berlin Ballet Company, die mit vier tanztechnisch exzellenten Traumpaaren angetreten ist. Die Bewunderung (für alle auf der Bühne) war umso größer, als im dritten Akt nach einer flott improvisierten „Entwässerung der Bühne“ und merklicher Abkühlung der Luft samt allem möglichen beißendem Insektengefleuche die Intensität der Aufführung noch zuzunehmen schien.

Dass es bei Kostümen und Haarpracht der Protagonisten (Julia Dietrich) nicht allzu stilsicher zuging (Achilles im Elbenprinz-Legolas Outfit aus „Herr der Ringe“, Balletttänzerinnen federbuschgeschmückt wie im Pariser Crazy Horse), geschenkt.

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Copyright: Uwe Hauth

So viele „Iphigenies en Aulide“ habe ich ja noch nicht erlebt. Szenisch ist es genauer gesagt erst meine zweite nach der Wiener Premiere vom September 1987 mit Borowska, Janowitz, Weikl und Thomas Moser unter der musikalischen Leitung von Charles Mackkerras. Langweilig war mit jedenfalls in keiner Sekunde, die wetterbedingten Wasserspiele boten eine neue Erfahrung für mich. Perfektion gab es nicht, aber ein brodelndes Engagement aller Beteiligten bei überwiegend singulären Vokalleistungen in einem umwerfenden Naturtheater.

Nächste Termine: 09.7.2024, 11.7.2024, 13.7.2024, 16.7.2024 und 18.7.2024 , jeweils 19h30.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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