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SCHLOSS KIRCHSTETTEN: LA CENERENTOLA – Premiere

04.08.2022 | Oper in Österreich
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Daniele Macciantello (Don Magnifico), flankiert von Doras Garciduenas (Clorinda) und Sevana Salmasi (Tisbe). Alle Fotos: Festival Kirchstetten / Patrik Piller

SCHLOSS KIRCHSTETTEN / Maulbertschsaal: LA CENERENTOLA – Premiere

3. August 2022 (Premiere)

Von Manfred A. Schmid

Im Vorjahr hatte man Corona bedingt erstmals eine Open Air Aufführung für Il Signor Bruschino angesetzt. Wegen Regens musste die Premiere in das Ausweichquartier, den Turnsaal der Volksschule im Nachbarort Neudorf, verlegt werden. Heuer ist für Rossinis La Cenerentola traditionsgemäß – seit1999 werden in Kirchstetten Opern aufgeführt – wieder der Maulbertschsaal im Schloss Kirchstetten am Zug, der mit maximal 160 Plätzen als kleinstes Opernhaus Österreichs gilt. In der Mitte des Saals befindet sich die Spielfläche, umgeben auf drei Seiten vom Publikum. Auf der verbleibenden vierten ist das Orchester untergebracht. Der besondere Reiz dieses Aufführungsortes liegt darin, dass das Publikum an den Sängerinnen und Sängern so nahe dran ist, wie sonst nirgendwo und jeder kleinste Gesichtsausdruck und jede Geste hautnah erlebt wird.

Diese Bedingungen stellen für die Regie eine große Herausforderung dar, befinden sich zuweilen doch bis zu sieben Personen gleichzeitig auf der kleinen Bühne, auf der sie sich abwechselnd den Zuschauern auf allen drei Seiten präsentieren müssen. Dazu kommt noch der achtköpfige Männerchor der Höflinge. Unter diesen Voraussetzungen die Handlung stets nachvollziehbar zu machen, gelingt dem Regisseur Richard Panzenböck mit perfekter Personenführung ausgezeichnet, wozu auch seine Lösung, den Chor fast immer an den Längsseiten der Bühne aufmarschieren zu lassen, beiträgt. Weniger überzeugend ist die Umsetzung seines im Programm angekündigten Konzepts, statt historischer Kostüme eine „sommerliche Eleganz“ auf die Bühne zu stellen und zu zeigen, wie „die Natur den Saal und auch teilweise die Kostüme zurückerobert“. Eleganz ist weit und breit nicht zu sehen, und  auf die Kleider von Clorinda und Tisbe ein paar welke Blumen und Blätter anzuheften (Kostüme Elena Kreuzberger) kommt dieser  Intention ebenso wenig nahe wie die Idee, die Bühnenoberfläche mit einem Plastikrasen auszulegen (Bühne Petra Fibich-Patzelt), auf dem Angelina diesmal eben nicht einen Besen, sondern einen Laubrechen schwingt. Panzenböcks Lesart, in Rossinis dramma giocoso eine ökologische Grundbefindlichkeit zu orten, ist eher absurd, stört aber nicht, bleibt außen vor und wird kaum zur Kenntnis genommen.or hatHier

Durchaus interessant hingegen ist Panzenböcks Interpretation von Clorinda und Tisbe, den beiden Stiefschwestern von Cenerentola (Angelina), die oft als dumme Gänslein, eitel und selbstverliebt dargestellt werden und mit ihrer Schönheit punkten wollen, hier aber recht ordinär und popowackelnd daherkommen und sich Dandini, den sie für den Prinzen halten, anmachend an den Hals werfen. Die mexikanische Sopranistin Dora Garciduenas und die aus Armenien stammende Mezzosopranistin Sevana Salmasi verleihen diesen Figuren mit großer komödiantischer Begabung und auch stimmlich exzellent, starke Profile und sorgen für viele Lacher. Auch ihr Vater, Don Magnifico, ist in dieser Inszenierung etwas gewalttätiger als sonst gezeichnez, am Beginn sonderbarerweise auch gegenüber seinen beiden Lieblingstöchtern. Der ausdruckstarke Bass Daniele Maciantelli ist mit seiner imposanten Bühnenpräsenz eine ideale Besetzung für diesen Charakter, was auch für Emilio Marucci zutrifft,  der den alle Fäden in der Hand habenden Alidoro jene Würde, Souveränität und Weisheit verleiht, die einen Philosophen und Lehrer auszeichnen.

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Rachel Deatherage (Angelina) und Emilio Marcucci (Alidoro).

Die Ouvertüre zu bespielen ist allerdings eine Unsitte, die höchst selten argumentativ stimmig zu begründen ist. Dass der Regisseur während der Ouvertüre vorspielen lässt, wie Alidoro anordnet, dass der Prinz Don Ramiro für die Brautschau mit seinem Diener Dandni die Kleidung tauschen soll, ist unnötig. Jedem ist klar, dass die Idee dazu nur von Alidoro kommen kann und nicht von Ramiro, der sich zunächst eher widerspenstig zeigt. Man sollte die kognitiven Fähigkeiten des Publikums nicht unterschätzen. Ganz unnötig, weil ohne Erkenntnisgewinn, ist auch die Einführung eines weißgekleideten Mannes mit Eselskopf (Florian Sohn als Traumesel), der zweimal in Erscheinung tritt. Wenn dieser Verweis auf Shakespeares A Midsummer Night’s Deam“ das einzige Mittel ist, um Panzenböcks Idee, La Cenerentola „in ein Midsommar Setting“ (!) zu setzen, zu realisieren, dann hätte man dieses Vorhaben besser streichen sollen. Nicht ergründbar ist auch die Sinnhaftigkeit der Einführung einer Puppe, die dem Aussehen Angelinas nachgebildet ist, als es darum geht, dass Angelina kein passendes Kleid für den Ball hat. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein Regietheater-Mäuschen eine winzige Faust gemacht hat.

Diese Einwände betreffen aber nicht entscheidende Faktoren und schmälern daher auch nicht den guten Gesamteindruck, den diese gediegene Regiearbeit erweckt. Sie bietet den Akteuren eine gelungene Bühne und gibt ihnen wesentliche Impulse, um ihre Fähigkeiten aufblühen zu lassen. Hier können sie – unter der kundigen musikalischen Leitung von Hooman Khalatbari am Pult der Virtuosi Brunenses – zur Hochform auflaufen. Das gilt vor allem für den expressiven, mit mächtiger Ausstrahlung versehenen Bariton Jorge Alberto Martinez als Dandini, aber auch für Andrés Alzate Gavira, dessen höhensicherer Tenor mit den anspruchsvollen Koloraturen gut zurechtkommt, sodass sein Don Ramiro einen ausgezeichneten Eindruck hinterlässt.

Als im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehende Cenerentola erweist sich die Amerikanerin Rachel Deatherage als eine ungemein einnehmende Persönlichkeit. Mit einem für den Belcanto-Gesang idealen Mezzosopran ausgestattet, meistert sie die gesanglichen Herausforderungen mit Bravour und weiß auch darstellerisch zu überzeugen, zu bewegen und die Sympathien auf sich zu ziehen.

Großes, unterhaltsames Operntheater auf kleinstem Raum: Das Sommerfestival Schloss Kirchstetten bestätigt mit La Cenerentola eindrucksvoll, wofür es zu Recht von Opernliebhabern geschätzt und geliebt wird.

 

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