Schleswig/ Schleswig-Holsteinisches Landestheater
EIN TANZPALAST
Eine getanzte Zeit-Reise durch 125 deutsche Jahre
Besuchte Aufführung am 17.5.2025
Zu Beginn schlüpfen die Akteure in ihre roten Schuhe (Foto: Thore Nilsson)
Mit Ein Tanzpalast bringt das Schleswig-Holsteinische Landestheater eine Revue auf die Bühne, die in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich ist: Zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler ohne tänzerische Ausbildung verkörpern 125 Jahre deutsche Geschichte – allein durch Bewegung, Musik und Körpersprache. Kein gesprochenes Wort lenkt ab, keine Erzählstimme erklärt. Das ist Stärke und Schwäche zugleich, denn manchmal fühlt man sich als Zuschauer von den aneinandergereihten Szenen ein wenig alleingelassen.
Regisseur Wolfgang Hofmann inszeniert die Reise durch wechselvolle Epochen mit bewusstem Blick auf das Unperfekte. Die Inszenierung lebt von Brüchen und Momenten des Innehaltens. Nichts wirkt glattgebügelt – und gerade deshalb alles authentisch. Choreografin Kristin Heil meistert dabei das Kunststück, das Ensemble in ein tänzerisches Miteinander zu führen, das zwischen formaler Schönheit und clownesker Überzeichnung oszilliert. Sorgsam hat sie mit dem Schauspielensemble choreografisch eine Reise durch 125 Jahre deutscher Geschichte erarbeitet. Die tänzerischen Qualitäten der Einzelnen variieren dabei erheblich – was manchen, wie der auch auf der Bühne agierenden Heil, leichtfällt, wirkt bei anderen hart erarbeitet.
Ein stummes Spiel zweier Conférenciers (Dennis Habermehl und Tom Wild) gibt den Takt vor – assistiert durch das stetige Schlagen eines Metronoms. Diese Idee zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend: Zeit wird nicht erzählt, sie wird empfunden, gespürt, getanzt. Wenn der Koffer mit Tanzschuhen geöffnet wird, beginnt ein assoziativer Reigen voller Anspielungen: der Gleichschritt der Kaiserzeit, die wilden 1920er, die Nazi-Herrschaft, die Nachkriegszeit, die Teilung Deutschlands in Ost und West, die schrillen Jacken der 1980er, der Mauerfall, Corona – und immer wieder der Versuch, Haltung zu bewahren im Chaos der Jahrzehnte. Die Akteure vollziehen dabei Kostüm- und Frisurenwechsel selbst – und zwar offen auf der Bühne.
Es ist ein Abend voller Bilder: Anfangs scheint es, als würden sich die roten Schuhe selbstständig in Bewegung setzen, während die Körper der in ihnen steckenden Menschen mehr oder weniger ungelenk folgen. Die Musik – ein Kaleidoskop aus Walzer, Rock’n’Roll und elektronischen Klängen – trägt das Ensemble und lässt Raum für Nachklang. Von Schostakowitschs *Walzer Nr. 2* (chronologisch zu Beginn nicht ganz stimmig) bis hin zu Helene Fischer reicht der Klangteppich, der über 75 Minuten durch 125 Jahre Geschichte führt. Mal werden die Zuschauer in einen schillernden Technotempel entführt, mal in eine gespenstische Szene gesellschaftlichen Stillstands.
Dass die Darstellerinnen und Darsteller keine professionellen Tänzer sind, wird zur besonderen Note des Abends. Ihr Einsatz, ihre Spielfreude und der Mut zur Bewegung jenseits technischer Perfektion verleihen diesem Stück seinen einzigartigen Charakter.
Ein Tanzpalast ist eine ebenso unterhaltsame wie bewegende Geschichtsstunde. Keine klassische Revue, kein Lehrstück – sondern ein tänzerisches Potpourri, das deutsche Geschichte mit Humor, Tiefe und viel Taktgefühl spürbar macht.
Trailer: