BUCH: Michael Horowitz/Otto Schenk
SCHENK – DAS BUCH – Ein intimes Lebensbild
Verlag Molden 2020; 240 Seiten; ISBN 978-3-222-15047-0; €35.-
Karl Masek (Juni 2020)
Pünktlich zum Neunziger des Otto Schenk ist dieses Buch erschienen. Der Journalist, Autor und Fotograf Michael Horowitz hat diesen opulenten Band herausgebracht. Und der „Otti“ – wie er bis heute liebevoll genannt wird – ist in diesem reich bebilderten Lebensbuch weit mehr als bloß ein Co-Autor.
„Von der Magie des Menschenfressers“ ist im Klappentext die Rede. „Otto Schenk … überzeugt als beeindruckender Menschendarsteller durch seine einzigartige künstlerische Vielseitigkeit. Dieses intime Lebensbild zeigt den ‚Menschenfresser‘, der sein Publikum und jene Momente, die ihn berühren, glücklich und nachdenklich machen. Es präsentiert den großen Unterhalter … und einen abseits der Bühne nachdenklichen Melancholiker.“
Auf den Flügeln des Gesanges (Helmuth Lohner, der verschüchterte Gesangseleve, Otto Schenk als „Kammersänger“) C: Doliwa
Vieles glaubt(e) man über den Schauspieler, den Regisseur, den Intendanten, den Weltmeister unter den „Vorlesern“, den frühen Fernsehstar aus vergangenen Schwarz-Weiß-Zeiten längst zu kennen. „Den Schenk“ gab es – gefühlt – schon immer. Wer könnte diese Figuren je vergessen: den Würstelmann, den Untermieter,…? „Straßenfeger“ nannte man seine Programme. Legendär bleiben die Sketche mit Alfred Böhm (etwa die Dingsda-Parodien, wenn sie als „Kinder“ den Begriff ‚Waschmaschine‘ umschreiben sollten) und Helmuth Lohner (als die zwei Babys im Kinderwagen oder ‚Auf den Flügeln des Gesanges‘). Hinreißend und Zwerchfell erschütternd, immer wieder!
Die Lieblingsrolle: Die Sternstunde des Josef Bieder (C: Doliwa)
Natürlich seine selbst als solche bezeichnete absolute Lieblingsrolle „Die Sternstunde des Josef Bieder“ („Ich habe sie am liebsten gespielt, weil ich in der Maske dieser Figur loswerden konnte, was ich übers Theater zu sagen hatte“). Wenn „Otti“ über diese Zeit erzählt – mit seiner charakteristischen, immer ein bisserl brüchig-wehmütigen Stimme – so wird man jedes Mal aufs Neue zum Lachen gebracht („Sie schauen einem Schauspieler so ähnlich … genau … dem Otto Schenk … des woarn no Zeiten, wie die zwa, der Schenk und der Fredi Böhm, noch im Fernsehn g’spielt haben… alle schon g’storben…“: Man lacht immer wieder.
Der kleine Otti auf dem Arm der großen Schwester Bianca C: Archiv Schenk
Vieles in dem soeben erschienenen Buch erscheint aber doch neu und zeigt ungeahnte Facetten seiner vielschichtigen Persönlichkeit. Allein die Kinderfotos! Schon der Einjährige mit den markanten Gesichtszügen und dem oft skeptischen Blick, er sah dem erwachsenen, dem alten Schauspieler bereits unglaublich ähnlich. Berührend, wie er seine „Nonna“, die Großmutter, beschreibt: „Sie war mein Kamerad, mit dem ich blödeln konnte … sie war eine unendlich geduldige Zuhörerin, die all meine kindlichen Sorgen und Anliegen mit mir teilte. Immer, wenn ich schlimm war, hat sie mich von jeder Schuld freigesprochen…
Überhaupt stellt sich beim Lesen seiner Beiträge im Buch sofort ein Gefühl ein, als hätte man ihn live (im Ohrensessel sitzend) vor sich und würde einer privaten Erzählstunde lauschen. Über seine große Schwester Bianca, die mit 18 Jahren emigrierte. Über die frühe Arbeit am Theater. Über die Arbeit mit und die Bewunderung für berühmte(n) SchauspielkollegInnen und SängerInnen. Über sein „Grausen vor dem Unechten“, dem Plädoyer für Natürlichkeit auf der Opernbühne und auf dem Theater („Ich war immer ein Wahrheitsforscher, der sorgfältig auf die Details achtete“). Über die „Kunst des höheren Blödelns“ und die „Zwillingsschwestern Komödie und Tragödie“.
Dieses Buch ist aber auch ein Zeitdokument, beginnend mit dem Ende der Ersten Republik, über die Kinderzeit im Ständestaat, das Überleben im Zweiten Weltkrieg als Sohn des jüdischen (getauften) Vaters und der Mutter mit italienischen Wurzeln, über 75 Jahre Zweite Republik.
Erinnerungen an Gemeinsames teilen im Buch Freunde und Weggefährten wie Rudolf Buchbinder („Er ist der weltbeste Geschichtenerzähler. Auch wenn das, was Otti Schenk erzählt, nicht immer wahr ist – es ist stets wahrhaftig. So wie unsere Freundschaft!“), Heinz Marecek („Sänger rissen sich darum, mit ihm zu arbeiten, wurden unter seiner Führung zu entfesselten Commedia dell’arte-Schauspielern, wurden ungeschickt, wenn sie liebten, weinten in der Wut und lachten im Schmerz…“), Marianne Nentwich („Mit ihm zu spielen ist ein Geschenk, aber er liebte es, uns ständig in große Verlegenheit zu bringen… er setzte alle seine Mittel ein, uns zum Lachen zu verführen“), Hilde Dalik („Auf der Bühne bei ‚Schon wieder Sonntag‘ ist von Ottis angeblicher Müdigkeit nichts mehr zu spüren. Er ist plötzlich putzmunter, agiert gewitzt, improvisiert,… und er ist körperlich viel größer auf der Bühne als im echten Leben. Ich weiß nicht, wie er das macht.“), Michael Niavarani („Es gab nach der Verleihung des Nestroy-Rings einen wunderschönen Moment zwischen uns beiden…Herr Schenk hat mich gefragt: ‚Herr Niavarani, wollen Sie, statt mit diesen ganzen Menschen essen zu gehen, mit mir schwimmen gehen?‘ Daraufhin habe ich zu meiner Frau gesagt: ‚Schatz, ich kann nicht mitgehen, ich muss mit dem Schenk schwimmen gehen…“) und Erwin Steinhauer („So viel gelacht wie in der großen Gemeinschaftsgarderobe der Kammerspiele habe ich nie wieder!“).
Lesung für die Hunde vom Irrsee (C: Michael Horowitz)
Dann aber: Der nachdenkliche, der melancholische Otto Schenk („Wenn man nachdenkt, kann man gar nicht glücklich sein“). Und neun Jahrzehnte haben sich eingekerbt mit allen Höhen und Tiefen des Lebens.
Dem „Wunder Oper“ blieb „der Schenk“ zeitlebens verfallen. Wagners „Meistersinger“ zogen den 12-Jährigen in Bann, Musik, Musiktheater, wurde zu selbstverständlicher Kommunikation. Für Jahrzehnte blieb die Opernregie Hauptgebiet seiner künstlerischen Tätigkeit von Wien, Salzburg, München, Mailands „ La Scala“, London bis zur New Yorker „Met“. Ungezählte Weltstars haben sich begeistert an die Zusammenarbeit mit ihm erinnert. Sie alle waren „Menschen seines Lebens“. Viele von ihnen sind nicht mehr am Leben. Auch beim Leser schwingt Wehmut mit.
Bei der Lektüre des Buches (es ist eines, das man am liebsten in einem Zug durchlesen würde, es zwischendurch wegzulegen ist kaum möglich) kommt einem unwillkürlich Joachim Ringelnatz in den Sinn. Ungezählte Menschen können den „Bumerang“ auswendig hersagen, als gesprochenen Ohrwurm, als Schlusspunkt und traditionelle, ultimative Zugabe bei seinen Leseabenden. Vergleichbar eigentlich nur mit Donauwalzer & Radetzkymarsch beim Philharmonischen Neujahrskonzert.
Ein würdiges Buch, eine liebevolle Hommage zu Lebzeiten für eine künstlerische Institution seit vielen Jahrzehnten, für eine lebende Legende.