Paul Abraham: Märchen im Grand-Hotel • Gastspiel des Theaters Pforzheim im Stadttheater Schaffhausen • Vorstellung: 08.01.2022
„… was Pikantes und doch nicht zu Riskantes, was Keckes, was Erotisches, was Spannendes, Exotisches, Apartes, ganz Spezielles, kurz: was Sensationelles“
Seit einigen Jahren erlebt der Komponist Paul Abraham erfreulicherweise eine Renaissance und wird wieder vermehrt aufgeführt. Vorreiterin war Barrie Koskys Komische Oper in Berlin, verschiedene Theater, so nun auch Pforzheim, sind gefolgt.
Foto: © www.theater-pforzheim.de
Regisseur Tobias Materna inszeniert die nach der «populären Trilogie» («Viktoria und ihr Husar», «Ball im Savoy» und «Die Blume von Hawaii») und kurz vor der erzwungen Emigration Abrahams entstandene Lustspiel-Operette eng dem Libretto folgend. Das Bühnenbild von Jörg Brombacher besteht für das Vor- und Nachspiel aus einem grossen, schon fast an einen Leitstand erinnernden Schreibtisch mit einer ganzen Batterie Telefone. Eines ist rot und ganz im Sinne Abrahams und seiner patriarchalen Parodie die direkt Linie des Filmproduzenten Sam Makintosh (Credo bei der Suche nach Film-Stoffen: «… was Pikantes und doch nicht zu Riskantes, was Keckes, was Erotisches, was Spannendes, Exotisches, Apartes, ganz Spezielles, kurz: was Sensationelles») zu seiner Tochter Marylou. Für die beiden Akte hat Brombacher den Innenraum eines zeitgenössischen Grand-Hotel auf die von Abraham explizit verlangte Drehbühne gestellt. Für den Wechsel des Schauplatz von Hollywood an die Cote d’Azur und zurück hat Abraham eigens Verwandlungsmusiken komponiert. Mit viel Liebe zum Detail erfolgt der Sprung über den Atlantik nicht ohne Halt in der Schmuckstadt und am Rheinfall, illustriert mit Landkarte und Flugzeug ähnlich wie im Film «Schlaflos in Seattle». Das Kostümbild von Gesa Gröning orientiert sich eben falls grosszügig an der Entstehungszeit. Janne Geest hat die wunderbar beweglichen Tanzenden (Fabienne Deesker, Mikaela Kos, Emanuele Senese, Tse-Wei Wu) des Ballett Theater Pforzheim choreographiert. Szenisch beeindruckt der Abend durch eine in vorbildlicher Weise werkgerechte Inszenierung, die der Musik Abrahams den Platz lässt, den sie braucht, und dem Publikum uneingeschränkt Vergnügen bereitet.
Foto: © www.pforzheim.de
Musikalisch könnte der Eindruck des Abends genau so hervorragend sein, denn Badische Philharmonie Pforzheim unter Leitung von Florian Erdl musiziert Abrahams Musik schwungvoll und rhythmisch prägnant. Könnte, denn in Schaffhausen sind im Gegensatz zu Pforzheim keine Microports im Einsatz, so dass das Orchester den ganz Abend über viel zu laut ist und die Solisten, gerade die Musicalsänger, gnadenlos zudeckt. Das offenbar bekannte Problem wird auch nicht durch eine Entschärfung der Inszenierung wie zum Beispiel der Vermeidung von Singen mit dem Rücken zum Zuschauerraum auf oder auf dem hinteren Bereich der Bühne gelöst. Schade, denn es war zu erahnen, dass das Ensemble einen rundum gelungenen Operetten-Abend hätte bieten können.
Lukas Schmid-Wedekind gibt mit prächtigem Bass den Filmmagnaten Sam Makintosh und den Baron Don Lossas San Diego. Joanna Lissai ist in der Rolle seiner Tochter Marylou Makintosh eine Idealbesetzung, die wunderbar den Typus der selbstwussten Frau inmitten der patriarchalen Gesellschaft verkörpert. Benjamin Savoie bietet eine grandiose Interpretation des Zimmerkellner Albert. Helena Steiner gelingt eine sensible Infantin Isabella von Spanien. Philipp Werner gibt ihren Verlobten Prinz Andreas Stephan. Thorsten Klein als Gräfin Pepita lnez de Ramirez, Spencer Mason als Grossfürst Paul, Jon Geoffrey Goldsworthy als Präsident Chamoix und Dramaturg Dryser, Jens Peter als Hoteldirektor Matard und Sekretär Barry und Fabienne Deesker als Zofe Mabel und Sekretärin ergänzen das überzeugende Ensemble.
09.01.2022, Jan Krobot/Zürich