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SAVONLINNA: OTELLO (2. Vorstellung)

13.07.2016 | Oper

Savonlinna: Otello – 12.7.2016, 2. Vorstellung

Wie sich die Zeiten doch geändert haben? Ich erinnere mich noch genau der Sensation, als (natürlich unter großem Pressegetöse) 1986 der damalige Intendant der Hamburgischen Staatsoper Rolf Liebermann mit Marie-Jeanne Dufour zum ersten Mal eine Frau am Dirigentenpult präsentierte. Und noch vor 10 Jahren bewarben die Savonlinna Opernfestspiele 2006 ihre Neuproduktion der Oper „Carmen“ mit überlebensgroßen Porträts der (zugegebenermaßen überaus attraktiven) estnischen Dirigentin Anu Tali. Heute ist nun (fast) Normalität eingetreten, und es wird gleichsam am Rande zur Kenntnis genommen, dass der „Otello“ in Savonlinna von einer Frau geleitet wird. Dabei hätte diese, die Chinesin XIAN ZHANG, es durchaus verdient, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt zu werden, denn dass diese Vorstellung zu einer der beglückendsten in 21 Jahren Burgbesuchen wurde, lag zum großen Teil an ihr. Vom ersten Einsatz an ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie die Aufführung „leiten“ würde. Mit großformatigen, energischen Gesten hielt sie Bühne und Graben perfekt zusammen (allein dies schon beeindruckend angesichts der großen Bühnenbreite), gab jeden Einsatz, „führte“ somit das Ensemble, war aber auch in der Lage, sich den Sängern in den Soloszenen anzupassen und sie behutsam zu begleiten. Wenn ich trotz dieser Leistung nicht wunschlos glücklich war, lag es daran, dass in manchen Momenten der dramatische Impetus mit Xian Zhang durchging und sie die gewiss nicht kleinvolumigen Sänger in Klangmassen geradezu „ertränkte“. Trotzdem, dieses Dirigat macht Freude auf eine Wiederbegegnung.

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„Fuoco di gioa“ (photo: Soila Puurtinen, Itä-Savo)

Besonders im 1. und 3. Akt hatte der Chor (Einstudierung MATTI HYÖKKI) mannigfaltige Gelegenheit, seine überragende Qualität unter Beweis zu stellen. Es ist immer wieder eine der Freuden jedes Besuches einer Oper in der Burg Olavinlinna, die Klangwucht und die Schönheit dieser jungen Stimmen zu genießen.

„Genießen“ scheint mir der richtige Begriff zu sein, um den Gesamteindruck dieser Produktion zu beschreiben. Wenn die Regisseurin NADINE DUFFAUT im Booklet schreibt, sie wolle Raum schaffen für die Vorstellungskraft der Zuschauer und jedem einzelnen den ihm eigenen Zugang zu diesem Werk ermöglichen, so macht sie diese Aussage heutzutage einer „fortschrittlichen“ Kritik verdächtig. Wo bleibt hier die Interpretation? Wo bleibt der Zeitbezug, die Auseinandersetzung zwischen Islam und Christentum, mit Rassismus? Dieser Ansatz, das Werk durch sich selbst sprechen und kein kritisches Hinterfragen sich zwischen Oper und Publikum stellen zu lassen, ist in der heutigen Zeit geradezu revolutionär und macht die Regisseurin in meinen Augen nur sympathisch. Wenn sie noch auf die meiner Ansicht nach überflüssigen Videoprojektionen (dies ihre einzige „Zutat“) verzichtet hätte, wäre ich noch zufriedener gewesen, fügte sich diese Produktion (Bühnenbild EMMANUELLE FAVRE) doch ideal in das Ambiente der Burg ein. Eine konventionelle Inszenierung sicherlich, aber eine, die nicht so schnell vom Zeitgeist überholt wird.

Im Vergleich zur Premiere (8.7.), in der die Mariinsky-Sopranistin Ekaterina Goncharova als Desdemona und der finnische Bariton Tommi Hakala als Jago angesetzt waren, hatte sich die Besetzung am 12.7. nur in diesen beiden Partien verändert, und besonders die Desdemona der Russin YANA KLEYN war alles andere als nur eine „Zweitbesetzung“.

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Yana Kleyn als Desdemona (photo: Soila Puurtinen, Itä-Savo)

Diese junge Sängerin, die an der Stockholmer Oper vornehmlich im lyrischen Fach eingesetzt wird, war mir bis dato nicht bekannt, nach dieser Aufführung wird es aber interessant sein, ihre Entwicklung weiter zu verfolgen. Yana Kleyn besitzt exakt die richtige Stimme für die Desdemona, sowohl für die lyrischen Szenen des 1. und 4. Akts als auch für die großen, das Orchester überstrahlenden Ausbrüche des 3. Akts. Es war nicht das Timbre allein, dass ihre Interpretation so memorabel machte, sondern die glutvolle Ausgestaltung, die Emotionalität, die die Zuhörer unmittelbar erfasste. Zu Recht stand sie im Mittelpunkt der Ovationen des Publikums, und ich würde mich freuen, diese Sängerin noch oft zu erleben, denn ihre Desdemona war mehr als ein bloßes Hörerlebnis; es war ein Gesamterlebnis.

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Kristian Benedikt (Otello), Elia Fabbian (Jago) – photo: Soila Puurtinen, Itä-Savo

Neben dem Letten Aleksandrs Antonenko (er wird die letzten drei Otello-Vorstellungen bestreiten) ist der Litauer KRISTIAN BENEDIKT gut im Geschäft, als Otello, Samson, Pique Dame-Hermann, Canio, aber auch erstaunlicherweise als Cavaradossi. Zwar verfügt er nicht über das baritonale Material, das für meinen Geschmack immer noch das ideale für diese Rolle ist (aber das hatte auch ein Domingo nicht!), aber er wirft sich mit Verve in die Forte-Ausbrüche, die manchmal nicht ungefährdet klingen, und kann seine großvolumige Stimme auch gekonnt in ein gut durchgestütztes piano zurücknehmen, damit vor allem im Liebesduett und in der Schlussszene guten Effekt machend. ELIA FABBIAN’s knorriger, robuster Charakterbariton ist für Jago gut geeignet, weniger für Rollen wie Giorgio Germont, für die er auch an mittleren Bühnen verpflichtet wird und für die ihm ein individuelleres Timbre und die Geschmeidigkeit der Tonproduktion abgeht. Bei Fabbian ist also nicht das Womit ausschlaggebend, sondern das Wie, und das war für Jago durchaus zufriedenstellend.

Bis auf die drei Protagonisten waren alle anderen Partien mit finnischen Kräften besetzt, durchaus zu Recht. Warum sollte man wie in der Vergangenheit die mittleren Rollen mit Gästen besetzen, wenn dies auch ohne Qualitätsverlust mit einheimischen Sängern möglich ist? Pauschallob für NIINA KEITEL (Emilia), JUSSI MYLLYS (Cassio), ILKKA HÄMÄLÄINEN (Roderigo), PETRI LINDROOS (Lodovico), MARKUS NIEMINEN (Montano) und JUHA ESKELINEN (Herold) – keiner von ihnen schlecht, aber auch nicht so gut, dass er/sie besonders positiv auffiel. Auffiel mir jedoch Markus Nieminen. Die Wiener werden sich vielleicht noch an sein Engagement an der Wiener Staatsoper erinnern, damals noch als Kavaliersbariton, und solche Rollen sang er noch bis vor kurzem. Als Montano hörte ich jedoch einen ganz anderen Markus Nieminen, das Material viel dunkler timbriert, enorm im Volumen gewachsen – aber auch viel älter klingend. Eine positive Entwicklung???

Sune Manninen

 

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