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SAVONLINNA/ Festival: LA BOHÈME und NORMA Gastspiel Teatro Regio di Torino

04.08.2016 | Oper

Savonlinna: Teatro Regio di Torino mit La Bohème & Norma – 2./3.8.2016

GIANANDREA NOSEDA ist in diesem Teil Finnlands kein Unbekannter, dirigierte er doch in den Jahren 2000 und 2002 im 105 km von Savonlinna entfernten Mikkeli bei Valery Gergievs dortigem Festival Aufführungen und Konzerte, damals in der Funktion als Principal Guest Conductor des Mariinsky-Theaters. Seitdem hat seine Karriere einen enormen Aufschwung genommen, u.a. zur New Yorker Metropolitan Opera. Seit 2007 ist Noseda Musikalischer Leiter des Teatro Regio di Torino und ließ es sich nicht nehmen, das Gastspiel seines Theaters beim Savonlinna-Opernfestival höchstpersönlich zu leiten. Der Eindruck, den er dabei mit „La Bohème“ (2.8.) und „Norma“ (3.8.) hinterließ, konnte nicht unterschiedlicher ausfallen. Beiden Aufführungen gemeinsam war seine prägnante, überaus deutliche Schlagtechnik, doch wenn ein guter Operndirigent in der Lage und willens sein sollte, eine ausgewogene Balance zwischen Führen und Anpassen zu halten, so war Noseda bei der Puccini-Oper eindeutig der „Führer“, der Bühne und Graben an der kurzen Leine hielt, den Sängern somit wenig Raum zur Entfaltung lassend. Ganz anders dagegen bei der Bellini-Oper, bei der er wesentlich flexibler auf die Sänger einging und sich hier als ein aufmerksamer Begleiter erwies. Die Klangqualität des Orchesters war hervorragend, wie sich auch der Chor des Opernhauses fast mit dem festivaleigenen Ensemble messen konnte. Regie (VITTORIO BORRELLI) und Dekorationen (SAVERIO SANTOLIQUIDO) passten sich erfolgreich den Verhältnissen und Dimensionen der Burgbühne an, ließen schnelle Umbauten zu und sorgten für eine Atmosphäre reiche Umsetzung der Stückvorlagen. Anhänger des sog. „Regietheaters“ kamen weniger auf ihre Kosten.

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Stefano Secco (Rodolfo) und Erika Grimaldi (Mimi) – Foto: Soila Puurtinen, Itä-Savo

Sängerisch hatte die Wiedergabe der Puccini-Oper gerade bei den tiefen Männerstimmen eine beachtliche Qualität. Dass ich den Namen des Marcello (SIMONE PIAZZOLA) bisher nicht kannte, ist mein Versäumnis, denn diesen Bariton mit seiner prägnanten, viril-kraftvollen Stimme führte sein Weg u. a. bis an die Scala, in Deutschland nach Berlin und München – ein Sänger, von dem man mit Sicherheit noch Großes hören wird. Und es spricht für den Standard des Turiner Opernhauses, dass als Schaunard mit SIMONE DEL SAVIO ein Sänger auf der Bühne stand, der bei der Turiner Bohème-Premiere im Oktober den Marcello übernehmen wird und seinem Kollegen in nichts nachstand. Der Russe ALEKSANDR VINOGRADOV prunkte als Colline mit seinem dunkel getönten, groß dimensionierten Material. Schade nur, dass er sich bei der Mantel-Arie die Gelegenheit entgehen ließ, etwas mehr piano-Kultur zu demonstrieren und sich mehr auf sein kraftvolles forte verließ. Erstaunlich stimmkräftig als Benoit und Alcindoro: MATTEO PEIRONE.

Die Südafrikanerin KELEBOGILE BESONG war eine stimm- wie typgerechte Musetta – ein gut geführter, interessant timbrierter Sopran, der in mir lediglich die Frage aufkommen ließ, wie sie mit ihrem eher leichtgewichtigen Material den Anforderungen einer Aida (Malmö, Essen) gerecht werden konnte. Und das Liebespaar? Gewiss nicht schlecht, doch zumindest nach Meinung nur Durchschnitt, ohne das gewisse Etwas in der Stimme, das zum Zuhören zwingt. STEFANO SECCO ist ein zuverlässiger „Gebrauchssänger“ ohne ein in meinem Ohr haftenbleibendes Timbre; strahlkräftige Höhen (wenn auch teilweise „aufgesetzt“), auf die er sich unter Vermeidung von piani verließ. Für meinen Geschmack war die Stimme ERIKA GRIMALDI’s für Mimi weniger geeignet. Hier erwarte ich im Prinzip ein Mehr an Süße und Weichheit, ohne die latente Härte in der Tongebung. Trotz dieser Einschränkung der in Savonlinna vorhersehbare Publikumserfolg mit Füßetrampeln und standing ovations.

Dieselbe überschwängliche Publikumsreaktion gab es am nächsten Abend auch für „Norma“. Wann gibt es schon Belcanto pur im hohen Norden zu hören? Doch auch diese Aufführung blieb für Zuhörer mit einer gewissen Vorerfahrung bei diesem Werk nicht ganz ohne kritische Anmerkungen.

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Elena Mosuc als Norma – Foto: Soila Puurtinen, Itä-Savo

Wer die Vorstellung ohne Vorerfahrungen, die manchmal sogar Vorurteile sind, auf sich wirken ließ, war gewiss im Vorteil, doch so ganz konnte ich mich nicht von dem Stimmklang freimachen, den ich von einer Norma erwarte, und der ist nun einmal (zumindest bei mir) von Callas & Co geprägt. Dem entsprach ELENA MOSUC nur wenig, doch bewältigte sie, die sich als frühere hohe Koloratursopranistin in den letzten Jahren die dramatischen Belcanto-Partien erarbeitet hat, alle Schwierigkeiten der Norma vorzüglich und packte die Zuhörerschaft durch ihre expressive Gestaltung. Mangel an Farben war auch bei VERONICA SIMEONI’s Adalgisa und GREGORY KUNDE’s Pollione zu konstatieren, doch frappierte der nunmehr 62jährige Tenor, der vor vier Jahren von Rossinis Otello zu Verdis Mohren wechselte, durch die ungebrochene Stimmkraft seiner metallischen Höhen, wenn auch ein Mehr an Nuancierungen wünschenswert gewesen wäre. Nach einem russischen Bass in „Bohème“ (Vinogradov) war es interessant, in MICHELE PERTUSI’s Oroveso einen Vertreter der italienischen Gesangsschule zu hören, und Pertusi machte mit seinem klangschönen, warm timbrierten Material seine Szenen zu Höhepunkten.

Fazit nach acht von mir besuchten Aufführungen: Es hat sich wieder einmal gelohnt, nach Savonlinna gekommen zu sein. Kompliment an das Leitungsteam Jorma Silvasti / Jan Strandholm, mit „Don Giovanni“ und „Otello“ für Einnahmen gesorgt zu haben, die das vorhersehbare mangelnde Publikumsinteresse an Janáčeks „Aus einem Totenhaus“ kompensiert haben, eine Produktion, die bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Die Gastspiele zweier italienischer Opernhäuser bzw. -festivals vermittelten die Bekanntschaft mit einem Regiestil, der zumindest in Italien noch vorherrscht – die Dominanz des Stückes, nicht die der Interpretation des Regisseurs.

 Im nächsten, für Finnland überaus wichtigen Jahr (100 Jahre Unabhängigkeit von Russland) wird es neben zwei Eigenproduktionen („Die Entführung aus dem Serail“ und „Rigoletto“) die Uraufführung von Aulis Sallinens Auftragswerk „The Castle in the Water“ sowie die Oper „Kullervo“ desselben Komponisten geben. Das Moskauer Bolshoi-Theater wird mit „Iolanta“ und „Eugen Onegin“ (letzteres in konzertanter Form) gastieren, das Teatro Real Madrid mit „I Puritani“ sowie interessanterweise Sibelius‘ „Kullervo“.

Sune Manninen

 

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