Salzburger Festspiele: 23.8.2015: Felsenreitschule: „MACKIE MESSER“
Ist Derartiges wirklich – „Eine Salzburger Dreigroschenoper“?
Schlimmer geht´s nimmer, viele der anwesenden Zuschauer und vor allem der versierten Zuhörer schienen zu träumen und nickten auch ein. Oder blickten zurück im Zorn, zuhörend und kopfschüttelnd -!!!…. Der Schauplatz Felsenreitschule hatte bisher schon vieles erlebt, große Oper und großes Welttheater und große Konzerte. Bis hin zu Ereignissen von Tanzkunst und Balletten (ja schließlich sogar von solchen mit Rossen – die seinerzeitige architektonische Bestimmung des Riesen-Raumes, lebte heuer wieder auf zum Pfingst-Festival, angeführt von einer edlen andalusischen Pferdeballett-Truppe). Doch der jetzt gezeigte „Mackie Messer“ will offenbar vor allem Big-MUSICAL-Show in der Felsenreitschule sein, und ist dabei eine herzlich brustschwache Kuriosität, besonders hörbar entfernt vom Welterfolg. Ein modernistisch aufgeputzter und vor allem orchestral aufgepeppter Musical-Verschnitt des legendären Brecht-Weill-Werkes „Die Dreigroschenoper“. Hier hast du`s staunend gesehen und vor allem, hatte man es andersrum g e h ö r t…
Was kaum zu glauben ist, muss man schon zweimal im Programm nachlesen, um die ganze Tragweite zu erkennen, dieses Mach-Werk läuft doch tatsächlich unter der Autorisierung des berühmten weltweiten Musik-Verlages „Universal Edition“, die einen bisher international renommierten Ruf hat, unter dem Etikett: Einmalige Experimental-Fassung in der musikalischen Adaption von MARTIN LOWE!
Und diese Einmaligkeit war kalendarisch nicht allein das erste Mal in der Premiere am 11.8. zu erleben! Sondern darauf folgten weitere „einmalige“ Vorstellungen am 13., 14., 16.. 20.. 23.. 25. und 27. August, also gezählte 8mal, auf dass wohl die dann noch üppiger sprudelnden Tantiemen-Quellen nicht so ganz vorschnell zum Versiegen kommen sollten?! Kim H. Kowalke, seines Zeichens Präsident der Kurt Weill Foundation for Music New York, autorisierte das Ganze noch dazu in seinem ausführlichen Programm-Beitrag im Salzburger Festspiel-Programm-Heft. Er, der im Grunde Kurt Weills musikalischer Lordsiegelbewahrer ist – „doch die Verhältnisse, die sind nicht so“ – und das seit dem Tode von Lotte Lenya 1981!
Martin Lowe, englischer Orchestrator, hatte sich Sporen und Renommée erworben für das Arrangieren des ABBA-Musicals „Mamma Mia“, wie auch für dessen Verfilmung. In Salzburg ist er der Verantwortliche für die neue „Jedermann“-Musik. Das Produktions-Team der Einmaligen Experimental-Fassung, besteht aus dem Um-Arrangeur Martin Lowe, dem englischen Regisseur Julian Crouch, sowie dem Festspiel-Direktoriums-Mitglied und Co-Regisseur Sven Eric Bechtolf. Alle drei konnten den Stiftungsrat der Weill Foundation auf irgend eine Weise überzeugen, dass die Salzburger Festspiele im Kontext einer neuen Bühnenproduktion eine geradezu ideale Präsentations-Plattform bilden könnte! Als Äquivalent gäbe es noch dazu eine einzige konzertante Aufführung von Weills Dreigroschenoper-Originalmusik unter Dirigent H.K. Gruber (sie war dann erst n a c h der Premiere zu hören am 15.8.!), mit den Solisten Sona MacDonald und Max Raabe. Dieses Original wäre der Lowe-Bearbeitung gegenüber gestellt – (quasi als „Wiedergutmachung“?) – Was den doch einigermaßen zur Verwunderung und zum totalen Ungleichgewicht Anlass geben sollte.
Die „Dreigroschenoper“ (UA August 1928 am Berliner „Theater am Schiffbauerdamm“) geht bald ihrem 90. Geburtstag entgegen. Was gewinnt das Werk, wenn es von einem Arrangeur für das „Theater heute“ aus seiner grandios orchestrierten Originalgestalt abgeschliffen, glatt gestriegelt und dann auf zeitgeistig aufge-mascherlt wird? Verliert es doch durch musikalische Adaption als Jahrhundertwerk alle inhärenten typischen instrumentalen Ecken und Kanten, die aufregende historische Modernität geht flöten und ebenfalls der ewig typische Bänkelsänger-Ton, alles Atouts des zeitlos farbigen Instrumentariums des Genies von Kurt Weill. Dank seines genialischen musikalischen Fingerabdruckes (lt. Zitat Lotte Lenya: „die beißende Schärfe, die ironische Romantik und die geniale Banalität!“) kann es durch Um-Instrumentierung nur Einbußen geben! Milieumäßig ergibt sich ohnehin schon genug Nähe zu „…Wir armen Leut´“ von „Les Miserables“ oder „Sweeny Todd“. – Welche Publikumsschichten will man da künftig mit einer derartig aufgemischten, eingedampften, weichgespülten Synthesizer-gestützten Fassung bedienen?…will man gar extralange Laufzeiten, wie für ein Disney-Musical generieren? – Man merkt die Marketing-Absicht und ist verstimmt, sofern man sich nicht ohnedies fremd-schämt für die Durchsichtigkeit des Haschens nach Tantiemen…
Nach Grundsätzlichem nun noch einiges zur Realisierung. Man erkennt oft viele Songs erst wieder aufgrund der Texte und der spezifischen Brecht´schen Sprache. Zumal wenn zuvor jeweils ein pompöses Intro anhebt mit bombig lautstarker Schlagwerk-Batterie, samt den zwei dudelnden Keyboards, exekutiert von den 19 Musiker vom Ensemble 013. (sie sind ansonst im Freien beschäftigt bei Diensten am „Jedermann“-). Dirigent Holger Kolodziej im großen Graben hat die Aufsicht über den ganzen ausgebreiteten musikalischen Strudelteig.
Zu allem Anfang wird ein altes Grammophon an die Rampe gestellt, es ertönt ein Häppchen historischer Drei-Groschenoper-Aufnahme. Aus aufgehäuften Lumpen eines Podests schält sich dazu Jenny heraus (Sona MacDonald). Sie präsentiert sich mit der „Mackie-Messer-Moritat“ des Haifisches und besticht eigentlich im Grunde als Einzige aus allen anderen nachfolgenden Solisten des Ensembles. Denn sie hat die ironische kritische Distanz zur Figur, zur Rolle und zu den Songs! Kein Wunder, war sie doch auch tatsächlich im ein-maligen konzertanten Original-Weill ebenso an der Front besetzt (gemeinsam mit dem fabelhaften Max Raabe!). An Präsenz kommt ihr in etwa nahe die dankbare Rolle der Mrs. Peachum (Pascal von Wrobelewsky), in der Figur wie eine Puff-Mutter, bringt sie glaubhaft die „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ rüber. Bettlerkönig Peachum (Graham F. Valentine) als jüdelnde, rot-haarige und –bärtige Ahasver-Figur, gebietet über einen Riesenparavent bestückt mit Lumpen, und offeriert Ausstrahlung. Der „Salomon-Song“ bringt bereits überlebensgroße Puppen ins (Show-)Spiel). Puppen sind bekanntlich seit jeher Regisseur Julian Crouchs Lieblings-Objekte, doch für eine Grand-Guignol-Produktion – die man vielleicht erwarten könnte – ist das verschwindend gering. Die Polly von Sonja Beisswenger, das Töchterchen der Peachums, geschminkt wie die Stummfilm-Ikone Lya de Putti, ist ein Rabenbraten und wird gesungen mit Rasiermesser-Schärfe. Dass ihre Familie keine so große Freude mit Mackie als Bräutigam hat, wundert einen gar nicht. Michael Rotschopf, ist ausgesprochen schwach als Figur, in Präsenz und Stimme! Eher traut man ihm zu, dass er aus dem Maxim kommt oder dort hin abgeht, als ein Dasein als Brigant und Räuberhauptmann. Ohne Microport wäre er im Riesenraum der Felsenreitschule total verloren (so wie sämtliche anderen ebenfalls…).
Brecht-Weills „Jahrhundertwerk“ bedarf gar nicht der Mammutbühne, wie sie hier bespielt wird und könnte genau so gut im intimen Rahmen vom „Haus für Mozart“ stattfinden. Sämtliche Auftritte und Gänge der Personen ziehen sich wegen der großen Distanzen, ebenso alle der integralen Dialoge. Genau so ermüdend ist, wie man sieht, die Heranschleppung durch Bühnenpersonal von illustrierenden Aufbauten, sofern nicht Felsenreitschul-Logenöffnungen für Projektionen von Gaunervisagen oder Scherenschnitten von Kriminalitäten dienen. Den Riesenraum möblieren einfache Holz-Podeste mit Stufen, die ausreichen für Innenräume, Gefängnis, Galgen etc.etc. Im Ernstfall werden auf Pappendeckel kaschierte nostalgisch-armselige Häuserfronten herein- und hinausgetragen, um zusätzlich Stadtpanoramen zu illustrieren. Und beim Happy-end bemüht sich Gefängnis-Chef und Ober-Korruptionist Tiger Brown (Sierk Radzei) persönlich als verkleideter reitender Bote in Hutschpferd-Aufmachung um die Rettung des Galgenvogels Mackie. Vermischte Tanznummern gibt es auch, im Finale vor der Pause sorgt eine waschechte kubanische Rumba aus dem Graben für Staunen (Bernstein lässt grüssen?!), auch ein Ballett von Sträflingen musste sein und zieret umtanzend die Stäbe des Gefängnisses. Und ehe noch die Huren als Pferderl-Ballett á la „Crazy Horse“ zum Finale hereintraben, haben sie ebenfalls eine flotte typische Bordell-Tanznummer, wie – „ein Ballett mit Bügelbrett“ (Choreographie Ann Yee; alle Kostüme Kevin Pollard).
Die 3 Stunden Spieldauer, inkl. Pause, sind gar nicht wie im Flug vergangen und nicht alle Zuschauer behielten nach der Pause ihre Plätze, weil erschöpft abgewandert. Ausländische Besucher waren die für sie unverständlichen originalen Dialoge (ganz ohne Übertitel) sicherlich viel zu lang und zu breit ausgewalzt, Einheimische ermüdeten eventuell aus anderen Gründen.
P.S. Falls es irgendwo auf der Welt von dieser Einmaligen Experimentalfassung, bestimmt nur einem „work in progress“, noch einmal Aufführungen geben sollte, die „Vereinigten Bühnen Wien“ im historischen Etablissement Ronacher sollten schon vorausblickend sich zur Vorsicht anstellen und das Salzburg-Konzept mit sämtlichen Rechten sichern…Um im Brecht-Jargon zu sprechen: „ja, mach nur einen Plan…!“
Norbert A. Weinberger