SALZBURGER FESTSPIELE: „ORCHESTER ZU GAST“ – West-Eastern Divan Orchestra unter Daniel Barenboim – 15. August 2024
Ein historisches Konzert…
Anne-Sophie Mutter, Daniel Barenboim und das Ochester. Foto: Marco Borelli
Vorgestern war ein ganz besonderer Abend im Großen Festspielhaus. Daniel Barenboim war wieder da mit seinem berühmten West-Eastern Divan Orchestra. Dieses Orchester wurde ja von ihm und dem palästinensischen Intellektuellen Edward Said vor langer Zeit gegründet als künstlerischer Appell an eine Verständigung zwischen Palästina und Israel, indem vorwiegend junge Musiker aus Palästina und Israel gemeinsam Musik machen. Und gerade in dieser Zeit ist das so wichtig angesichts der Gewalt im Nahen Osten und ihrer fortschreitenden Eskalation. Es ist ganz großartig, dass das Orchester ein zweisprachiges Statement ins Programm gelegt hat, in dem es an die lokalen Gemeinschaften sowie an die internationale Öffentlichkeit und ihre politischen Verantwortlichen appelliert, ein Eingreifen nicht länger aufzuschieben und auf einen Waffenstillstand hinzuwirken. Es solle auf eine langfristige friedliche Lösung hingearbeitet werden, die auf Gleichberechtigung beruht.
Und das bringt mich zum Konzert-Programm des Abends. Es gab im ersten Teil das Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 von Johannes Brahms, gespielt an der Violine von Anne-Sophie Mutter, natürlich einer Weltklasse-Geigerin. Sie musizierte phantastisch, auch mit intensiver Gestik, während Daniel Barenboim vor dem Orchester saß und mit sparsamen Bewegungen alles in Einklang und großer Harmonie hielt. Nach dem Konzert äußerte Anne-Sophie Mutter mit bewegenden Worten den großen Wunsch nach Frieden im Nahen Osten.
Sodann spielte sie als Zugabe die Chaconne von Johann Sebastian Bach aus der Partita Nr. 2 für Violine in d-Moll BWV 1004. Das war besonders ergreifend, als sofort die Gedanken an die Oper „Die Passagierin“ von M. Weinberg aufkamen, die gerade an einigen Bühnen eine beachtliche Renaissance erlebt, so in Tel-aviv, Innsbruck und München. Sie thematisiert das KZ Auschwitz, wo im Rahmen einer komplexen Handlung der KZ-Insasse Tadeusz, der die Violine beherrscht, dem Lagerkommandanten seinen Lieblingswalzer vorspielen soll, aus Protest aber eben die Chaconne von Bach spielt. Als er etwa bei ihrer Hälfte angekommen ist, zerschlagen ihm die Schergen die Geige und führen ihn ab in den Tod. Nicht nur, dass Anne-Sophie Mutter die Chaconne hier spielte, sondern auch, dass man sie einmal ganz zu Ende hören konnte, war ein berührendes Erlebnis.
Nach der Pause gab das Orchester unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim die Symphonie Nr. 8 C-Dur D 944 – „Große C-Dur-Symphonie“ von Franz Schubert aus dem Jahre 1825/26. Sie erklang phantastisch transparent, sehr prägnant und transparent, wobei der Maestro das Orchester mit minimalen Bewegungen leitete. Es war wohl die pure Präsenz von Daniel Barenboim, dieser großen Dirigenten-Persönlichkeit, die die meist jungen Musiker dankbar und mit außergewöhnlicher Hingabe und Konzentration spielen ließ, wobei den Notenblätter eine größere Rolle zukam als sonst. Barenboims Sohn war Konzertmeister und unterstützte seinen Vater dezent mit seiner hervorgehobenen Rolle im Orchester.
Foto: Klaus Billand
Am Schluss erhob sich das Publikum fast in seiner Gesamtheit von den Sitzen und spendet begeisterten und lang anhaltenden Applaus. Daniel Barenboim wandelte über die ganze weite Bühne des Großen Festspielhauses, um von allen aus der Nähe den Applaus entgegenzunehmen. Vielleicht war es auch ein Abschied. Jedenfalls war es ein historischer Moment im Großen Festspielhaus! Das schien allen irgendwie klar zu sein…
Klaus Billand