WIE ABSURD OPER SEIN KANN: DONIZETTI’S „LUCREZIA BORGIA“ KONZERTANT IN SALZBURG (27.8.2017)
Juan Diego Florez. Foto: Website Florez
Jubel, Trubel und Begeisterung beim konzertanten „Raritäten-Finale“ mit Juan Diego Florez und Krassimira Stoyanova. Man gibt eine „Grusel-Story“ von Gaetano Donizetti -“Lucrezia Borgia“; eine Primadonnen-Oper, die man diesmal offenbar angesetzt hat, damit der Peruanische Tenor in einer neuen Rolle brillieren kann. Die Rechnung ging auf, doch das Stück wird in der Kategorie „hinreißende Musik, verrückte Handlung“ bleiben.
Gäbe es einen Wettbewerb zum Motto „Welche Opernhandlung ist besonders absurd?“, Gaetano Donizettis im Jahr 1833 an der Mailänder Scala uraufgeführte Melodram würde zweifellos bis ins Finale kommen: Beinahe-Inzest zwischen der Papsttochter Lucrezia und ihrem Sohn Gennaro; tatsächlicher Giftmord, dazu Erpressung und Intrigen, dieses Amalgam aus Leidenschaft, Geschichts-Legenden und historischen „Fake-News“ sucht seinesgleichen. Dabei stammt die Vorlage von keinem anderen als Victor Hugo. Aber was soll‘s: im Großen Festspielhaus herrschte eitle Wonne und die wird sich bei der Reprise am 30.August 2017 wiederholen.
Anlass für den Triumph war nicht nur Juan Diego Florez und seine bulgarische Sopran-Kollegin sondern die hochkarätige musikalische Realisierung der Partitur durch Marco Armiliato am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg. Der temperamentvolle Italiener ist wahrlich ein Repertoire-Glücksfall. Er ist begeisterungsfähig, hilft den Sängern, kommt auch mit Chören – diesmal wieder die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Leitung Ernst Raffelsberger) – bestens zurecht: ein ganz und gar uneitler, dynamischer Kapellmeister auf den Spuren eines Erede oder Santi, der zu inspirieren versteht.
Der Star des Abends war aber zweifellos einmal mehr Juan Diego Florez: er ist mit seiner Musikalität, seiner hellen, perfekt sitzenden Tenor-Stimme und seiner stupenden Höhe zweifellos die Ideal-Besetzung für diesen „Parsifal“ der Borgia-Familie. Höhepunkt war die große Arie am Beginn des 2.Aktes „Ich liebe Dich wie einen Engel“. Die ödipale Leidenschaft endet mit einem Spitzenton, der das Publikum in Raserei versetzt. Juan Diego Florez hat – Fachwechsel hin, Umstieg ins dramatischere Repertoire her – nichts von seinen Qualitäten verloren aber viele Farb-Nuancen gewonnen. Großartig! Krassimira Stoyanova bewältigt die anspruchsvolle Rolle der Lucrezia, die bisher zumeist nur von Koloratur-Diven wie Sutherland oder Gruberova übernommen wurde, insgesamt souverän. Freilich: man traut ihr weder die „Giftmischerin“ noch die Begierden ihrer Sohnesliebe zu. Krassimira Stoyanova bleibt für mich ein weiblicher Engel wie Desdemona oder Elisabetta. Schillernde Zweideutigkeit ist ihres nicht. Dennoch mit Recht ein großer Erfolg!
Mit Applaus überschüttet wurden auch Ildar Abdrazakov als rachsüchtiger Ehemann Don Alfonso und Teresa Iervolino in der Hosenrolle des Maffio Orsini. Der russische Bass aus Ufa und die italienische Mezzo-Sopranistin trugen mit ihren kräftigen, schönen Stimmen zur allgemeinen Begeisterung bei. Ein pauschales Lob für die Interpreten der übrigen (Klein-)Rollen, die zum Teil aus dem „Young Singers Project“ kamen: Mingjie Lei als Jeppo Liverotto, Ilker Arcayürek als Oloferno Vitellozzo, Gleb Peryazev als Apostolo Gazella, Ilya Kutyukin als Ascanio Petrucci, Andrzej Filonczyk als Gubetta, Andrew Haji als Rustighello sowie Gordon Bintner als Astolfo. Die erste Saison von Markus Hinterhäuser war jedenfalls ein voller Erfolg. Salzburg ist spannend wie schon lange nicht. Quote und Qualität halten sich die Waage. Auf den nächsten Sommer an der Salzach!
Peter Dusek