SALZBURG / Haus für Mozart: Canto Lirico mit LEA DESANDRE, Mezzosopan
29. Juli 2024
Von Manfred A. Schmid
Das vom französischen Lautenisten Thomas Dunford 2018 gegründete und geleitete Ensemble Jupiter gilt als Rockstar in der Alten Musik. Auch hier wird auf Originalinstrumenten gespielt, doch anders als bei den Hohepriestern der Historischen Aufführungspraxis, die argwöhnisch auf die Einhaltung der von Ihnen erstellten Regeln wachen, gehen hier die Musikerinnen und Musiker mit erfrischender Freizügigkeit ans Werk. Aufmerksames Aufeinander-Hören, Improvisations- und Experimentierlust geben den Ton an, und überholte Regeln sind vor allem dazu da, gebrochen zu werden. Dass großes Können dahintersteckt, versteht sich von selbst. Es ist jedenfalls eine Freude, ihnen beim Spielen zuzuhören wie auch zuzusehen, wenn sie einander zunicken, munter lächeln, sich wechselseitig bestärken und in einem stetigen Austausch miteinander verbunden sind und dennoch mit gebotener Ernsthaftigkeit an die Sache gehen. Gemeinsam mit der aufstrebenden, jungen französisch-italienischen Mezzosopranistin Lea Desandre gastieren sie bei den Salzburger Festspielen mit einem Konzert mit Liebesliedern von John Dowland und Henry Purcell. Der Programmtitel CANTO LIRICO – Songs of Passion verrät, worum es dabei vor allem geht: um Leidenschaft vor dem Hintergrund eleganter Melancholie, wie sie sowohl zur Zeit der englischen Renaissance (Dowland) wie auch des Barocks (Purcell) angesagte Mode war. Wie dem Publikum Dunford in seinen kurzweiligen Erläuterungen am Beginn des Abends erzählt.
Lea Desandre gestaltet die Abfolge wunderschöner Lieder von John Dowland mit inniger Zartheit, ob es um sehnsuchtsvolles, mit kühnen Quartschritten auch ungeduldiges Erwarten („Come again: sweet love doth now invite“) oder tristes Abschiednehmen geht („Now, O now, needs must depart“ und „Flow,my tears“). In tränenreichen Schilderungen wie in „Go crystal tears“ verliert sie nie die Fassung, sondern bleibt stets die alles kontrollierende Instanz, die sich in der selbstauferlegten Melancholie sonnt, sowie es damals wohl gentlemanlike gefordert und üblich war. Auch das Selbstmitleid in „Can she excuse my wrong“ („Tausendmal besser ist es, zu sterben, als unter solchen Qualen zu zu leben: Liebste, denk nur daran, dass ich es war, der sich um deinetwillen mit dem Tod zufrieden gab“) wird von der Mezzospranistin gesungen, als ob sich dabei der Klagende selbst in seiner tiefen Trauer beobachtet. Da stirbt einer in Schönheit und ist ganz ergriffen von der von ihm dafür aufgebrachten Schönheit. Eine außerordentliche interpretatorische Leistung der Sängerin. Das Ensemble begleitet mit Schwung und Flair.
Nach der Pause geht es mit Liedern von Henry Purcell weiter. Auch hier geben Wehmut und Resignation, kurzgefasst: Melancholie, den Ton an. Desandre erweist sich als überaus kompetente Barocksängerin mit starker Ausdrucksfähigkeit und einer breiten Farbkraft in ihrer Stimme, und beeindruckt mit Gelassenheit und Präsenz. Sie verzichtet auf aufdringliches Gehabe, sondern begnügt sich mit subtilen Ausdrucksnuancen in Gesicht und Haltung, um Gefühlsänderungen anzuzeigen. Das Jupiter Ensemble erweist sich erneut als aufmerksamer, aufnahmefähiger Klangkörper. Kammermusik in Vollkommenheit, mit unablässigem Blickkontakt und höchster und dennoch irgendwie entspannt anmutender Konzentration. Zu einem Höhepunkt wird die elegische Hymne auf die selbstgewählte Einsamkeit „O solitide, my sweetest choice!“
Richtig ausgelassen geht es kurz davor in „Strike the viol“ zur Sache, wenn die Musikanten zu einem kräftigen Lob auf die Herrin aufgerufen werden. Eine willkommene Einladung, die vom siebenköpfigen Ensemble, das zwischendurch auch kurze Instrumentalstücke vorträgt, gerne angenommen wird. Die Laute ist, anders als es ihr Name vermuten lässt, kein lautes Instrument. Aber Thomas Dunford kann sich konzentriert und ohne besonderem Nachdruck mit seinem exzellenten Spiel bewähren und mitteilen.
Die Aufnahme durch das Publikum ist von Begeisterung geprägt. Als Zugabe gibt es ein von Thomas Dunford komponiertes Lied. „We Are The Ocean“ beginnt, wie man es von Alter Musik gewohnt ist, wird im weiteren Verlauf aber immer jazziger. Die Musikerinnen und Musiker singen mit und auch das Publikum wird zum Einstimmen und damit zum Werden eines Tropfens im Ozean aufgefordert. Auch das ein Markenzeichen dieses Ensembles: Die Alte Musik ist voll in der Gegenwart angekommen.