Salzburg/ Großes Festspielhaus: IM TOLLHAUS DER BEGEISTERUNG: „THAIS“ VON MASSENET ALS SENSATION DANK DOMINGO UND REBEKA (16.8.2016)
Placido Domingo, Marina Rebeka. Copyright: Salzburger Festspiele/ Marco Borelli
So ähnlich muss es gewesen sein, als Maria Callas ihre erste Norma sang oder Leonie Rysanek an der MET mit der Lady Macbeth debütierte. Ich persönlich habe in fast 60 Opernjahren nur ganz selten erlebt, dass aus einem „rising star“ eine Primadonna wurde. Die erste Lucia von Edita Gruberova war ein solcher Glücksfall, die Salzburger Traviata von Anna Netrebko oder der erste Octavian von Elina Garanca…Und nun „Thais“ von Jules Massenet: die „Einspringerin“ Marina Rebeka wurde zum bejubelten Star des Abends. Neben Placido Domingo als Bariton in einer konzertanten Aufführung, die erst kurz vor Mitternacht endete. Zunehmende Euphorie des Publikums. Zuletzt ein „Tollhaus der Begeisterung“, Jubel, Trampeln, „standing ovations“ und dann – spontan – die Wiederholung des Finales. An Ähnliches kann ich mich gar nicht erinnern! Was war da geschehen. Nach der konzertanten „Manon Lescaut“ von Puccini mit und für Anna Netrebko und Ehemann Yusif Eyvazov und vor dem Juan Diego Florez – Event mit „Il Templario“ von Otto Nicolai, wollte auch der Langzeit-Star der Salzburger Festspiele, Placido Domingo, eine für ihn ins Programm gehievte Novität anbieten. Der Athanaël in „Thais“ schien ihm die richtige Rolle. Dieser Prediger gegen die Fleischeslust will ausgerechnet die Hetäre „Thais“ zur Enthaltsamkeit bekehren und als dies gelingt, wird er selber schwach und versucht „Thais“ im Kloster zu verführen. Der Tod der erotischen Schönheit verhindert die Katastrophe! Die Oper von Massenet (Text Louis Gallet) wurde 1894 in Paris durch eine amerikanische Diva uraufgeführt. Und gilt seit damals als Primadonnen-Prunkstück. Anna Moffo, Beverly Sills oder René Fleming haben sich an dieser spätantiken Schwester der Kameliendame versucht. Für Salzburg war Sonya Yoncheva vorgesehen. Infolge Erkrankung bekam die aus Riga in Lettland stammende Marina Rebeka ihre große Chance. Die junge, bildhübsche Sopranistin war von Beginn der konzertanten Aufführung in der Form ihres Lebens, ihre Höhen strahlten und klangen nie angestrengt. Dabei lockt und trillert die Mischung aus Priesterin und Kurtisane in den höchsten Lagen jenseits der Sopran-Stratosphäre – hinauf bis zum dreigestrichenen D. In der Mittellage klingt das Timbre samtig, verführerisch. Piani werden schwebend vorgetragen. Man möchte von dieser „Thais“ auch Senta, Desdemona oder Norma hören. Wunderbar auch Placido Domingo als Nathaniel. Er legt die Rolle so an, dass er zunächst als Wanderprediger wider die Wollust fast wie ein in die Jahre gekommener fanatischer Sektierer wirkt. Aber wenn sein „Fleisch wieder zu brennen“ beginnt, geht er aus der Defensive heraus. Das Finale wird zur großen Liebes-Sterbe-Szene. Die Wiederholung als spontanes „Da Capo“ hat genau diesen Höhepunkt nochmals aufbereitet. Wohl unvergesslich für alle, die eine Karte ergattern konnten. Dank eines Bayerischen Orchesters wurde „Thais“ gestern live vom Bayerischen Rundfunks übertragen. Bald wird es einen kommerziellen Tonträger geben. Immerhin – die Qualität dieser konzertanten Wiedergabe war insgesamt hochkarätig. Der Dirigent und Massenet-Kenner Patrick Fournillier ließ das Münchner Rundfunkorchester zu Höchstform auflaufen. Der Philharmonia Chor Wien (Leitung Walter Zeh) war präzise und intensiv wie immer. Und auch die übrigen Rollen waren ausgezeichnet besetzt. Vor allem der junge Tenor-Liebhaber der Kurtisane, Nicias, wurde von Benjamin Bernheim exzellent interpretiert. Eine gut sitzende Stimme, von der man sich noch mehr Farben und Belcanto wünscht, die aber zweifellos noch kommen werden. Zufriedenstellend auch Simon Shibambu als nobler Abt, Szilvia Voros als würdige Albine und Elbenita Kajtazi (Crobyle) sowie Valentina Stadler (Myrtale) als fröhliches Duo. Das einzige Stück, das jeder aus „Thais“ kennt – die berühmte „Medidation“- wurde von Felix Froschhammer voll Melancholie und Abschiedsschmerz vorgetragen. Aber was soll’s: das Stück von Jules Massenet wird vielleicht – zumindest bei Festspielen – doch noch den Weg ins Repertoire finden. Und Salzburg ist um eine wahre Sensation reicher und von Marina Rebeka wird man noch viel hören Und das Gleiche gilt für den Verursacher des Abends Placido Domingo. Der Mann setzt einfach immer neue Maßstäbe.
Peter Dusek