SALZBURG / Großes Festspielhaus: CAPRICCIO konzertant
2. Aufführung
31. Juli 2024
Von Manfred A. Schmid
In der Oper Capriccio wird bekanntlich verhandelt, was in einer Oper mehr Gewicht hat und zuerst kommt: Das Wort oder die Musik? Das war um 1775, als Christoph Willibald Gluck in Paris lebte und wirkte, weshalb dieser Disput auch in dessen Ära angesiedelt ist, tatsächlich eine heiß diskutierte Fragestellung, bewegt die Opernwelt aber gewiss schon seit den Anfängen der Oper um 1600. Ob die Frage, wem nun der Vorrang einzuräumen wäre, dem Wort oder der Musik, mitten im 2. Weltkrieg, als das Werk entstand und uraufgeführt wurde, auch noch von aktueller Bedeutung gewesen sein mag, bleibe dahingestellt. Dass diese Fragestellung inzwischen aber längst obsolet geworden ist, lässt sich schwer von der Hand weisen. Im Zeitalter des grassierenden Regietheaters ist klar, wer bzw. was den Anspruch stellt, das Wichtigste vor allem anderen zu sein: Weder das Wort (Libretto), noch die Musik (Partitur), sondern das, was dem Herrn Regisseur oder der Frau Regisseurin dazu eingefallen sein mag oder auch nicht. Denn auch aus dem Nichts können die Meister des Regietheaters etwas machen. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Die Musik ist dabei ohnehin ohne Belang, weil die meisten Opernregisseure davon keinen blassen Schimmer haben und nicht wissen, dass Wort und Ton, wie es die Gräfin (Elsa Dreisig) in Capriccio ausdrückt, zu einer nicht mehr zu trennenden Einheit verschmolzen sind. Der Text wird dann so hingebogen, dass er irgendwie passend gemacht wird. Und sollte das nicht gehen, haben sie keine Scheu, auf der Bühne das Gegenteil vom dem machen zu lassen, von dem gerade die Rede ist.
Da trifft es sich gut, dass das einaktige „Konversationsstück für Musik“, wie Richard Strauss sein Werk nannte, in Salzburg konzertant aufgeführt wird. Die darin geführte kundige, engagierte, zum Teil auch emotional erregte und aufgeladene Diskussion ist, wie oben dargelegt, von der Realität des Bühnenalltags längst überholt worden. Der Regie gebührt heute das Erstlingsrecht. Nun gibt es in Capriccio zwar den Theaterdirektor La Roche (Mika Kares), der – damals gab es den allmächtigen, alles bestimmenden Regisseur noch nicht – sich um die Umsetzung der geplanten Oper zum Geburtstag der Frau Gräfin Sorgen macht. Es geht ihm dabei aber nicht um ästhetische Bedenken, sondern einzig und allein um die zu erwartende Reaktion des Publikums. Die Zuseher- und Zuhörerschaft muss an dem, was ihm auf der Bühne geboten wird, Gefallen finden. Sollten, wie im vorliegenden Fall, die dabei andiskutierten mythologischen Themen das Publikum abschrecken, hätte das schwerwiegende Folgen. Denn gibt es kein Publikum, dann gibt es auch keine Einnahmen und damit nichts, womit er seine Truppe bezahlen kann. Der hemdsärmelige, pragmatisch denkende und verantwortungsbewusst agierende La Roche ist das verkörperte Gegenteil des Regietheaters, dem das Publikum und dessen Reaktion wurscht sind. Die Proponenten des hoch subventionierten Regietheaters sonnen sich vielmehr im Buh-Orkan, weil sie dann in den Feuilletons auf starke Resonanz und vehement auftretende Verteidiger – auf der Galerie, aber auch in der Presse – zählen können. Sie inszenieren vielleicht noch mit einem verstohlenen Blick auf die zu erwartende Kritik. Das Publikum aber ist für sie außen vor und interessiert sie nur als lautstarke Beurkundung eines willkommenen Skandals.
Capriccio ist eine Oper, die an ihre Zeit gefesselt ist und den aktuellen Verhältnissen nicht gerecht werden kann. Ob eine Inszenierung dennoch auf diese veränderten Bedingungen eingehen könnte? Schwer zu sagen, wäre aber gewiss eine große Herausforderung. So aber sollte sie wohl nur in der ihr ursprünglich zugedachten Barock- bzw. Rokoko-Zeit auf die Bühne gebracht werden, oder eben – wie diesmal der Fall – konzertant. Den einhellig begeisterten Rezensionen der hervorragenden Premiere unter der Leitung von Christian Thielemann ist in der nunmehrigen 2. Aufführung wenig Neues hinzuzufügen, weshalb ich mich darauf beschränke, die vorgesehene und von Anfang an angekündigte Besetzung der Rolle des theatersüchtigen, auf die Schauspielerei erpichten Bruders der Gräfin mit Christoph Pohl zu kommentieren. Es ist der Graf, der die Oper einmal als ein „absurdes Ding“ bezeichnet, der aber auch den Vorschlag unterbreitet, die an jenem Nachmittag gemachte Diskussion über „prima la musica e poi le parole“, oder umgekehrt, zum Inhalt der geplanten Oper zu machen. Sein gefälliger Bariton passt gut zu diesem praktisch orientierten Mann, der in seiner Mitwirkung in der Oper auch ein Instrument sieht, der selbstbewussten, etwas schnippischen Sängerin Clairon (Ève-Maud Hubeaux) etwas näher zu komme
Erwähnung verdient auch der in den bisherigen Kritiken kaum erwähnte Tenor Jörg Schneider in der bizarren Rolle des „in Untergrund lebenden“ Souffleurs namens Monsieur Taupe (Herr Maulwurf). Ein Mann von herzmanovsky-orlandischer Skurrilität, dessen Existenz man nur zur Kenntnis nimmt, wenn er einschläft, die Schauspieler nicht mehr weiterwissen und das Publikum, ob der plötzlich eintretenden Stille, erschrocken aufwacht. Ein Gustostückerl besonderer Art.