SALZBURG/Festspiele: West-Eastern Diva Orchestra unter Daniel Barenboim am 10. und 11. August 2022
Daniel Barenboim mit seinem Orchester. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borelli
Jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen tritt das West-Eastern Divan Orchestra zweimal auf, meist einmal unter seinem Schöpfer Daniel Barenboim und das andere Mal unter einem Schüler. Diesmal hatte sich der Maestro es nicht nehmen lassen, beide Abende zu dirigieren. Der erste war ganz Bedrich Smetana (1824-1884) gewidmet, und zwar mit seinem Zyklus der Sechs symphonischen Dichtungen Má vlast (Mein Vaterland). Er entstand zwischen 1872 und 1979 und erlebte seine Uraufführung am 5. November 1882 in Prag. Von den sechs Sätzen 1. Vyšehrad, 2. Vltava (Die Moldau), 3. Šárka, 4. Aus Böhmens Hain und Flur, 5. Tabor und 6. Blaník ist natürlich der 2. Vltava mit seinen charakteristischen Melodien zum Fluss der Moldau und dem sich langsam musikalisch ankündigenden und dann intensiv musizierten Wasserfall am bekanntesten.
Das West-Eastern Divan Orchestra kam mir diesmal viel stärker vor als in den Jahren zu vor, mit einem größeren Ensemble und auch intensiver in seiner musikalischen Leistung. Zehn Celli und neun Kontrabässe sprechen ohnehin eine eigene Sprache, aber auch alle anderen Gruppen waren nahezu maximal besetzt. Im 1. Satz von Má vlast spielen die Harfen eine maßgebliche Rolle und tragen zu den slawischen Klangfarben um die Burg Vyšehrad bei, die schon hier unerkennbar zu vernehmen sind. Tutti zeugen von den Kämpfen um die Königsburg, engagiert musiziert von den meist jungen Musikern. Der 2. Satz schildert äußerst nachvollziehbar den Lauf der Modau, erst gemächlich, dann über den Wasserfall und schließlich majestätisch bis zur Mündung in die Elbe. Die Musiker nehmen einen eindrucksvoll mit auf diese Flussreise. Im 3. Satz geht es im leidenschaftliche Liebe, Enttäuschung und tödliche Auseinandersetzung, was die Musiker sehr expressiv darstellen, bei guter Transparenz der einzelnen Gruppen. Im viel ruhigeren 4. Satz geht es in erster Linie um Gefühle, die sich beim Anblick der böhmischen Heimat einstellen. Herrlich erklingt ein Geigensolo mit darauf folgenden innigen Klängen des Ensembles, fein herausgearbeitet. Im 5. Satz klingt alles wieder sehr viel entschlossener, was die Musiker zu expressivem Ausdruck führt. Es geht um die Willenskraft der Hussiten und ihre diesbezügliche Unnachgiebigkeit. Der 6. Satz schließt unmittelbar an den 5. an und lässt u.a. eine schöne Linie von Oboe, Flöte und Klarinette hören. Hymnisch mündet der Satz in die Feier des Vaterlands.
Daniel Barenboim führt am Pult nur minimale Bewegungen aus, wirkt nach der Krankheit auch noch etwas zurückgenommen. Offenbar hat sein erst dreißigjähriger Assistent und Dirigent Thomas Guggeis das Stück bestens einstudiert und auch schon öfter mit dem Orchester gespielt. Das West-Estern Divan interpretierte es mit großer Emphase und Engagement, auch viel Interesse an guter Koordination innerhalb des Ensembles. Die Darbietung wirkte sehr reif, wenngleich man sich gewünscht hätte, dass es hier und da etwas leiser zugegangenen wäre. Aber das Stück reißt einen natürlich emotional stark mit. Das Publikum sprang spontan von den Sitzen, als es zu Ende war und feierte Barenboim und sein Orchester nahezu frenetisch – ein stärkerer Applaus als bei mancher Oper im Großen Festspielhaus!
Lang Lang. Foto: Salzburger Festspiele/ Marco Borelli
Das zweite Konzert fand mit dem Ausnahme-Pianisten Lang Lang statt. Es ging um die Kompositionen von Maurice Ravel (1875-1937), Manuel de Falla (1876-1946) und Claude Debussy (1862-1918) im Hinblick auf ihre Beschäftigung mit spanischen Themen und musikalischen Topoi. Das West-Eastern Divan spielte von Maurice Ravel die Rhapsodie espagnole für Orchester in vier Sätzen, eine knappe Huldigung an Spanien und Ravels erstes großes Orchesterwerk. Man hörte bestens die spanischen Elemente in der Musik, insbesondere in der Malagueña, der Habanera und der Feria. Lang Lang spielte sodann die „Noches en las jardines de España“ – Symphonische Impressionen für Klavier und Orchester von Manuel de Falla in drei Sätzen mit großer Virtuosität, wie bei Lang Lang gewohnt. Man konnte ihn allerdings wegen der Laustärke des Orchesters streckenweise nicht hören. Dennoch starker Applaus für Barenboim und Lang Lang, der sein gutes Verständnis mit dem Maestro auf der Bühne dokumentierte und noch eine Zugabe gab. Es folgte „Iberia“ aus Images pour orchestre von Claude Debussy, in dem man in der Tat die Ruhe und Serenität einer typisch spanischen Nacht hören konnte.
Natürlich geriet das Publikum nach dem abschließenden „Bolero“ von Maurice Ravel wieder aus dem Häuschen wie am Vorabend. Es waren zwei weit über das gewohnte Maß hinaus erfolgreiche Abende des West-Eastern Divan Orchestra bei den Salzburger Festspielen 2022! Man freut sich auf das kommende Jahr.
Klaus Billand aus Salzburg