SALZBURG/FESTSPIELE: LES CONTES D’HOFFMANN – Premiere am 13. August 2024
Benamin Bernheim. Foto:Monika Rittershaus
Dramaturgisch-szenisches Desaster
Am 13. August (vielleicht nicht der beste Tag für eine mit großer Spannung erwartete Festspiel-Produktion und vielleicht sogar der wichtigsten) fand im Großen Festspielhaus die Premiere von „Les Contes d’Hoffmann“ von Jacques Offenbach statt, deren Uraufführung er trotz intensivster Bemühungen nicht mehr erleben konnte. In der Salzburger Neuinszenierung von Mariame Clément und ihrem Kolleginnen-Team Julia Hansen für Bühne und Kostüme sowie Paule Constable für Licht hätte er sie wohl ziemlich sicher auch nicht erleben wollen, selbst bei einer Extrapolation ins Heute. Was da auf der Bühne des Festspielhauses szenisch und dramaturgisch abging, gibt Anlass für drei Vermutungen: 1. Eine Persiflage oder Parodie auf „Les Contes d‘Hoffmann“, 2. Eine Provokation des Publikums, aber dafür schien es zu schwach und nicht überzeugend gemacht, oder 3. Ein Dokument der Unkenntnis oder eher wohl gewollten Verdrehung und Entemotionalisierung der drei Frauengeschichten von Hoffmann nach E.T.A. Hoffmann.
Der von Clément gewählte und vom Dramaturgen Christian Arseni unterstützte Ansatz, die Erlebnisse Hoffmanns mit den drei Frauen als seine Lebensgeschichte in enger Verbindung mit der Kunst darzustellen, mag vielleicht sogar eine Option für ein mögliches Regiekonzept sein. Aber wie es optisch und dramaturgisch umgesetzt wurde, mit einer Banalisierung des Hoffmann auf Penner-, oder – wie man im Aufführungsland Österreich sagt – Sandler-Niveau, wo er mit einem mit allen möglichen Utensilien – auch aus seiner in Filmspulen eingefangenen Vergangenheit (der neue Bayreuther „Tristan“ lässt grüßen) inklusive Johnny Walker Red Label vollgepackten Einkaufs-Trolley, sogar darunter schlafend, gezeigt wird, entbehrt schon jeder werkrelevanten und durchdachten Grundlage. Der „Einkaufskorb“ bleibt ein beharrliches Bühnen-Utensil nahezu in der ganzen Aufführung, während die Muse gleich daneben aus einer Mülltonne steigt. Wenig später entsorgt sie darin ihre Perücke, woraufhin die Tonne aber wieder weggefahren wird und nicht weiter die Optik belastet…
Im Antonia-Akt wuseln in einem Filmset fast 20 Statisten mit dem ständigen Herumfahren von Film-Trolleys und Mikros herum oder/und sind in endlose Diskussionen vertieft, während Hoffmann vor lauter Anweisungen an dieses total entbehrliche Personal Antonia fast ganz aus den Augen verliert. Das ist schon harter Tobak der Inadäqanz und Ernstname der Intentionen des Komponisten, dieses Stück überhaupt geschrieben zu haben. Erst recht, wenn Hoffman am Aktschluss plötzlich und völlig überraschend einen Herzinfarkt bekommt und Antonia, von der dieser angesichts ihrer gesanglichen Bemühungen eigentlich erwartet wird, gemütlich von der Bühne in die Garderobe schreitet… Was aber für Clément für das ohnehin schon langweilig gewordene postmoderne und an einigen großen Häusern häufig zu sehende Stereotyp Filmset ausschlaggebend war: Nach der Opéra phantastique kam der Film auf. Also das gefundene Fressen für Hoffmanns „kunstgesteuertes“ Erleben des Antonia-Akts, mit auch sonst immer wieder auftauchenden Kameras und open door für die Statisten-Aufblähung und die damit zwangsläufig einhergehende Verwässerung der Rolle der Protagonisten und des gesamten Stücks!
Um das Fass, nach einem völlig banalen 1. Akt mit einer veralberten Auerbachkeller-Persiflage und einer im wahrsten Sinne durchgeknallten Olympia-Szene voll zu machen, findet im Julietta-Akt die wunderbare Barkarole vor der grauen verhunzten Einheitswand des Bühnenbildes (Hässlichkeit ist offenbar wieder mal Trumpf!), die nur mit ihren ebenfalls hässlichen Holzgerüsten der Hinterseite manchmal wechselt, an einem Heurigen-Tisch statt. Als ginge es darum, um jeden Preis einen auch nur denkbaren Hauch an Assoziationen mit Venedig und der Aura einer Kurtisane zu vermeiden. War da nicht auch noch eine Musik dazu?! Und ziemlich sicher ging es den geschätzten Damen des Regieteams genau darum! Auf den Nerv ging auch das ständige Singen aus der Partitur, als könnten die Sänger ihre Rollen nicht – ebenfalls ein immer wieder zu sehendes plattes postmodernes Stereotyp. Bei der Barkarole wird sogar während des Gesanges noch mit Bleistift ausgebessert und damit der Komponist – absurd, und ernsthaft störend, um es dezent auszudrücken!
Zu fragen ist eigentlich nur, wie es passieren konnte, dass die Festspielleitung da nicht an einem bestimmen Punkt, der ihr immer möglich ist (Stellprobe, Konzeptgespräch etc.) eingeschritten ist. Konnte sie eventuell nicht, irgendetwas von ganz oben?! Oder hat man sich bereits dem scheinbar immer unaufhaltsamer scheinenden Trend ergeben, vom Publikum – auch dem Salzburger in signifikantem Maß! – mittlerweile zu bedenklich großen Teilen unterstützt, die Oper als Kunstform in ein banales Event- bzw. flaches Unterhaltungsformat abgleiten zu lassen?! Richard Wagner müsste noch einmal geboren werden… Es wären Fragen, die nach diesem Flop der Salzburger Festspiele 2024 nach Antwort suchen und suchen müssen.
Kathryn Lewek, Benjamin Bernheim. Foto: Monika Rittershaus
Es ist allzu bedauerlich, das ausgerechnet Benjamin Bernheim, der begnadete französische Tenor, in diesem skurrilen Ambiente seine erste große Opernpartie in Salzburg absolvieren musste. Er tat es mit Bravour, mit seinem klangvollen, kantablen Tenor und imposanten Spitzentönen sowie viel Ausdruckskraft im Rahmen seiner banalisierten Möglichkeiten. Darstellerisch wurde er von der Regie nahezu „verhohnepiepelt“.
Kathryn Lewek verkörperte alle drei Frauenrollen und die Stella mit einem kraftvollen Sopran, aber nicht immer völlig stressfreien Spitzentönen, was auch an dem irren Konzept gerade der Olympia gelegen haben kann, bei dem sie am Ende fast in die Luft geht durch bis zum BH gehende Knallfrösche… Christian Van Horn sang den Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto mit kräftigem, etwas rauem Bariton – als fetter Teufel mit langem rotem Schwanz im 3. Akt verunstaltet – aber nicht mit der wünschenswerten Resonanz. Um das gis in der Diamantenarie kam er herum, da entgegen allen Erwartungen und Usancen eine andere Fassung gewählt wurde. Kate Lindsey war eine sängerisch einnehmende Muse und Nicklausse, von der Regie aber ebenfalls verkleinert und fast unscheinbar gemacht.
Kathryn Lewek (als Antonia), Christian van Horn (Dr. Miracle). Foto: Monika Rittershaus
Marc Mauillon war ein stimmlich guter Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio. Géraldine Chauvet sang die Mutter emphatisch, und Michael Laurenz gab den Spalanzani. Jérôme Varnier war Crespel und Meister Luther. Philippe-Nicolas Martin, Paco Garcia und Yevheniy Kapitula gaben Hermann und Schlemil, sowie Nathanaël und Wilhelm, respektive.
Marc Minkowski steht nicht gerade für diesen Typ von Musik, ist er doch ein Spezialist für Alte Musik. Dementsprechend wurde es auch. Oft zu laut und unsensibel, der Zusammenhang zwischen den Wiener Philharmonikern und Minkowski ließ immer wieder zu wünschen übrig. Die subtilen französischen Zwischentöne der „Contes d’Hoffmann“ waren an diesem Abend kaum zu vernehmen. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sang absolut festspielreif und kraftvoll, einstudiert von Alan Woodbridge. Der Chor wurde von Gail Skrela auch recht gut choreografiert.
Dennoch: Ein dramaturgisch/szenisch und zum Teil auch musikalisch enttäuschender Abend bei den Salzburger Festspielen! Ob diese Produktion vielleicht das gleiche Schicksal ereilt wie den „Jedermann“ im vergangenen Jahr?!
Klaus Billand
ZUM PODCAST von Klaus Billand