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SALZBURG/ Festspiele: DON GIOVANNI als TV-Übertragung aus dem Festspielhaus. Eine monumentale Struktur

08.08.2021 | Oper in Österreich

Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ am 7. August als TV-Übertragung bei den Festspielen im Festspielhaus via Arte/SALZBURG

Eine Monumentale Struktur

Don Giovanni» in Salzburg: Der Mann denkt mit dem Unterleib
Copyright: Salzburger Festspiele/ Ruth Walz

Die Liste von Don Giovannis weiblichen Eroberungen wächst in Romeo Castelluccis subtiler Inszenierung ins Unendliche. Zuletzt betreten sogar noch 150 Salzburgerinnen die Bühne, die ihn nicht nur betören, sondern auch bedrohen. Frauen werden hier zu schwarzen Furien, die dem rücksichtslosen Verführer unendliche Angst einjagen. Doch man sieht auch nackte Verführerinnen – ganz im Sinne der göttlichen griechischen Aphrodite. Es ist ein geschickter psychologischer Schachzug des Regisseurs. Der verzweifelte Zwang zu pausenloser Verführung im Sinne eines Geistes des sinnlichen Begehrens (Kierkegaard) ufert dabei aus.

Gegen das Gesetz des Vaters wird heftig aufbegehrt – dies zeigt sich gleich zu Beginn bei der Ermordung des Komturs. Don Giovanni isoliert sich dabei radikal von der Gesellschaft. Romeo Castellucci möchte hier aber auch mit christlichen Werten brechen. Die christliche Liebe hat gegen die suggestive Macht der griechisch-erotischen Liebe keine Chance mehr. Die Figuren verschwinden ganz im Sinne E.T.A. Hoffmanns hinter fast unsichtbaren, geheimnisvollen Schleiern, die sich immer weiter aufzufächern scheinen. Utensilien wie Rollstuhl und Auto stürzen von oben herab, man sieht ein Skelett, das den bei dieser Inszenierung stets präsenten Gedanken an den Tod drastisch darstellt. Auffallend ist aber auch die monumentale Struktur dieses überdimensionalen Bühnenbildes, dessen Weiten sich ständig auszudehnen scheinen.  So wird das Kirchenschiff gleich zu Beginn von Bauarbeitern radikal aufgeräumt, man hängt Kreuze ab. Don Giovanni ist hier ein unverschämter Anarchist, der sich alles erlaubt, was wir unterdrücken. Die Frauen meditieren dabei oft wie in Trance. Castellucci scheint davon überzeugt zu sein, dass in jedem Menschen in gewisser Weise ein Don Giovanni steckt.

Im zweiten Akt scheint Don Giovanni schon früh die eisige Hand des Komturs zu spüren, man sieht die höllischen Flammenstrukturen deutlich hinter dem Vorhang. Obwohl nicht alles gelungen ist, offenbart sich bei dieser Aufführung dennoch Castelluccis Sinn für das Dämonische und Gespenstische. Beim Gastmahl sieht man dann den Komtur nicht mehr, hört nur seine Stimme, während sich der sterbende Verführer verzweifelt  in einer weißen Masse wälzt. Die Bestrafung durch die übernatürliche Macht des „steinernen Gastes“ besitzt hier etwas Monströses, nicht mehr Bezwingbares. Das Höllenfeuer wird bei Castellucci allerdings auf ein Mindestmaß zurückgedrängt, man sieht nur zu Beginn der Aufführung ein paar spärliche Flammen.

Musikalisch ist diese Aufführung unter dem temperamentvoll-stürmischen Dirigat von Teodor Currentzis noch ungleich überzeugender. Man ist vom Klangfarbenreichtum des  musicAeterna Orchestra fasziniert und mitgerissen. Die Musik sagt uns deutlich: „Wer ich bin, wirst du nie erfahren.“ Die düstere, langsame Einleitung der Ouvertüre dehnt Currentzis bis ins Endlose aus. Starre Synkopen, grelle Sforzati und unheimliche Skalengänge der Geigen elektrisieren sich dabei in unheimlicher Weise. Schauer der Erregung kennzeichnen diese bemerkenswerte Interpretation, bei der die Details grell hervorstechen. Die Bässe erheben sich geradezu gebieterisch, in erregendem Forte vereinen sich alle überirdischen Kräfte und Mächte. Das Hauptthema  erscheint nach dem Piano plötzlich mit gnadenloser Klarheit und Kraft. Eine unglaubliche Sinnlichkeit und namenlose Erregung zeigt sich bei der Interpretation von Teodor Currentzis. Auch die herrischen Unisono-Schritte kommen nicht zu kurz. In der breit angelegten Durchführung strahlen alle Themen dann nochmals auf.

Die durchsichtige Struktur scheint sich auch auf die allesamt hervorragend besetzten Sängerinnen und Sänger facettenreich zu übertragen. Davide Luciano ist ein Don Giovanni mit kernig-machtvollem Bariton. Seine orgiastisch gestaltete Arie „Fin ch’han dal vino“ prägt sich tief ein, zeigt als Registerarie einen rasend-ekstatischen Charakter. Das bis zum Exzess kultivierte treibende Element dieser Musik ist das hervorstechende Merkmal von Teodor Currentzis‘ leidenschaftlicher Interpretation, der in die musikalische Struktur auch betont unheimliche Momente in raffinierter Weise einbaut. Nadezhda Pavlova überzeugt als ständig aufgebrachte Donna Anna, während Federica Lombardi als Donna Elvira ihre unglaubliche Erregung nicht unterdrücken kann. Anna Lucia Richter begehrt als empörte Zerlina schließlich mit großer Heftigkeit gegen ihr Schicksal auf. Neben diesem fulminanten Sopran-Triumvirat fesseln in weiteren Rollen Mika Kares als dämonisch-ungreifbarer Komtur, Michael Spyres als unglücklicher Don Ottavio, David Steffens als tumber Masetto und vor allem Vito Priante als mit sonorem Bass aufwartender, oftmals unbeholfener Leporello. Der musicAeterna Choir mitsamt den Herren des Bachchores Salzburg singt unter der Leitung von Vitaly Polonsky mit ehern-strahlenden Kantilenen. Aber auch der Witz des „Dramma giocoso“ blitzt immer wieder nuancenreich hervor. Die unbeschreibliche Palette der menschlichen Seele scheint sich bei Currentzis in einer weitschweifigen harmonischen Struktur widerzuspiegeln. Das Duett „Reich mir die Hand“, die bekannte Champagnerarie und Don Giovannis Ständchen „Horch auf den Klang der Zither“ besitzen hier etwas Sphärenhaft-Überirdisches, dessen betörender Klangzauber unter die Haut geht. Gesangliche Deklamation und melodischer Zauber ergänzen sich fließend. Selbst der „Figaro“-Witz fehlt nicht. Tänzerische Momente werden in der Choreographie eindringlich festgehalten. Elegante Wendungen und bitterer Hohn dominieren gleichermaßen stechend-grell. Die sirenenhaften Bläser-Übergänge gelingen Currentzis mit seinem voller Herzblut musizierenden Ensemble ebenfalls ausgesprochen eindrucksvoll. Tänzerisch-spielerische Unisono-Momente besetzen federnde Leichtigkeit. Die Momente der Gegensätze bleiben nicht nur beim Es-Dur-Sextett unversöhnt nebeneinander stehen. Das Ostinato-Motiv scheint sich zu einem Komplex auszuwachsen – und die leidvollen chromatischen Gänge von Bläsern und Streichern besitzen bei Currentzis etwas Unbezwingbares. Indem Don Giovanni die Beziehungen zwischen den Personen beeinflusst, zerbricht die menschliche Gemeinschaft völlig. Das zeigt sich nicht nur in der Inszenierung, sondern vor allem auch in der musikalischen Gestaltung. Klar wird auch, dass die Komödienstruktur dieses einzigartige Werk beschließen muss. Denn Currentzis gibt der Musik einen zuletzt unbeschreiblich befreiten Charakter. Jeglicher Zwang wird abgeschüttelt. Und die eigentliche  Versöhnung zeigt sich dann in Zerlinas bewegender Arie „Vedrai carino“.

Ovationen, Jubel, grenzenlose Begeisterung im voll besetzten Festspielhaus.   

Alexander Walther

 

 

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