SALZBURG/ Felsenreitschule “SOMEWHERE…” ODER BERNSTEIN’S “WEST SIDE STORY” ALS OPULENTE CINEMASCOPE-OPER IN SALZBURG (20.8.2016)
Copyright: Silvia Lelli
Ausgerechnet die lyrischen, verhaltenen Momente gehen unter die Haut. Wenn Cecilia Bartoli als Maria das berühmte „Somewhere“ anstimmt, dann gibt es die so selten erreichte „magische Verzauberung“. Und die Gewissheit, dass es sich bei dieser Romeo und Julia-Adaption von Leonard Bernstein (Buch Arthur Laurents, UA in New York 1957) um ein Meisterwerk handelt, das den Vergleich weder mit Faust noch Le Nozze di Figaro scheuen muss. Und leider auch politisch hoch aktuell geblieben ist. Dabei es sind es die Ohrwurm-Hits, die der „West Side Story“ nicht zuletzt in der berühmten Filmversion aus 1961 mit Natalie Wood, Kult-Status gesichert haben: „I want to be in America“, „I feel pretty“, „To night“, “Cool” oder “Officer Krupke” – da kann jeder mit summen, da kennt man Text und Melodie. Nun, die Intendantin der Salzburger Pfingst-Spiele, Cecilia Bartoli, wollte sich mit der „West Side Story“ in der Felsenreitschule offenbar einen Jugendtraum erfüllen. Sie holte sich ein „Dream Team“ zusammen und punktete damit auch bei der Wiederaufnahme der Produktion bei den Sommerfestspielen: Gustavo Dudamel mit seinem Simon Bolivar Orchestra of Venezuela ist ein Glücksfall. Die heißen Rhythmen der Sharks und Jets können nicht besser „angeheizt“ werden. Regie und Ausstattung kamen vom Broadway: Philip W.M. McKinley und George Tsypin gehören zu den arrivierten Stars der US-Musical- und Film-Welt. Und auch der Choreograph Liam Steel – er muss gegen die phänomenale Originalversion von Jerome Robbins „ankämpfen“ – gehört zu den hochkarätigen US-Profis. Gemeinsam mit dem Licht-Designer Patrick Woodroffe und dem Sound-Ingenieur Gerd Drücker wird man so in ein New Yorker Musical-Theater versetzt. Keine Neudeutung des Werkes, keine neumodische „Entlarvung“, sieht man von einem dramaturgischen „Trick“ ab, der von Cecilia Bartoli selbst ausging. Es gibt Julia alias Maria doppelt: eine „Witwe“ von Romeo/Tony, gespielt von der Koloratur-Diva und eine um 20 Jahre jüngere Julia/Maria – Michelle Veintimilla. Sie spricht und tanzt, jedoch gesungen wird von ihrem um eine Generation älteren “Schatten“. Cecilia Bartoli also auf den Spuren von Shakespeare bzw. Stephen Sondheim: „Tonight“ und „Somewhere“, dazu ein paar Ensembles. Es ist keine große Rolle für eine Primadonna, für die Rossinis Cenerentola oder Bellini’s Norma zum Markenzeichen wurde. Aber sie findet den richtigen Ton, so wie sie schon als Susanna oder Dorabella mit Mozart reüssierte. Cecilia Sie sind wunderbar! Als Sängerin aber auch als Intendantin: denn das gesamte Ensemble gebührt das Adjektiv „großartig“. Etwa Norman Reinhardt als Tony – der US-Tenor hat bereits eine beachtliche Opern-Karriere mit dem gesamten Repertoire von Alfredo in Traviata bis Tamino in Zauberflöte hinter sich. Und gehört zweifellos zu jenen Talenten, die man merken sollte. Ausgezeichnet auch die übrige Besetzung: Karen Olivo ist eine temperamentvolle, „rassige“ Anita mit Latin-American Flair und einem schönen, dunklen Mezzo. Sie verfügt über Broadway- und Film-Erfahrungen. Ein Glücksfall! Ein Bernardo mit Charisma ist George
Akram, ein Riff mit sportlicher Geschicklichkeit ist Dan Burton. Im Mittelpunkt der „West Side Story“ steht aber nicht nur die Liebesgeschichte zwischen zwei Personen verfeindeter Clans sondern auch die Automatik der Gang-Rivalität. Da kämpft die eine Gruppe von ehemaligen Flüchtlingen gegen die Kinder von Zuwanderern. Und der Hass ist nicht zu stoppen. Ein generelles Lob für die Sharks und Jets, die noch vom Salzburger Bach-Chor (Leitung Alois Glassner) Und deshalb bleibt nur das Prinzip Hoffnung auf eine bessere Welt:
„Es gibt einen Ort für uns,
irgendwo einen Ort für uns,
Ruhe und Frieden und freie Luft
wartet auf uns
irgendwo!“
„Somewhere“ – gesungen von Cecilia Bartoli- war mit Recht der Höhepunkt dieser „West Side Story“. Möge der Wunsch in Erfüllung gehen.
Peter Dusek