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SALZBURG/ Felsenreitschule: OEDIPE von George Enescu. Premiere

14.08.2019 | Oper


Christopher Maltman. Foto: Salzburger Festspiele/ Monika Rittershaus

Salzburg/Festspiele : „OEDIPE“Felsenreitschule Premiere 11.8.2019

Die einzige Oper von Rumäniens wohl bedeutendstem Komponisten, George Enescu (1881 – 1955), wurde in dieser Neuinszenierung für die Salzburger Festspiele zu einem mehr als packenden Musiktheaterereignis.  Ich kannte das Werk nur von der Wiener Staatsopernproduktion (1997, Koproduktion mit  der Deutschen Oper Berlin), die wir dem Einsatz Ioan Holenders für seinen Landsmann verdankten – eine gute Aufführung, die das Schicksal des Oedipus in gekonnter Regie, passender historischer Ausstattung und guter musikalischer Wiedergabe zeigte, sodass wir dem Werk fraglos einen Platz unter den bedeutenden Opern des 20. Jhs. zugestanden.

In ganz anderer Weise rüttelt nun die Salzburger Produktion auf. Die Felsenreitschule mit ihren Riesendimensionen ermöglicht eine erweiterte Sicht auf den Stoff. Der für Regie, Bühne, Kostüme und Lichtkonzept verantwortliche Achim Freyer kann hier seine Fantasie in einer Weise zum Einsatz bringen, die nicht Gewohntes entstellt, sondern ganz Essentielles an diesem antiken Stoff nicht nur hinterfragt, sondern in einer Weise anprangert, die uns aufrüttelt:

Hat das sogenannte „Schicksal“ ein Recht, einen Menschen noch ungeboren zu verdammen? Was geht es den Gott Apollon an, ob Laios ein Kind zeugt oder nicht? In Anbetracht dessen, was die griechischen Götter selbst alles an moralischen Fehltritten begangen haben, muss doch nicht Oedipus, der unschuldig an der Ermordung seines Vaters und der Ehe mit seiner Mutter ist, erblinden und mit chorischem Einverständnis von dessen Bewohnern aus seinem Königreich vertrieben werden… olendHolende unter den bedeutenden

Um diese offensichtlich unbeantwortbaren Fragen anschaulich zu machen, werden wir optisch mit einem vielgestaltigen Mysterium konfrontiert. Auf allen Umgängen im Hintergrund der riesigen Bühne erscheinen zu gegebener Zeit geheimnisvoll gewandete und  beleuchtete Figuren – solistisch oder gruppenweise – , die dank des mitlaufenden deutschen und englischen Textes der originalsprachlich französischen Oper identifiziert werden können. Welches Recht ihnen dadurch zusteht, über das Schicksal des neugeborenen Oedipus zu bestimmen, bleibt bewusst im Dunkeln.

Richtig gruselig ist schon der 1. Akt, wo wir in der Bühnenmitte ein einsam daliegendes wuchtiges Baby sehen, das offenbar zu sich zu finden bemüht ist. Es dreht und wendet sich nach allen Seiten, versucht aufzustehen, sich zu strecken. Ein Gesicht ist unter der Kopfmaske nicht erkennbar. Man rätselt, ob da ein lebendiges Kind eine Statistenrolle übernommen hat. Letztendlich trägt das Wesen eine rote Hose, zeigt mächtige Brustmuskel und entpuppt sich als der Sänger der Titelrolle: Christopher Maltman – mit mächtigem Bariton.

Die im Original-Libretto von Edmond Fleg vorgesehenen Schauplätze (1. Akt: Ein Saal im Palast des Laios, schwere Säulen…Blumengirlanden…Marmorwände…; 2. Akt: Ein Saal im Palast des Polybos in Korinth…Blick auf das Meer und die Akropolis…; 3. Akt: Theben; Agora, links ein Tempel, rechts der Palast des Ödipus…; 4. Akt: Attika. Am Rand eines heiligen Waldes…) gibt es nicht. Wirklich erkennbare Personen auch nicht. –

Das soll wohl aussagen, dass in griechischen Landen ebenso Willkür herrscht wie im Grunde in der ganzen Welt: Beurteilt werden die Menschen nach  der Hautfarbe, der Rasse, der Religionszugehörigkeit oder jener zu einer politischen Partei…und alle bekriegen einander – mit der Ausrede auf einen „Gott“ welcher Art auch immer, der ihnen das befiehlt.

Enescu zeigt Oedipes gesamtes Leben in 4 Stationen, zwischen denen jeweils 20 Jahre liegen:

  1. Seine Geburt
  2. Die Tötung der Sphinx, Befreiung Thebens und Berufung zum König mit dem entscheidenden Ausspruch: „Der Mensch ist stärker als das Schicksal“
  3. Pest in der Stadt, angeblich, weil der Mörder des Laios noch nicht gefunden ist, Erkenntnis des Oedipe, dass er es ist, Selbstblendung (symbolisch – der “sieht“ den Grund dafür nicht), Selbstmord der Mutter, Antigone begleitet Oedipe;
  4. Oedipe geht, von den Göttern bestimmt, seinen Weg ins Licht und wird wieder „sehend“.

 Ganz offensichtlich war es dem Komponisten eine Herzensangelegenheit, den in vielen dichterischen Varianten als Negativfigur gezeigten Helden die menschliche Kraft zuzugestehen, sich letztlich dem „blinden“ Schicksal zu entziehen. Die „Greise Athens“ unterstützen ihn mit harmonischem Gesang an die Götter: „Möge er ohne Schmerzen die Pforten des Erebus durchschreiten! … Glücklich ist der, dessen Seele rein ist: Der Friede sei mit ihm!“  Vorgesehen ist: Unter dumpfem Donner ein gewaltiges, blendendes Licht aus einer Grotte, in der Oedipus verschwindet…Theseus ist auf die Knie gefallen und „der heitere Gesang der unsichtbaren Eumeniden“ wiederholt die letzten Worte. Die abschließende Regieanweisung („Die Zweige der  Bäume bewegen sich leise im Licht der purpurnen Strahlen der untergehenden Sonne“) wird begreiflicherweise nicht präzise übernommen, denn die alles verklärende Musik kann das ohnedies viel besser. „VORHANG. Sehr langsam“ bemerken die Autoren noch. Das Regieteam verhindert einen kitschigen Schluss, indem verschiedenfarbige Lichteffekte das Eingehen in eine andere Welt erraten lassen.

Als kritischen Einwand gegen die aktuelle Produktion würde ich lediglich anmerken, dass sowohl die erste als auch diese letzte Szene zu lang wirkte. In der Wiener Aufführung war dies nicht der Fall.

 Dass dort wie da die Wiener Philharmoniker im Graben saßen und Ingo Metzmacher einmal mehr seine Qualitäten als Erwecker “moderner“ Partituren unter Beweis stellen konnte, mag erklären, warum hier die großartige Musik von George Enescu die führende Rolle spielte.

Neben einem großen Streicherensemble kommen je 14 Holz- und  Blechblasinstrumente zum Einsatz, dazu 15 Schlaginstrumente, Klavier, Celesta und Harmonium. Die im sehr guten Programmheft von Uwe Schweikert mit detaillierten Beispielen erläuterte Instrumentationskunst Enescus, die im durchaus tonalen Rahmen gigantische Höhepunkte ebenso ermöglicht wie sie Denkanstöße bietet, lässt keine Spannungseinbrüche zu. Diese Musik steht, auch wenn man Einflüsse von Vorgängern und Zeitgenossen konstatieren möchte (was ich prinzipiell nicht gern tue) jenseits aller „ismen“ und wurde im  Verlauf von rund 10 Jahren von Enescu als Herzensangelegenheit geschrieben. Die Chöre sind in den unterschiedlichsten Situationen und Konstellationen schon deshalb immer effektvoll, weil die Chorstimmen fast immer aus dem Dunkel kommen, von in undefinierbare, meist schwarze Gewänder gesteckten Mitgliedern der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, von Huw Rhys James  sehr engagiert zum Einsatz gebracht, sodass deren Auftritte immer große Wirkung haben.

Alle Massenszenen geben optisch Rätsel auf. Klar ist jedoch immer die musikalische Aussage. Genauso ist es mit den vielen Solistenrollen, von denen die des Titelhelden noch die eindeutigste ist. Christopher Maltman lebt und singt sie mit einer emotionalen Intensität, die das Hauptansinnen bzw. -anliegen des Komponisten, dass der Mensch stärker sei als das Schicksal, glaubwürdig macht.

Alle weitere

  • n Figuren geben Rätsel auf. Der hagere John Tomlinson mit schon etwas wackeligem Bass als uralter Tirésias, nahezu um 1 Meter größer gezeigt als alle anderen Auftretenden, geht als Hauptansinnen des Komponistesn immer wieder extrem langsam über die Bühne, ein winziges Kind an der Leine führend. So wichtig fühlt er sich allen anderen gegenüber. Für uns ist diese Erscheinung absurd. Jocaste in einem blauen Gewand, das sie wie flatternde Blumenblätter aussehen lässt, wirft die Frage auf, ob man diese Figur überhaupt ernst nehmen soll. Anaik Morel singt sie mit jugendlichem Mezzosopran und bewegt sich entsprechend locker. Antigone (Chiara Skerath, schweizerisch-belgische Sopranistin) erscheint in der oberen Etage des Bühnenhintergrunds in unschuldigem Weiß und tut – unbewegt – ihre Hilfsbereitschaft mit verklärtem jugendlichem Sopran kund. Laios (der irisch-kanadische Tenor Michael Colvin) und Créon (der irisch-amerikanische Bariton Brian Mulligan) sind mit ihren durchdringenden Stimmen sozusagen Gesetzeshüter.

David Steffens (Le Grand Pretre), Ève-Maud Hubeaux (La Sphinge), Gordon Bintner (Phorbas), Tilmann Rönnebeck (Le Veilleur), Boris Pinkhasoich (Thésée) und Anna Maria Dur (Mérope) sind allesamt prägnante Sänger der kürzeren, aber gewichtigen Rollen. Der Kinderchor, einstudiert von Wolfgang Götz, vervollständigt das großartige Ensemble.

 

Nach Schluss: Ein einziger kurzer Buh-Ruf aus dem Hintergrund des Saales wurde inmitten des heftigen Beifalls und der Bravo-Rufe des übrigen Auditoriums bedeutungslos. Für den Titelhelden gab es die verdienten Sonder-Ovationen. Kritische Einwände lassen sich gewiss viele gegen das vielschichtige Werk oder seine Wiedergabe finden. Ganz unbeeindruckt ist wohl kaum jemand aus dem Haus gegangen. Skepsis gegenüber den „Göttern“ ist wohl allemal angebracht…

Sieglinde Pfabigan

 

 

 

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