Sachsen-Anhalt: Vom Bauhaus auf Welterbe-Trip zu Luther und ins Gartenreich, 05.10.2013
von Ursula Wiegand
I: Bauhaus Dessau
Dessau, Bauhaus seitlich. Foto: Ursula Wiegand
„Der Anspruch des Bauhauses war es, die moderne Lebenswelt neu zu gestalten,“ äußert Prof. Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau. Doch in Weimar, der Gründungsstadt im Jahr 1919, war das im erstrebten Umfang nicht möglich. „Es hat sich ausgeweimart, meine Herren, wir gehen jetzt dessauern,“ verklickerte Bauhaus-Meister Lyonel Feininger den Umzug seinen Kollegen. Erst ab 1925, im bereits industriell geprägten Dessau, konnte das Bauhaus zur Werkstatt der Moderne werden.
Die UNESCO hat 1996 jedoch die Bauten in beiden Orten zum Weltkulturerbe erklärt. „Das Bauhaus mit seinen Stätten in Weimar, Thüringen, und Dessau, Sachsen-Anhalt, steht für die sogenannte Bauhaus-Schule der Architektur, die zwischen 1919 und 1933 revolutionäre Ideen der Baugestaltung und Stadtplanung durchsetzte. Die Bauten der Bauhaus-Professoren von Walter Gropius bis Hannes Meyer, Lazlo Moholy-Nagy bis Wassily Kandinsky begründeten den Bauhaus-Stil, der die Architektur des 20. Jahrhunderts entscheidend geprägt hat.“ So der Wortlaut.
Dessau, Ateliergebäude des Bauhauses. Foto: Ursula Wiegand
Diese Ehre ist auch eine Verpflichtung, und so werden seit Jahren Dessaus Bauhaus-Ikonen aufwändig saniert. Ein weiterer Schritt ist gerade getan. Am 7. Oktober wird das frisch renovierte Atelierhaus offiziell wieder eröffnet. Dann können auch die Besucher (erneut) authentisch „dessauern“ und sich wie die Pioniere in dem von Walter Gropius 1925/26 geschaffenen Gebäude betten.
In den bereits fertigen Etagen konnten wir schon mal „anschlafen“, in großen hellen Zimmern mit breiter Fensterfront, weißen Wänden und stilecht strenger Möblierung. Räume mit Aussicht und Weitblick, wie ihn die Bauhausmeister hatten. Klare gerade Linien waren ihre Formensprache. Das einzig Runde im gesamten Komplex sind die Atelierhaus-Balkone.
Dessau, Bauhausausstellung, Weißenhofstuhl, 1927, Mies v.d. Rohe und Lilly Reich. Foto: Ursula Wiegand
In den 28 Räumen, verteilt auf 4 Stockwerke, haben Studenten der von Walter Gropius gegründeten „Hochschule für Gestaltung“ gewohnt, im Zimmer 1 in der 2. Etage aber auch Bauhausmeister Marcel Breuer (1902-1981), der Leiter der Möbelwerkstatt.
1925 entwarf er die ersten Stahlrohrmöbel für den Privatgebrauch, darunter den „Stuhl B3“, den später „Wassily“ genannten Stahlrohrsessel. Ein Erfolgsmodell. Auf den oder die können sich die Besucher beim Gang durchs Bauhaus setzen.
Auch Meister Mies van der Rohe setzte auf diesem Gebiet Zeichen. Denn das Bauhaus-Konzept war ganzheitlich und erstreckte sich laut Oswalt vom „Teelöffel bis zur Stadtplanung“. In einer Dauerausstellung lassen sich diese Ausstattungshighlights der Moderne bewundern. Einige Modelle werden für gutes Geld noch immer nachgefertigt, so auch die von Marcel Breuer designten Thonet-Stühle.
Dessau, Bauhaus, Blick aus der ehem. Metallwerkstatt. Foto: Ursula Wiegand
Die frühere Metallwerkstatt im 4. Bauhaus-Stock wird inzwischen für Veranstaltungen genutzt, doch geändert hat man denkmalgerecht fast nichts. Der Fußboden zeigt noch die Spuren früherer Tätigkeit und ist noch genau so original wie der Blick durch die streng gestaltete Fensterfront auf die umliegenden weißen Bauten. Nur eines war für die offenbar abgehärteten Bauhäusler noch kein Thema: die Wärmedämmung. Wegen der riesigen Glasfenster ist es in der Ex-Metallwerkstatt im Sommer heiß, im Winter trotz Heizung bitterkalt.
Dessau, Meisterhäuser Muche/Schlemmer seitlich. Foto: Ursula Wiegand
Diese jahreszeitlichen Temperaturschwankungen müssen auch diejenigen hinnehmen, die in den bereits fein restaurierten Meisterhäusern Kadinsky/Klee, Muche/Schlemmer und Feininger/ Moholy-Nagy ihre Büros und damit die Chance haben, in einem Welterbe zu arbeiten.
Gerade wird dort in dieser Reihe das Meisterhaus von Walter Gropius rekonstruiert, von dem nur das zweigeteilte Kellergeschoss erhalten ist. In der einen Hälfte befanden sich die Speisekammer und das Weindepot, in der anderen wohnte der Hausmeister mit Familie. Gropius propagierte seine Vorstellungen guten Bauens auch in den eigenen vier Wänden und führte ein offenes Haus. Rund 20.000 Besucher haben sich bei ihm umgeschaut. Nach seinem Weggang aus Dessau (1928) wohnten dort zunächst Hannes Meyer, später Mies van der Rohe.
Dessau, Meisterhaus Gropius in Rekonstruktion. Foto: Ursula Wiegand
Architekt Piero Bruno von BFM-Architekten, Berlin, spricht nun von einer „respektvollen Rekonstruktion“, bei der die damaligen Bilder eines japanischen Fotografen eine wertvolle Hilfe sind.
Einziehen werden das Bauhaus-Archiv und eine Kurt-Weill-Dauerausstellung. Auch als Veranstaltungsort soll das Gebäude genutzt werden. Zur feierlichen Eröffnung am 16. Mai 2014 wird Bundespräsident Joachim Gauck erwartet. Auch Ati Gropius Johansen und Hattula Moholy-Nagy , die hochbetagten Töchter dieser Bauhaus-Meister, wollen aus den USA anreisen, wo ihre von den Nazis bedrohten Eltern nach der Schließung des Bauhauses (1933) eine neue Heimat fanden.
Dessau, Bauhaussiedlung Törten, Straßenzug. Foto: Ursula Wiegand
Ein Experiment blieb das Stahlhaus der Meister Muche/Paulick (1926/27), doch mit der Bauhaussiedlung Törten gelang die Verwirklichung einer modernen Stadtplanung. Törten trägt die Handschrift von Walter Gropius. Im Auftrag der Stadt ließ er, anschließend an die breite Heidestraße, von 1926-1928 eine ringförmige Anlage mitsamt Konsumgebäude errichten, ganze Straßenzüge, ein kleines Haus am andern. Die Betonwände wurden vor Ort gegossen, innerhalb eines Tages (!) war solch ein „Billig-Häuschen“ fertig. Ein solches konnten sich auch Arbeiter leisten, und genau so sozial war es gedacht.
Bauhaussiedlung Törten, Haus Anton, Walter Gropius, 1928. Foto: Ursula Wiegand
Viele dieser Häuser wirken äußerlich unverändert, und alle sind noch bewohnt. Nur das Haus Anton, genannt nach den letzten Besitzern, hat die Bauhaus-Stiftung übernommen, um Studierenden und Besuchern solch ein Gropius-Original zeigen zu können.
Davor stehend fallen – und nicht nur dort – die Glasbausteine im Türrahmen auf. Durch sie fällt Licht in den Flur, andererseits bilden sie Kältebrücken. Im Keller sind noch das Spülbecken und die Kloschüssel zu sehen. An Stelle vom Plumpsklos bekamen diese Häuser eine seinerzeit fortschrittliche, mit Torfmull gefüllte Trockentoilette.
Dessau, Bauhaussiedlung Törten, Laubenganghaus von Hannes Meyer. Foto: Ursula Wiegand
Selbstverständlich zählt die Bauhaussiedlung Törten ebenfalls zum Weltkulturerbe, und diesen Status erhofft man sich auch für die 1930 von Hannes Meyer geschaffenen Laubenganghäuser am Rande des Ensembles.
Zu den Bauhausperlen Dessaus gehört außerdem das historische Arbeitsamt, das Gropius nach dem Gewinn eines Wettbewerbs 1928/29 konzipierte. Heutzutage beherbergt der weiße Großbau das Amt für Ordnung und Verkehr. Doch erst drinnen in den geschwungenen, gekonnt beleuchteten Gängen zeigt sich das Geschick des Meisters.
Dessau, Flur des historischen Arbeitsamtes von Walter Gropius. Foto: Ursula Wiegand
Während der Öffnungszeiten kann sich jeder/jede in der Eingangshalle umschauen. – Eine Empfehlung anderer Art: ein Besuch im Anhaltischen Theater, nach wie vor ein täglich bespieltes 4-Sparten-Haus!
Und Dessau selbst? Wegen des Einwohnerschwunds hat die Stadt vor einigen Jahren mit dem Nachbarort Roßlau zu Dessau-Roßlau fusioniert. Ein sperriger Name. Über eine Umbenennung, die das Charakteristische aufgreift, wird jedoch nachgedacht. Die kann sinnvollerweise nur „Bauhausstadt Dessau“ lauten. Gleichzeitig wäre das ein internationales Markenzeichen.
II: Lutherstadt Wittenberg
Lutherstadt Wittenberg, Marktplatz mit den Türmen der Stadtkirche. Foto: Ursula Wiegand
Dass sich Herausragendes im offiziellen Stadtnamen nutzbringend kundtun lässt, wurde in Wittenberg an der Elbe frühzeitig erkannt. Schon 1938 entschied man sich für Lutherstadt Wittenberg, lebte und wirkte hier doch der Reformator.
Lutherstadt Wittenberg, Luther-Standbild auf dem Marktplatz. Foto: Ursula Wiegand
Seit 1996 zählen Martin Luthers Wohnhaus, die Stadtkirche St. Marien, wo er 35 Jahre lang predigte, und die Schlosskirche, an deren Tür er am 31. Oktober 1517 seine berühmten 95 Thesen gegen den üblen Ablasshandel anschlug – zum Weltkulturerbe. Auch das schöne Renaissance-Haus von Philipp Melanchthon – Humanist und hochgebildeter Vordenker der Reformation – gehört dazu.
Lutherstadt Wittenberg, Collegienstraße, Melanchthonhaus und Neubau
Direkt daneben steht seit diesem Jahr ein moderner Neubau von „Dietsch & Weber Architekten“ aus Halle, ein gewollter Kontrast und ein Blickfang zwischen den farbigen, teils spätbarocken Häusern der Collegienstraße. In einer Dauerausstellung wird hier stärker, als es bisher im Wohnhaus möglich war, das Wirken Melanchthons gewürdigt.
Lutherstadt Wittenberg, Tympanon überm Portal der Stadtkirche St. Marien: Foto: Ursula Wiegand
Noch nicht beendet ist die umfängliche Sanierung der Stadt- und der Schlosskirche. Doch pünktlich zum 500-jährigen Luther-Jubiläum im Jahr 2017 sollen sich beide Gotteshäuser wieder eindrucksvoll präsentieren.
Bei der Baustellenführung in der Schlosskirche erläutert Küster Uwe Stibbe, wie die Restaurierung vonstatten geht. Auch einen Blick auf die Grabstellen Luthers und Melanchtons können die Besucher werfen. Unversehrt überstanden die beiden bronzenen Grabplatten einen Brand, der sämtliche Holzeinbauten vernichtete.
Lutherstadt Wittenberg, Cranachhaus, Markt. Foto: Ursula Wiegand
Ein weiterer, sehr prominente Bürger war der Maler Lucas Cranach d.Ä. und sein Sohn. Beide, jahrelang Bürgermeister ihrer Stadt, betrieben auch eine Druckerei. Ihre Häuser, so das orange-farbene am Markt 4, und der Cranach-Hof, wo sie arbeiteten, sind nach wie vor Anziehungspunkte. Noch mehr werden sie es im Cranachjahr 2015 sein.
Das bekanntes Reformationsbild von Ludwig Cranach d.Ä. in der Stadtkirche ist wegen der Sanierungsarbeiten momentan durch ein Duplikat ersetzt, doch viele seiner lebensnahen Porträts hängen im Luther- und Melanchthonhaus.
Lutherhaus, Martin Luthers Zimmer. Foto: Ursula Wiegand
Im Lutherhaus ist auch die Kanzel ausgestellt, auf der der Reformator predigte, ebenso seine erste vollständige deutsche Übersetzung der Heiligen Schrift, die sog. Lutherbibel, gedruckt 1534. Eine wegweisende Tat. Und sinnend durchschreiten die Besucher das original erhaltene Lutherzimmer mit seinem Schreibpult auf dem schrägen Fußboden und der verblassten Tapete.
III: Dessau-Wörlitzer Gartenreich
Ein weiteres UNESCO-Welterbe liegt sozusagen mittendrin und verbindet aufs Beste die Bauhausperle Dessau mit der Lutherstadt Wittenberg. Nicht ganz, aber fast.
Gartenreich Dessau-Wörlitz, Idyll und Welterbe. Foto: Ursula Wiegand
Gemeint ist das malerische Dessau-Wörlitzer Gartenreich, ein 142 qkm großer Landschaftspark nach englischem Vorbild. Eine sattgrüne Oase mit Seen und Kanälen, auf denen die Gäste in Kähnen, mit Armkraft gerudert, vergnüglich hin- und hergondeln.
Initiator der in dieser Art einmaligen Anlage war Leopold III Friedrich Franz von Sachsen-Anhalt (1740-1817), der „Vater Franz“, wie er wegen seiner Leutseligkeit genannt wurde. Er hielt sein Ländle fern von allen Kriegen und zahlte aus eigener Schatulle lieber eine Ablöse an Friedrich den Großen.
Gartenreich Dessau-Wörlitz, Schloss Wörlitz. Foto: Ursula Wiegand
Als Mann der Aufklärung trieb er die Konjunktur ebenso voran wie die Bildung der Untertanen. Die durften sogar sein Wörlitzer Schloss mit all’ den Gemälden und Skulpturen besichtigen, um dort Kultur zu schnuppern. Die nun wieder fein herausgeputzte Schlossfassade wäre wohl ganz nach seinem Sinn.
Gartenreich Dessau-Wörlitz, Gotisches Haus mit Besuchergruppe. Foto: Ursula Wiegand
Auch sein privates Domizil, das Gotische Haus, leuchtet schon von weitem und zeigt sich drinnen im Originalzustand. Darüber hinaus setzen antik inspirierte Tempelchen strahlend weiße Tupfer ins satte Grün. All’ das baute dem Fürsten der Frühklassiker Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf (1736-1800) nach einer gemeinsamen Italienreise.
Gartenreich Dessau-Wörlitz, Insel Stein mit der Villa Hamilton. Foto: Ursula Wiegand
Auch die künstliche Insel Stein mit Grotten, einem kleinen Amphitheater, der roten Villa Hamilton und einem Vulkan, der bei Veranstaltungen neuerdings wieder Feuer speit, greift die Italieneindrücke auf.
Gartenreich Dessau-Wörlitz, historischer Gasthof Zum Eichenkranz. Foto: Ursula Wiegand
Ein weiterer Erdmannsdorff-Bau, das historische Gasthaus „Zum Eichenkranz“ (von 1787), wird gerade wieder in Stand gesetzt. Denn der Welterbestatus erweist sich als Ansporn, auch für die Geldgeber, und außerdem als Magnet für die Besucher.
Ursula Wiegand
Infos: generell unter www.luther-bauhaus-gartenreich.de , zu Dessau-Roßlau unter www.dessau-roslau-tourismus.de , zum Bauhaus unter www.bauhaus-dessau.de , zum Anhaltischen Theater unter www.anhaltisches-theater.de
Zur Lutherstadt Wittenberg unter www.wittenberg.de ,
Zu Wörlitz mit Gartenreich unter www.woerlitz-information.de .
Übernachtungen: Im Ateliergebäude des Bauhauses Kostet das EZ wochentags 35 Euro, das DZ 55 Euro, am Wochenende 40 bzw. 60 Euro, jeweils ohne das Frühstück, erhältlich aber im Bauhaus-Club. Die nach historischem Vorbild gestalteten Zimmer haben jeweils Waschbecken. WC und Dusche zur Gemeinschaftsbenutzung auf dem Flur. Tel. 0049-340-6508-318. Mail: unterkunft@bauhaus-dessau.de .
Landhaus Wörlitzer Hof, romantisches, gut geführtes Familienhotel direkt am Gartenreich. Tel. 0049-34905-4110, www.woerlitzer-hof.de
Luther-Hotel in der Lutherstadt Wittenberg (Best Western), integriert in ein Shopping Center, Tel. 0049-3491-4580, www.luther-hotel-wittenberg.de