SACD TRIO BOCCHERINI mit „HUNGARIAN STRING TRIOS“ von Leó Weiner, László Weiner, Zoltán Kodály und Ernö Dohnányi; BIS
Nach berauschendem Navigieren in analogen Vinylträumen (DGG The Original Source Series) ist es hart, wieder auf digitalem Boden zu landen. Außer man entscheidet sich für Kammermusik auf stupendem audiophilem Level des Labels BIS. Wenn dann das Trio Boccherini noch Repertoireperlen wie die Streichtrios bzw. Serenaden für Streichtrio von Leó und Laszló Weiner oder Ernö Dohnányi in das Programm genommen hat, steht musikalischen Super-Audio Entdeckerfreuden nichts mehr im Wege.
Suyeon Kang (Violine), Vicki Powell (Villa) und Paolo Bonomini (Cello) haben sich 2014 in Berlin zusammengefunden und das Trio Boccherini gegründet. Sie tauchen in diese ungarischen Klangwelten des frühen 20. Jahrhunderts mit ihrer Verwurzelung in der deutschen Romantik plus den typisch folkloristischen Elementen einer nationalen Schule mit unglaublicher Einfühlung für das magyarische Idiom und den spezifischen Streicherklang (forsch klar und dennoch in irisierender Farbenpracht schwelgend) ein.
Die Überraschung des Albums kommt gleich zu Beginn. Das Streichtrio in g-Moll von Leó Weiner aus dem Jahr 1908, das in der Tradition von Brahms stehende Frühwerk eines 23-jährigen Hochbegabten, überzeugt mit tänzerischem Elan, deftigen Rhythmen und formal stringenten Variationen.
Atmosphärisch völlig anders gestaltet sich die „Serenade“ für Trio von Laszló Weiner, während seiner Studien bei Kodály 1938 geschrieben. Es ist das klanglich modernste Stück des Albums. Die erregtere Grundtonalität durchziehen graue Regenschleier und Einbrüche von Einsamkeit. Neben kontrastreich nuancierten Motiven ist die kontrapunktische Meisterschaft hervorzuheben, wobei die Textur des Werks mit starken Impulsen für die Bratsche zwischen dicht gewirkter Komplexität und solistischem Geplaudere von Violine, Bratsche und Cello pendelt. Die beredte Intimität des Werks lässt die disparaten Gefühlslagen des jungen Musikers erahnen und den Hörer sprachlos zurück. An den jüdischen Komponisten Laszló Weiner ist nicht zuletzt deshalb so besonders wichtig zu erinnern, weil er 1944 mit erst 28 Jahren im Lager von den Nazis umgebracht wurde und dmait auch eine vielversprechende Entwicklung als Musiker abgewürgt wurde. Da halfen auch die Interventionen seines Lehrers Kodály nichts, von dem auf dem Album das kurze „Intermezzo“ für Streichtrio aus dem Jahr 1905 erklingt.
Maß nahm Kodály in seinem in ungarischem Volksmelos badenden und dennoch weltmännisch eleganten „Intermezzo“ bei Ernö von Dohnányis Serenade in C-Dur, Op.10 (1902). Das fünfsätzige Stück ist zurecht ein Klassiker der Streichtrioliteratur. Formal ausgewogen und in nahezu unbeschwerter Manier spielt Dohnányi mit den Temperamenten, Tempi und Formen vom Marsch bis zur Romanza, vom vierten, auf einem überirdisch nachdenklichen Motiv beruhenden Variationensatz (mein persönlicher Favorit) bis zum augenzwinkernd rasanten Rondofinale.
Das musikalische In- und Miteinander des Trio Boccherini ist so vielgestaltig wie die einzelnen Mitwirkenden des Trios hier ihre Individualität in einen spannungsreichen Diskurs einbringen. Da sind drei starke Persönlichkeiten am Werk, die den gespielten Werken nicht nur pulsierendes Leben einhauchen, sondern sich auch vor Kanten und Ecken nicht scheuen. In expressiver Leidenschaft und zärtlichst geflüsterter Eintracht ist dieses Trio gleichermaßen unübertroffen.
Fazit: Ein programmatisch sinnstiftendes und musikalisch aufregend ungezähmtes Album. Da das bis auf die Serenade von Laszló Weiner von der Werkwahl idente Album mit dem Deutschen Streichtrio (cpo) längst vergriffen ist, sind diese ungarischen Streichtrios – abgesehen von der oftmals eingespielten Dohnányi Serenade – auch vom Repertoirewert höchst wertvoll.
Dr. Ingobert Waltenberger