SAARBRÜCKEN: AIDA in einer fesselnden Inszenierung von MANUEL SCHMITT
25.10. 2024 (Werner Häußner)
Foto: Kaufhold
Ohne Wasser gäbe es kein Leben in der uns bekannten Form. Wasser ist eine knappe Ressource, auch wenn das in Mitteleuropa erst allmählich spürbar ist. Über ein Viertel der 8,2 Milliarden Menschen auf der Erde haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Der Kampf das kostbare Nass schürt jetzt schon Konflikte wie den zwischen Ägypten und Äthiopien. Dort ist 2022 der GERD-Staudamm fertig geworden; sein Speichersee soll in zehn Jahren mehr Wasser fassen als der Bodensee. Ägypten ist alarmiert: Der Nil ist die Lebensader des Landes in der Wüste, immer mehr Menschen leben von seinem Wasser. Ägyptens Bevölkerung explodiert: 1950 lebten gut 21 Millionen an den Ufern des Nils, heute sind es 118 Millionen, 2050 könnten es 161 Millionen sein. Kairo ist der größte Ballungsraum Afrikas.
Manuel Schmitt hat seine Saarbrücker Inszenierung von Giuseppe Verdis „Aida“ auf das Thema „Wasser“ aufgebaut. Julius Theodor Semmelmann füllt die Bühne mit einem Szenario, in dem man den Staub der Wüste zu spüren meint: ein Schutzdach, das sich über einer Bau- oder Ausgrabungsstelle spannt. Darunter eine geteilte Gesellschaft, in der das Gut Wasser knapp ist. Der herrschenden Klasse hat Carola Volles europäische Mode im kolonialen „Tod-auf-dem-Nil“-Stil verpasst, aber die Kostüme und Anzüge der Damen und Herren sind farblich gebrochen. Englisches Pastell, von gelbbraunen Sandtönen gedämpft.
Die Bediensteten, die vergeblich trockene Baumsetzlinge pflegen, und die Äthiopier erinnern an Fellachen. Der Oberpriester leuchtet in sterilem Weiß heraus, Pharaonentochter Amneris trägt Haute Couture in leuchtendem Wasserblau. Für sie existiert kein Mangel: Ihre Badewanne wird aus dickleibigen Plastikflaschen gefüllt, während zu Beginn der Oper eine alte Frau, notdürftig in Plastiklumpen gehüllt, vergeblich versucht, aus ihrem Kanister noch einen Tropfen zu gewinnen. Im Lauf der Inszenierung erkennen wir: Ingrid Korb symbolisiert hier die „Mutter Erde“, gepeinigt und unbeachtet.
Das Wasser kommentiert als Motiv die Handlung, wenn der Bote, der die Schreckensmeldung vom Einfall der äthiopischen „Horden“ bringt, von den um den Tisch versammelten Politikern vergeblich einen Schluck aus ihren Wassergefäßen nehmen will. Die Tempelszene – eine heilige Waschung. Radamès gießt sich nach der Initiation als neu ernannter Feldherr eine Flasche in die Kehle. Für Amneris gibt es, umgeben von ergrünten Pflanzen, Schaum und Schampus im Bade. Den Gefangenen wird das existenzielle Bedürfnis des Trinkens verwehrt; später werden sie von den Damen der Gesellschaft, die zuerst Wohltaten heucheln, in schmutzige Wannen bis zur Bewusstlosigkeit eingetaucht. Für den Schluss der Oper hebt sich Manuel Schmitt einen bezwingenden Effekt auf – ein Bild, das Wasser zur Chiffre der Erlösung macht.
Man könnte nun meinen, das Wasser-Motiv werde zu einem obsessiven Leitthema einer Inszenierung, die „Aida“ auf einen politischen Appell oder eine Anklage gegen Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung reduziert. So sehr die aktuellen Bezüge im Blick sind – Schmitt lässt zwischen den Akten in Videos mit Florence Nzambuli eine ägyptische Betroffene zur Bedeutung des Nils sprechen –, so wenig erschöpft sich Schmitts Konzept auf dieser Ebene. Wie seine atemberaubende Deutung von Georges Bizets „Les Pêcheurs de Perles“ in Gelsenkirchen (2018) lässt seine Inszenierung zu, Deutungsräume zu eröffnen, die über einen allzu konkreten Ägypten-Nil-Wasser-Kommentar hinausweisen. Die symbolhafte Mutter-Erde-Figur, die keine Stimme hat, ist nur eines der aufbrechenden Elemente. Mit seiner Schilderung des Phta-Kultes entlarvt er die Religion als Ideologie der Herrschaft. Doch das Wasser wird – beinahe in einem biblischen Sinn – zur Metapher, zum „Quell des Lebens“.
In gnadenlos präziser Personenführung und Figurencharakterisierung verschränkt er das Politische und Private in der Erzählung. Khatuna Mikaberidze ist eine starke Frau, eine Amneris, die genau weiß, was sie will und wie es bekommt. Ihr strategisches Denken bricht an der ihr unverständlichen Entscheidung des kriegs- und ruhmsüchtigen Toren Radamès, sich seinem Schicksal nicht zu entziehen. Dass Amneris bereit wäre, alles für ihre Liebe zu geben, macht Mikaberidze im Duett des letzten Aktes emotional flammend deutlich. Eine faszinierende Darstellerin, doch leider stimmlich keine ideale Amneris: Zwar setzt sie musikalische Intelligenz, dramatische Wucht und sensible Dynamik ein. Wie sie im ersten Akt zu Aida von „desideri“ und „speranze“ spricht, lässt einen erschauern. Aber das sehnsuchtsvollen „Vieni, amor mio, m’inebria …“ singt sie nicht in erfülltem Legato, bildet den Ton nicht gleichmäßig. Immer wieder zeigt sich diese Inkonsistenz auch beim Übergang in das flache und steife Brustregister. Ihre Phrasierung ist nicht vom weitgreifenden vokalen Bögen gestützt.
Mit Radamès glaubt sie zunächst aufgrund ihrer überragenden gesellschaftlichen Stellung und ihrer souveränen Intelligenz leichtes Spiel zu haben. Den gibt Xavier Moreno als Aufsteiger, der eigentlich nicht in die Gesellschaft passt. Mit blutigem T-Shirt und Soldatenhose nähert er sich linkisch der opulenten Festtafel und dem Machtmenschen König – von Hiroshi Matsui ausdrucksstark verkörpert. Wohl fühlt er sich, so scheint’s, nur an der Front, wo er seinem „heiligen“ Drang nach Ruhm nachgeben kann. Doch im Triumph der Sieger dämmert ihm, dass es mehr gibt als die Werte der bestimmenden Luxuskaste. Den Weg der Selbstbestimmung zeichnet Moreno stimmlich eindrucksvoll nach. Wenn auch sein Timbre immer wieder verbraucht klingt, wenn er die Höhe eng bildet: Er gestaltet differenziert, am Wort orientiert, erreicht das „b“ in „vicino al sol“ im Piano und trifft in „O terra addio“ den resignierten Ton für einen leisen, ersterbenden Abschied vom irdischen Jammertal.
Das ist ein Moment, in dem auch Ivi Karnezi als Aida einen berückend intimen Ton findet. Die Sopranistin, die diese Rolle bereits in Aarhus, Braunschweig und Oslo sang und in David Littles „Dog Days“ in Braunschweig beeindruckte, bleibt als Gast in der Inszenierung eine unspezifische Figur, im Zentrum füllig, in der Höhe oft angestrengt singend. Michael Bachtadze ist ein ambivalenter Amonasro mit klar artikulierender, präsenter Stimme. Konstantin Gorny als präpotenter Ramfis geriert sich als typischer Vertreter moderner Verdi-Brüllerei, Jon Jurgens als Bote und María Sól Ingolfsdóttir als Priesterin machen ihre Sache gut. Der Opernchor, von Jaume Miranda und Mauro Barbierato einstudiert, glänzt vor allem in den Priesterszenen des ersten und vierten Akts und pariert die vokalen Herausforderungen des Triumphbilds. Nickolas Kudo führt das Saarländische Staatsorchester anstandslos durch einen musikalisch soliden Abend. Wer eine Konkurrenz zur „wagemutigen“ Frankfurter Inszenierung der „Regisseurin des Jahres“ Lydia Steiers sucht: Voilá, hier ist sie!
Werner Häußner