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SAARBRÜCKEN: PETER GRIMES

23.03.2016 | Oper

Saarbrücken: „PETER GRIMES“ – 22.3. 2016 (Pr.12.3.2016)

Werk und Wiedergabe im idealen Einklang


Saarländisches Staatstheater Saarbrücken. Copyright: Staatstheater 

 Manchmal gesellen sich zu verdienten Früchten harter Arbeit noch glückliche Umstände – und heraus kommt eine reiche und schmackhafte Ernte. So muss es wohl gewesen sein bei der neuesten Produktion des Saarländischen Staatstheaters.

An erster Stelle muss hier, bei allem Respekt vor den vielen übrigen Verantwortlichen und Mitwirkenden, die Regie genannt werden. Es war der Leitung des Theaters gelungen, Brigitte Fassbaender für diese Arbeit zu gewinnen. Und wer es noch nicht wusste, erfuhr es hier: Sie schrieb nicht nur jahrzehntelang Interpretationsgeschichte als Sängerin und danach als Intendantin – sie ist auch eine begnadete Regisseurin. Zumindest hat sie es hier und jetzt, gemeinsam mit der Ausstatterin Bettina Munzer (die auch für die „sprechenden“ Kostüme verantwortlich zeichnet), an Benjamin Brittens Meisterwerk vorgeführt.

Zu Beginn liegt, in ein helles Tuch gewickelt, die Wasserleiche eines Kindes vor dem geschlossenen Vorhang, unspektakulär aufgebahrt, fast wie beiläufig. Wenn sich der Vorhang hebt, erleben wir ein gerichtliches Verhör, das die Dorfbevölkerung, mit Regenmänteln und Regenschirmen vermummt, mit voyeuristischer Gier verfolgt. Der Fischer Peter Grimes, unter Mordverdacht stehend, nähert sich misstrauisch von hinten auf einem Mehrzweck-Laufsteg, der, ganz in Rot, ein Stockwerk höher noch einmal verläuft, als wolle er die Szene hermetisch deckeln. Wir sind gleichsam von Blut in die Zange genommen.

Diese Bühne, gesäumt von gespenstisch hohen Bretterverschlägen, die das Geschehen kafkaesk einmauern, bleibt den ganzen Abend über nahezu unverändert, wird nur durch bedrohlich riesige „Türen“ und suggestive Beleuchtungseffekte der jeweiligen Szene angepasst. Ohne dass Boot, Fischerhütte oder Kneipe gezeigt werden, sind sie doch bei Bedarf präsent. Das Ganze wird atmosphärisch verdichtet durch poetisch ausgeleuchtete Naturstimmungen zu den eindringlichen Zwischenspielen. Eine dichte, in sich stimmige, keine leeren Stellen duldende – und bei aller Stilisierung werkgetreue Inszenierung, die auf Belangloses verzichtet und das Wesentliche verdeutlicht.

Um diese beklemmende Kleinbürgerwelt in Klänge umzusetzen, musste das Theater alle Reserven mobilisieren. Nahezu das gesamte Ensemble war im Einsatz. Und, durchaus keine Kleinigkeit: Alle standen am richtigen Platz. An der Spitze GMD Nicholas Milton, der seine bisher eindrucksvollste Leistung am Pult bot. Er formte die komplexen Strukturen dieser Musik, die dichten, aufgewühlten Momente ebenso wie die kantablen Passagen, mit großer Suggestivität und wachem Gespür für ihre vielen Nuancen. Das bestens disponierte Staatsorchester folgte seiner inspirierten Leitung und ließ keinen Spannungsabfall aufkommen. Nicht weniger überzeugte der von Jaume Miranda präparierte Chor des Staatstheaters, der nicht nur mit großer Präzision schwierigste Ensembles mit Chor perfekt ablieferte, sondern sie, offenbar beflügelt durch die präzise Regie, in lebendige Bewegung umsetzte. Die Freude daran war den Choristen anzusehen.

Die Solisten des Hauses waren nahezu vollzählig angetreten – und wie von Zauberhand alle an der richtigen Stelle eingesetzt worden. Sie verkörperten, jeder mit seiner Individualität in Stimme, Ausdruck und Körpereinsatz, einen repräsentativen Querschnitt der Honoratioren eines (nicht nur) englischen Dorfes. Stellvertretend für alle seien genannt: Diane Pichler als resolute Kneipenwirtin, Torsten Büttner und Carlos Moreno Pelizani als prägnant karikierte Kleriker verschiedener Konfessionen, James Bobby als schleimiger Apotheker und Judith Braun als beängstigend altjüngferliche Mrs.Sedley.

Den komischen Kontrast zu den steifen Bürgern bildeten die beiden frühreifen, verkommenen Nichten, die das düstere Geschehen auf drastische Art aufmöbelten, ohne die Atmosphäre des Stücks zu gefährden – luxuriös besetzt mit Yitian Luan und Herdís Anna Jónasdóttir, denen das Ausspielen des Vulgären in der Maske des Kindlichen sichtlich Freude bereitete.

Einen Kontrast ganz anderer Art, diesmal zur Mobbing-Fraktion der Spießergesellschaft, bildeten die beiden treuen Seelen, die dem geplagten Peter trotz all seiner Sperrigkeit bis zum bitteren Ende zur Seite stehen: Olafur Sigardurson lieh dem pensionierten Captain Balstrode ein hohes Maß an stoischer Gelassenheit – und der äußerst anspruchsvollen Partie seinen unverwüstlichen Prachtbariton. Dem war aber, nach dem Willen des Komponisten, ebenso wenig Erfolg beschieden wie der Ellen Orford von Elizabeth Wiles, die ihre unverbrüchliche Liebe mit warmem, leuchtendem Sopran beglaubigte.

All diese menschlichen Schwächen und Stärken seiner Umgebung verfolgen und begleiten einen Mann, von dem wir bis zum Schluss nicht erfahren, ob er „nur“ ein psychisch deformierter Mensch ist – oder ein Mörder. Für die sängerisch wie darstellerisch enorm schwierige Partie hatte man einen Landsmann des Komponisten engagiert, der sich als große Entdeckung entpuppte: Brenden Gunnell. Der britische Tenor verfügt über eine unglaublich flexible und wandlungsfähige Stimme, die sich blitzschnell jeder akuten Anforderung gewachsen zeigt. Ein Charaktertenor im besten Sinne. Dazu erweist er sich immer wieder als Darsteller von großem Einfühlungsvermögen: Er durchlebt spürbar das Gefühlsspektrum dieses undurchsichtigen Menschen und zwingt den Zuschauer, an seinem Schicksal teilzunehmen. Er macht glaubhaft, warum sich Benjamin Britten durch diese Figur zu seiner vermutlich stärksten Oper inspirieren ließ.

Eine Produktion von solcher Dichte und Geschlossenheit gibt es auch an größeren Häusern nicht alle Tage. Die Opernfreunde der Region sollten sie sich nicht entgehen lassen.

  Johannes Schenke

 

 

 

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