SA-CD JOHANN SEBASTIAN BACH „WEIHNACHTSORATORIUM“ – live Aufnahme mit Jordi Savall aus dem Palao de la Musica Catalana Barcelona vom Dezember 2019; AliaVox
„Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage. Rühmet, was heute der Höchste getan!“ Für viele bedeutet dieser mit jubelnden Pauken beflaggte Eröffnungschor aus dem I. Teil des Weihnachtsoratoriums einen unverzichtbaren Bestandteil des eigentlichen, spirituellen Weihnachtsfestes. Vor Corona ist man in die Konzerthäuser gepilgert und hat das wunderbare Spektakel, das Bachs Weihnachtsoratorium bestehend aus sechs Kantaten ja ist, in natura genossen. Dieses Jahr bleibt wohl nur die Konserve. Glücklicherweise ist wieder von einer überaus empfehlenswerten Neuerscheinung zu berichten.
Das Weihnachtsoratorium ist ja beileibe keine Rarität auf dem Plattenmarkt. Im Gegenteil. Zu den gigantischen Einspielungen von Karl Richter (Wunderlich, Janowitz, Ludwig) und Nikolaus Harnoncourt II (Schäfer, Fink, Güra, Finley) haben auch Koopman, Gardiner, Suzuki, Schreier (als Dirigent), Rademann, Rilling, Herreweghe oder Ralf Otto unterschiedliche, allesamt bemerkenswerte Beiträge zum Katalog geliefert.
Nun gesellt sich der Katalane Jordi Savall mit einer festlich beschwingten Interpretation zu den großen Interpreten. Bei dem Mitschnitt eines Konzerts vom Dezember 2019 aus Barcelona kommen zu seinen treuen Mitstreitern „La Capella Reial de Catalunya“ und „Le Concert des Nations“ noch Katja Stuber (Sopran), der Altist Raffaele Pe, Martin Platz (Tenorsoli und Evangelist) und Thomas Stimmel (Bass) als die vier wichtigsten Solisten. Der Engel wird von der Chorsolistin Elionor Martinez, das Echo von Jeanne Lefort und der Herodes von Marco Scavazza gesungen.
Das Besondere an dieser insgesamt südländisch temperamentvollen, nie salbungsvollen Aufnahme ist neben den dunkel samtig timbrierten Streichern (himmlisch die orgelnden Celli in der Alt-Arie „Schließe mein Herze, dies selige Wunder“!) wieder einmal der „nur“ aus zwanzig Sängern bestehende Chor der „Capella Reial de Catalunya“. In perfektem Deutsch sind hier reife Stimmen vollbrüstig und saftig sonor am Werk und nicht körperlos gerade Piepstimmen, die mir manche Originalklangaufnahme aus nördlicheren Gefilden verleiden. „Ehre sei dir, Gott, gesungen“, der Eingangschor zum V. Teil (Am Sonntag nach Neujahr) leuchtet – trotz des von Savall angeschlagenen flotten Tempos – hymnisch von innen. Der Reise der Weisen aus dem Morgenland wird hier mit einem üppig klingenden Wanderteppich der Weg bereitet.
Das Orchester prangt in den vielen solistischen Einsätzen. Die Oboen in der Tenorarie „Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken“ plaudern munter und erregt zu der reich verzierten Gesangslinie. Generell hat der Orchesterklang nichts Steriles an sich, der Hörer assoziiert den warmen Klang eher mit einem in tausende Kerzenlichter getauchten nächtlichen Dom. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Trompeter im Schlusschoral „Nun seid ihr wohl gerochen“ des VI. Teils so glorios wie die Weihnachtsbotschaft auftrumpfen.
Drei der vier Solisten (Katja Stuber, Martin Platz und Thomas Stimmel) sind Deutsche und singen ihre Partien in Legato und Ziergesang gleichermaßen beeindruckend schön und von der Diktion her ausgefeilt comme il faut. Außergewöhnlich ist, dass die Altpartie mit dem italienischen Countertenor Raffaele Pe besetzt ist. Das ist zwar nichts Neues, schon Harnoncourt wählte für seine erste Einspielung des „Weihnachtsoratoriums“ mit dem Concentus Musicus im Jahr 1973 Paul Esswood als Altsolisten. Aber um wie viel lebendiger und theatralisch imponierender klingt doch die neue Aufnahme unter Jordi Savall. Bei Pe, der klanglich sehr nahe an einem Mezzosopran ist, bleiben ebenfalls keine Wünsche offen.
Historisch geht die Entstehung des Oratoriums auf den Winter 1734-35 zurück. Bach wollte einen Kantatenzyklus für die Liturgie, also die üblichen sieben Feiertage schreiben (25.12. Weihnachtstag, 26.12. Stephanstag, 27.12. Tag des Evangelisten Johannes, der Sonntag vor Neujahr, der 1. Jänner, der Sonntag vor dem Erscheinungsfest und der 6. Jänner, das Erscheinungsfest der Epiphanie). Da der 26.12. 1734 auf einen Sonntag fiel, musste Bach nur sechs statt sieben Kantaten komponieren. Bach bediente sich munter bei früheren Kompositionen, darunter auch bei einigen seiner weltlichen Kantaten (BWV 213, 214 und 215), die er für das Collegium Musicum komponiert hatte. Auch der berühmte erste Chor ist der weltlichen Kantate BWV 214 „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“ entnommen. Es ist dem Librettisten Picander, einem Beamten des Leipziger Postamts, zu verdanken, dass der „Gesamteindruck einer alles verbindenden Einheit“ (Johan Vives) entsteht.
Die Neueinspielung unter Jordi Savall – es handelt sich um seine erste Befassung mit dem Stück – erfreut durch ihre Spontanität, dramatische Pranke, Frische und Lebendigkeit der weihnachtlichen Erzählung. Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger