SA-CD Hybrid Multichannel „DIE FLEDERMAUS“ mit Schukoff, Aikin, Kulman, Elsner und Rydl – Live Mitschnitt aus dem Großen Sendesaal des NDR Landesfunkhauses Hannover vom Jänner 2018 – PENTATONE
Die neueste Fledermaus Aufnahme wartet mit einer Riege toller Sängerinnen und Sänger auf, einige davon komödiantisch begabte Bühnentiere, leidet aber unter dem wenig walzerseligen, spanungsarmen Dirigat von Lawrence Foster. Dafür gibt es einen singenden, sehr sehr wienerischen Gefängniszellenschließer, der auch mit der wohl sonorsten Sprechstimme aller Frösche aufwarten kann. Kurt Rydl darf dazu auf Orlwoskis Fest noch das Lied des Mephisto in Auerbachs Keller von Modest Mussorgsky kräftig orgeln und im Gefängnis einen Ausschnitt aus der Arie „Ha, wie will ich triumphieren“ aus Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zum Besten geben.
Aufgeführt wurde eine Dialogfassung des diesmal mit einem Tenor besetzten Gabriel von Eisenstein, und zwar Nikolai Schukoff. Dass Schukoff nicht nur ein idealer Parsifal, sondern ein exzellenter Operettentenor ist, hat er schon in erstklassigen Aufnahmen wie „Die polnische Hochzeit“ von Joseph Beer oder „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß Sohn unter Beweis gestellt. Ein Feschak, dem Erfolg bei Frauen gewiss ist, und der auch stimmlich gefährlich zu charmieren weiß. Die Höhe sitzt, die dunkle Mittellage schmeichelt und das „von“ nimmt ihm auch jeder ab.
Seine Ehefrau und ungarische Gräfin Rosalinde ist Laura Aikin. Die amerikanische Koloratursopranistin ist nach Erfolgen mit Rollen wie Königin der Nacht, Zerbinetta, Gilda oder Adele schon längst in dramatischere Gefilde gewechselt. Heute singt sie Lulu, Emilia Marty in „Die Sache Makropoulos“ oder eben die Rosalinde. Diese eigentlich fachüberschreitende Divenrolle mit Anforderungen an die tiefe Mittellage ebenso wie an die extreme Höhe steht Laura Aikin gut zu Stimme. Das hohe D im Czardas „Klänge der Heimat“ klingt zwar etwas schrill, wird nicht nur angetupft, sondern lange ausgehalten. Diese flotte Rosalinde hat jedenfalls Sex-Appeal, Witz und Raffinement.
Die von ihren Ensemblejahren an der Wiener Staatsoper in Wien bestens bekannte Annika Gerhards ist Adele. Eine komödiantische Traumrolle, in der sie alle Register des naiv durchtriebenen Luders ausspielen kann. Annika Gerhards vermag mit kecker Koloratur, gekonnten Sprachpointen und einem herrlichen Wiener Dialekt an große und größte Vorbilder in der Rolle anschließen, wie Edita Gruberova, die am 10. Dezember 2018 mit zwei Arien-Kostproben der Adele im Zugabenteil bei ihrem Abschied an der Deutschen Oper Berlin noch einmal für Furore sorgte.
Dass es nicht allzu wienerisch wird, dafür sorgt Christian Elsner als Alfred. Vom Stimmtyp her ähnlich wie Nikolai Schukoff ein Zwischenfachtenor mit samtiger Mittellage und ebensolchen bombensicheren Höhen, singt er zwar wie üblich und albern jede Menge an berühmten Tenorarien an. Seine Stimme hat das gewisse luxuriöse Etwas, bleibt aber final allzu neutral und brav für den sich wild an Rosalinde ranmachenden Liebhaber und eitel selbstverliebten Tenorissimo Alfred.
Dafür darf sich Zuhörer über den nicht nur in der russischen Sprache standfesten Prinzen Orlofsky von Elisabeth Kulman freuen. In letzter Zeit ist es „modern“ geworden, diese Rolle mit einem Countertenor zu besetzen. Mir ist in dieser Hosenrolle aber ein dramatischer Mezzo mit sonorer Tiefe wie einstens Regina Resnik und Brigitte Fassbaender oder eben nun Elisabeth Kulman lieber. „Ich lade gern mir Gäste ein“ wird so gesungen zum Symbol von Saufgelage und Katerstimmung nach der überdrehten bürgerlichen Party am Abgrund. Zur Zeit der Entstehung war das die plötzlich gefährdete Selbstgewissheit nach dem Schwarze Freitag vom 5. Mai 1873. Heute vielleicht die drohende Marginalisierung unseres Kontinents angesichts der geo- und wirtschaftspolitischen Rivalitäten zwischen den USA, China und Russland.
Matthias Hausmann schlüpfte in die Rolle des rachelüsternen Dr. Falke. Dem gar nicht so ehrenwerten Gefängnisdirektor Frank (auf Orlowskis Fest Chevalier Chagrin) verlieh Jochen Schmeckenbecher Kontur, Dr. Blind wurde von Alexander Kaimbacher gut an die Hand genommen und die Ida von Alice Waginger lieferte die passenden Stichworte.
Und Kurt Rydl als Frosch? Der sich einer unglaublich robusten und nach wie vor mächtigen, wie wahrlich unverwüstlichen Bassstimme rühmen könnende Sänger hat hier eine neue Traumrolle gefunden. Sein Ur-Wienerisch ist köstlich, die Pointen sitzen, die Sprechstimme trägt. Es ist ja nicht verkehrt, wenn diese dankbare Rolle einmal kein Schauspieler mit erzkomödiantischer Ader wie etwa Schenk oder Lohner, sondern ein erfahrener, gestandener Opernsänger übernimmt. Dafür, dass Rydl die Rolle in sein Repertoire aufgenommen hat, müssen wir wiederum Nikolai Schukoff dankbar sein.
Den Schwachpunkt der Aufführung bildet die musikalische Leitung durch Lawrence Foster. Die NDR-Radiophilharmonie und der WDR Rundfunkchor sind ja honorige Institutionen, die schon bewiesen haben, was sie können. Leider wollen sich aber instrumental kaum Schwung, Elan und Champagnerlaune einstellen, so behäbig und schwerfällig geht Lawrence Foster mit der Partitur um. Eckig und kaum charmant, wirkt vieles dort, wo einem die Musik in die Beine fahren sollte, überdehnt und spannungsarm. Schade!
Fazit: Für Rydl oder Kulman-Fans ist die Neuerscheinung ein Muss. Jemand, der nur eine Fledermaus-Aufnahme mit Zunder haben will, sollte sich doch weiterhin lieber an die legendären Aufnahmen unter der musikalischen Leitung von Clemens Krauss, Herbert von Karajan oder Carlos Kleiber halten.
Dr. Ingobert Waltenberger