SA-CD „BEYOND“ – KATHARINA TREUTLER erkundet auf dem Klavier Himmel und Hölle – Musik von Liszt, Bach, Prokofiev, Messiaen und Ligeti – Ars Production
Die in Erfurt geborene junge deutsche Pianistin Katharina Treutler will sich auf ihrem Steinway das Zwischenreich zwischen Gut und Böse tastenreich aneignen. Wer passte da besser ins „Bild“ als Franz Liszt, der teuflisch vertrackte Partituren schuf und später nach Empfang der niederen Weihen auch einfachste Sakralmusik schreiben konnte. Die Zweiheit in der Einheit, die berühmtem zwei Herzen in einer Brust, also die Quintessenz romantischen Künstlertums, für Franz Liszt ,schlug sich der ewige Kampf zwischen Himmel und Hölle für das 19. Jahrhundert geradezu idealtypisch auf Notenpapier nieder‘, wie Arno Lücker in seinem exzellenten Aufsatz festhält.
Der hochvirtuose, koboldhafte Mephisto-Walzer Nr. 1 von Liszt („Tanz in der Dorfschenke“) ist es auch, der den Reigen mit einem pianistischen Feuerwerk eröffnet. Basierend auf dem Faust-Gedicht von Nikolaus Lenau, verführt der Teufelsgeiger Mephisto eine Hochzeitsgesellschaft mit ekstatisch rauschhaften Tänzen. Am Ende verschwindet Faust mit seiner Flamme im Wald. Als Kontrast erklingt der von Ferruccio Busoni für Klavier bearbeitete Orgelchoral „Nun komm der Heiden Heiland“, BWV 659, von Johann Sebastian Bach.
Katharina Treutler gelingt es ganz wunderbar, die extrem divergenten Stimmungen einzufangen. Im Anschlag voll orgiastischem Sarkasmus bei Liszt, ätherisch schwebend bei Bach. Treutler bringt sowohl die strukturellen Feinheiten der Kompositionen als auch deren innersten Gehalt mit ruhiger Geste und großer Emotion zu Gehör. Nichts wirkt übertrieben oder aufgesetzt. Ganz selbstverständlich pendelt sie atmosphärisch zwischen den programmatisch so unterschiedlichen Stücken. Nach Franz Liszts exzessiv chromatischem „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ geht es über Alexander Silotis‘ Bearbeitung des Präludiums für Orgel in e-Moll BWV 855a für Klavier wieder zurück zu Liszt. Die „Bénédiction de Dieu dans la solitude“ („Segnung Gottes in der Einsamkeit“) aus den ,Harmonies poétiques et religieuses‘ schrieb Liszt nach Lyrik von Alphonse Lamartine („Woher kommt, o mein Gott, dieser Friede, der sich auf mich ergießt? Woher kommt dieser Glaube, von dem mein Herz überfließt?).
Der Jungspund Prokofiev setzte auf die „teuflische Einflüsterung“ (,Suggestion diabolique‘) im letzten seiner „Vier Stücke“. Prestissimo fantastico rauscht Katharina Treutler durch dieses kurze, rhythmisch scharfkantige Notenwerk, bevor sie mit einem „Kuss des Jesuskindes“ aus Olivier Messiaens „Vingt regards sur l‘Enfant-Jésus“ in gebetshaft meditative Sphären taucht. Wie immer bei diesem französischen Mystiker spielt die Natur in Form von Vogelstimmen eine lichtvoll-lautmalerische Rolle.
Die CD endet mit György Ligetis „Teufelsleiter“ für 88 Tasten aus den „Études pour piano, deuxième livre“. Ein Versuch, die ins Unendliche gehenden oder auf dem Kopf stehenden Leitern der Bilder des Niederländers M.C Escher in Musik zu gießen. Arno Lücker sieht „ein geordnetes Chaos, eine Steigerung des dramatischen Ausdrucks, eine Escher-Endlostreppe der Virtuosität. Die falschen Kirchenglocken in der Tiefe scheinen das Klanggebäude bald schier einzureißen, doch die scheppernd-lachenden Gebisse der tanzenden Skelette in der höchstmöglichen Höhe des Instruments behalten die Überhand.“ Faszinierend, wie Katharina Treutler Klangflächen zum Schillern bringt, kräftige Farbakzente platziert, die motorischen Stakkati in wilden Sinn wandelt. Eine CD, die kurzweilig philosophische Fragen streift und dennoch mit ihrer prallen Musikalität überzeugt.
Dr. Ingobert Waltenberger