SA-CD ARTHUR VINCENT LOURIÉ: Klavierwerke – CHRISTIAN ERNY; Ars Production – Raritäten aus der Feder eines noch zu entdeckenden Unzeitgemäßen
In St. Petersburg geboren, verließ Arthur Vincent Lourié Russland fünf Jahre nach der Oktoberrevolution. Über Berlin ging es 1924 nach Paris, wo er persönlicher Assistent Igor Stravinskys wurde. 1940 konnte er sich rechtzeitig vor den vorrückenden Nazis in die USA absetzen. Es gelang Lourié aber nicht, in New York wieder künstlerisch Fuß zu fassen, 1966 verstarb er in Princeton, als einer der vielen in der Musikwelt vergessenen Emigranten.
Einige wenige Pianisten haben sich im Aufnahmestudio schon mit der im Wesentlichen spätromantisch, impressionistisch bis neoklassizistisch inspirierten Musik erfolgreich befasst. Nach Moritz Ernst, Giorgio Koukl und Benedikt Koehlen hat sich nun der junge Schweizer Musiker Christian Erny in seinem zweiten Solo-Album mit der Musik Louriés aus seinen Anfängen und der Pariser Zeit auseinandergesetzt. Christian Erny will mit seinem Album die „enorm umfangreiche Palette verschiedenster musikalischer Ausdrucksformen, die geprägt sind von poetischer Phantasie, schillerndem Farbenreichtum, tieftrauriger Expressivität bis hin zu skurrilem und groteskem Sarkasmus“, einem breiteren Publikum vorstellen.
Erny beginnt seine Erkundung mit den beiden frühen Zyklen „Cinq Préludes fragiles“ Op. 1 und „Deux Estampes“ Op. 2 (Crépuscule d‘un faune, Les parfums, les couleurs et les sons se répondent“) die der 16 bis 18-jährige Komponist im ideenreichen Fahrwasser von Claude Debussy schrieb. Erny betont bei diesen schwerelos wie im Weltall schwebenden Stücken ihren Spiegelcharakter einer Wirklichkeit, die sich nur im träumerischen Echo erfassen lässt. Daraus erwachsen Gefühle einer nachdenklich grüblerischen Sehnsucht, einer Suche im Ungefähren.
„Valse“, „Petite Suite“ und die rhythmisch rastlose, an Stravinskys „Sacre“ erinnernde „Gigue“ entstanden in Paris 1926/1927. 1928 entstanden die umfangreichsten auf dem neuen Album vorgestellten Stücke, nämlich „Nocturne“ und „Intermezzo“. Das klingt eher nach witzigem Shostakovich und hat mit Neoklassizismus nichts mehr am Hut. Mir gefallen diese beiden Stücke am besten. Erny meint in seinen informativen Ausführungen über Lourié, dass „die ausgeprägte Chromatik und Archaik des Ausdrucks an die späten Sonaten Skrjabins erinnern und gleichzeitig mystische und religiöse Aspekte aufweisen. In beiden Werken erweist sich Erny als Meister der virtuos über die verschiedenen Stimmungen geschlagenen Bögen, der extremen Ausdruckstiefe, einer kompromisslosen Suche nach dem Geheimnis dieser Musik in Klang und besessener pianistischer Detailarbeit. Ein tolles, verdienstvolles Album abseits des Mainstreams, das die Größe des Musikers Arthur Lourié wieder konkret erlebbar macht.
Dr. Ingobert Waltenberger