Wiener Melange statt Küstennebel
Am 26. März 2023 fand das vierte Konzert der Reihe CLASSIC LIGHT mit dem Titel WIENER MELANGE im Volkstheater Rostock statt. Das Konzert war schon im Januar 2023 ausverkauft. Es moderierte der Chefdirigent Prof. Marcus Bosch und die musikalische Leitung hatten drei Studierende seiner Dirigierklasse der HMT München. Es ist erstaunlich wie souverän und auch klanglich unterschiedlich die Studierenden die Norddeutsche Philharmonie Rostock führten. In seiner Moderation bat Prof. Marcus Bosch das Rostocker Publikum, einen Wunschzettel für das nächste Konzert dieser Reihe schriftlich abzugeben. Eine schöne Geste, die die Bindung zwischen Haus und Publikum fördert. So erklärt sich auch das volle Haus.
Beginnen möchte ich mit Katharina Poppe. Sie dirigierte Mozarts Ouvertüre zu „Die Entführung aus dem Serail“ und Suppès Ouvertüre zu „Dichter und Bauer“. Bosch führte aus, dass inzwischen bereits 38 Prozent der Dirigierstudenten Frauen sind und so langsam die männliche Domäne des Pultes gleichberechtigt besetzt werde. Ihr gleichwertig war Danyil Illkiv. Er präsentierte Schuberts Ouvertüre zu „Rosamunde“ und die Ouvertüre von J. Strauß zu „Der Zigeunerbaron“.
Kuan-Ju Lin drückte der Saal am Sonntagnachmittag spürbar die Daumen. Mit seinem Dirigat legte er auch seine Bachelorprüfung erfolgreich ab. Neben Lehárs Walzer „Gold und Silber“ op. 79 und Dvořáks Sinfonie Nr. 8 G-Dur op. 88 (Auszüge) musste er auch die Orchesterlieder von Oliver Gruhn „Schmetterlinge im Spätsommer“, „Nächtlicher Regen“ aus „Sommerliebe“, sowie „Morgen!“ op.27/4 von R. Strauss interpretieren. Mit einem wohlig warmen Timbre sang die Sopranisten Diana Schnürpel. Ihr gelang mit ihrer außergewöhnlichen Stimme eine tief berührende Liedgestaltung. Einige „Brava“- Rufe waren ihr Dank.
Eine besondere Freude war es, die Orchesterlieder von Gruhn zu hören. Seine Lieder sind nach Gedichten komponiert, die Hermann Hesse im Sommer 1933 schrieb. Die Gedichte spiegeln eine Zeit, die große Unsicherheit und dunkle Vorahnungen in sich barg. Der arkadische Gedanke, die Hoffnung auf einen Ort und eine Zeit voller innerer Ruhe, Frieden und Schönheit sind ein zentrales Bild gerade des Liedes „Schmetterlinge im Spätsommer“. 90 Jahre später sind diese Gedanken wieder sehr aktuell. Das Ziel von Gruhn war es aus der Emotionalität dieser Gedanken heraus und in Verbindung mit den Sehnsüchten der Zeit eine beseelte Musik zu schreiben sowie diese Gedanken in die heutige Zeit weiterzutragen.
Kuan-Ju Lin hatte somit auch die Aufgabe einen zeitgenössischen Komponisten zu interpretieren. Also keine leichte Aufgabe, gibt es doch keinen Vergleich, aber er konnte sich mit dem Komponisten Gruhn austauschen, der seinerseits auch Musiker des Orchesters ist. Der musikalische Fluss war unbeschreiblich, Kuan-Ju Lin hat wirklich ein gutes musikalisches Gespür und holte wunderschöne Klangfarben aus dem Orchester. Die Balance gerade auch bei „Morgen!“ ging unter die Haut. Schon fast eine kleine Frechheit seiner jungen Jahre, wie er das Orchester zum Piano zwang und so einen kleinen musikalischen Leckerbissen anrichtete. Halt eine Wiener Melange und kein Küstennebel.
Das Publikum war begeistert, dankte mit langanhaltendem Applaus und wenn ich auch einen Musikwunsch abgeben dürfte, dann wären es weitere Orchesterlieder von Oliver Gruhn.
Rostock, den 26. März 2023, Carl Osch