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Rossinis SEMIRAMIDE mit Albina SHAGIMURATOVA und Daniela BARCELLONA

05.10.2018 | cd

CD: Rossinis SEMIRAMIDE mit Albina SHAGIMURATOVA und Daniela BARCELLONA


Plattenhülle (C: Opera Rara UK)

Erschienen 2018 bei OPERA RARA ORC57 4 CD

Karl Masek

Fast übermächtig scheint die Konkurrenz, will man nach der legendären Joan Sutherland und der kongenialen Marilyn Horne (Aufnahmen aus London 1966 & Chicago 1971, beide dirigiert von Richard Bonynge) mit einer Neuaufnahme von Gioacchino Rossinis 1823 im Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführter Oper Semiramide reussieren.

2018 ist diese nun erschienen. Bereits im Herbst 2016 in London produziert, in selber Besetzung auch bei den BBC Proms konzertant aufgeführt. Dirigent dieser Aufnahme ist Sir Mark Elder, langjähriger Leiter der English National Opera und Pultroutinier im positivsten Sinne. Schon die Ouvertüre lässt aufhorchen. Sorgfältig phrasiert, klanglich klug disponiert, maßvoll in den Tempi (erstklassig die Hörner, klangvoll die agilen Klarinetten und Querflöten, bis hin zum leichtfüßigen Brio der Piccoloflöte) lässt er das Orchester spielen. Das Orchestra of the Age of Enlightenment erweist sich als im höchsten Maße Rossini-kundig. Elder lässt menschlichen Puls bis hin zu höchster Erregung Klang werden, das Orchester setzt diese Intention sensibel und gleichgestimmt um. Und es bleiben auch die Stretta- Steigerungen organisch, werden keinen Moment „nähmaschinenhaft“ ratternd …


Albina Shagimuratova als Semiramide in München (C: Wilfried Hösl)

Rossini kehrt in dieser Opera seria schwerpunktmäßig wieder auf Solo-Arien, Duette und effektvolle Chorsequenzen (beide Finali!) zurück, große Ensembleszenen treten eher in den Hintergrund. Dies bietet vor allem Albina Shagimuratova in der Titelrolle (Königin von Babylon) sowie Daniella Barcellona (Arsace, General der Babylonischen Armee, in Wahrheit der Sohn Semiramides und des von Semiramide vergifteten Königs Nino, „Ninia“. Er wurde als Kleinkind gerettet, adoptiert und „umgetauft“) zahlreiche Gelegenheiten , stimmlich zu glänzen, aber auch psychologisch ausgefeilte Seelenporträts zu liefern, Menschenschicksale mit allen Facetten zu zeigen. Rossini und sein Librettist Gaetano Rossi lieferten dazu alle Opern-Ingredienzien: Giftmord, politische Ränkespiele, Intrigen, Missverständnisse, das ‚eines- aktuellen- Liebhabers- überdrüssig- Sein‘, das ‚nicht-voneinander-Wissen‘, daher „unmögliche Liebe“, die Bitte um „Tod auf Verlangen“, Rache, irrtümlicher Mord,…

„Die“ Shagimuratova ist längst kein Geheimtipp mehr. Sie wird wohl bald wie andere  Große des Operngesangs ihren Vornamen ‚verlieren‘. Wie einst „die“ Callas „die“ Sutherland, „die“ Freni“. Wie die in Taschkent geborene Russin mit tatarischen Wurzeln  ihre Stimme führt – gerundet von der Mittellage aufwärts, mit dramatischem Nachdruck, wo erforderlich, dabei fast gänzlich ohne Schärfe und mit sensationeller Höhenpracht – ist fantastisch. Allein in der Cavatine im 1. Akt  mit dem Frauenchor (‚Dolce pensiero…‘) brilliert sie mit ihrem obertonreichen Sopran, perlenden Koloraturen, dramatisch zugespitzt und nicht als akrobatische Kehlkopf-Zirkusnummer präsentiert, mühelos selbst bei allen Tönen jenseits des hohen C. Diese werden nicht als Grenztöne, die gerade noch erklommen werden, wahrgenommen, sondern als bombensicher gesetzte Höhe(n)punkte.

Daniela Barcellona folgt dichtauf mit ihrer Interpretation an Shagimuratovas Idealporträt. In den Duetten harmoniert die Triestinerin mit der Shagimuratova perfekt. Beide Maßstab setzend in punkto Belcanto. Aufregender Kulminationspunkt der Aufnahme das Duett im 2. Akt ‚Ebbene, a te, ferisci‘/‘Giorno d‘ orrore! E di contento‘/‘Madre, addio‘/Tu serena intanto  il ciglio‘ ! Barcellona setzt  ihren pastosen Mezzosopran absolut stimmig ein. Von den brustigen Alttönen bis hin zur ausufernden Höhenlage. Auch sie mit agilen Koloraturen – gelegentlich mit etwas unruhigem Vibrato, was aber einem sehr gelungenen Rollenporträt kaum Abbruch tut. Herausragend die Arie ‚Al gran cimento t’affretta ardito‘.

Dem assyrischen Prinzen Assur, von dem sich Semiramide längst entfremdet hat, verleiht Mirco Palazzi mit schlankem, stilkundigem, etwas trockenem Bass die rollenadäquate Aura des Nichtsympathieträgers. Die assyrische Prinzessin Azema (erfolglos im Liebeswerben um Arsace), verkörpert Susana Gaspar. Die aus Portugal stammende junge Sängerin (mittlerweile singt sie an Covent Garden London) erfreut mit hübschem Sopran. Erfolglos im Liebeswerben um Azema ist Idreno, der indische König. Der englische Rossini- und Mozarttenor Barry Banks, ein Endfünfziger, singt ihn auch nach langjähriger Sängerlaufbahn von der Met bis Covent Garden nach wie vor mit schlanker Rossini -‚Agilità‘. Der „zweite Tenor“ der Produktion, David Butt-Philip, ergänzt als Hauptmann der königlichen Wache mit angenehmem, lyrischem Tenor. Oberpriester Oroe, der Einzige, der von Anfang an von Arsaces wahrer Identität weiß, wird von Gianluca Buratto mit balsamischem Bass sehr authentisch gesungen. Auch er höchst stilkundig von Verdi über Rossini bis Monteverdi.

Die britische Chorcompagnie Opera Rara Chorus beschäftigt sich seit 40 Jahren mit „vergessenen Werken des 19. Jahrhunderts“ und spezialisiert sich im Besonderen auf Bellini, Donizetti – und eben Rossini. Der Chor tönt profund, klangschön, schwungvoll, pulsierend, rhythmisch prägnant.


Sir Mark Elder (C: Groves Artists)

Fazit: Eine sehr gelungene Aufnahme, die es mit dem legendären Vorbild durchaus aufnehmen kann. Und wartet mit einer brillanten Titelrollensängerin, einer kongenialen Mezzo-Partnerin, einem großen Könner am Pult auf! Man muss nicht zwangsläufig eine gloriose Plattenvergangenheit bemühen.

Empfehlung!

Karl Masek

 

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