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ROSSINI RARITÄTEN DER SONDERKLASSE. CD GIOACHINO ROSSINI: SIGISMONDO / EDUARDO E CRISTINA

13.07.2019 | cd

ROSSINI RARITÄTEN DER SONDERKLASSE

 

CD GIOACHINO ROSSINI: SIGISMONDO – Münchner Rundfunkorchester, Chor des Bayerischen Rundfunks unter der animierten Leitung von Keri-Lynn Wilson, BR KLASSIK

 

Das dramma per musica Sigismondo erblickte 1814 in Venedig das Licht der Welt. Eine Wahnsinnsoper im wahrsten Sinn des Wortes, fällt doch der Titelheld, der fiktive polnische König Sigismondo (Marianna Pizzolato Mezzo) andauernd in psychische Ausnahmezustände, aber auch seinem Ersten Minister und Gegenspieler Ladislao (Kenneth Tarver, Tenor) geht es kaum anders. Natürlich bringen erst das Delirium, geistige Umnachtung und Verwirrung die Wahrheit ans Tageslicht. Das Ziel all der verrückten Eintrübungen war natürlich das Karnevalspublikum  der Saison 1814/15 im Gran Teatro La Fenice. Eigentlich geht es aber um ein ernstes Sujet, eine wegen angeblicher Untreue maliziös Angeprangerte, nämlich die von ihrem Mann Sigismondo verstoßene und abseits lebende Aldimira (Hera Hyesang Park, Sopran). Final geht alles gut aus, die Arme wird nach der infamen Intrige des Ministers rehabilitiert und ist mit ihrem psychotischen Ehegespons aufs Neue vereint. Man stelle sich vor!

 

Die Oper ist nicht zuletzt wegen des Librettos krachend durchgefallen. Der an Hamlet‘schem Verfolgungswahn leidende Sigismondo, dem permanent die „tote“ Gattin erscheint, das Changieren zwischen Sein und Schein, Realität und Wirklichkeit sowie das prosaische  Happy End ergeben so ein unglaubwürdiges Amalgam (u.a. erkennt auch Ulderico, König von Ungarn Il Hong Bass, seine eigeneTochter Aldimira nicht), dass selbst das alkoholgeschwängerte Publikum im Venediger Karneval ausstieg. 

 

Für heutige Hörer ist das alles vollkommen irrelevant. Der nach Lust und Laune in Selbstzitaten wühlende bzw- dieses musikalisch so ungemein schöne Werk später ausschlachtende Rossini schuf eine meisterliche Partitur mit origineller Instrumentierung (Englischhörner, Piccoloflöten,..). Selbstverständlich mischen sich für unsere Ohren Tragik eher mit flott komödiantischem Ton, dem unverwechselbarem Rossinischem Brio. Arien und Ensembles waren für virtuose Bühnentiere ausgelegt. 

 

Die großartige Dirigentin Keri-Lynn Wilson sorgt für ein Feuerwerk an musikalischer Dichte, Tempo und vorwärtsrasendem Drive. Vergleichbar mit den besten Rossini Aufnahmen im Katalog, erfreut uns eine belkanto-geeichte Besetzung ohne Fehl und Tadel, aus der besonders Marianna Pizzolato, Hera Hyesang Park und der wohl beste Rossini Tenor unserer Tage, Kenneth Tarver, hervorstechen. Wir sind aber ebenso Rachel Kelly (Anagilda), Gavan Ring (Radoski, Vertrauter des Ladislao), Guido Loconsolo (Zenovito, polnischer Adeliger) und Il Hong (Ulderico, König von Ungarn) für ihr temperamentvolles, hochmusikantisches  Zutun dankbar.

 

Fazit: Im Katalog ist es bereits die dritte Aufnahme der Oper ,Sigismondo‘, für uns qualitativ aber ganz sicherlich die Erste! Unbedingte Empfehlung!

 

CD GIOACHINO ROSSINI: EDUARDO E CRISTINA – Live Mitschnitt aus Wildbad 2017 unter dem legendären Maestro Gianluigi Gelmetti, NAXOS

 

Eine Sammlung der Greatest Hits von Rossini, ist diese „Schweden-Oper“ als Centone  oder Pasticcio ein Vehikel für melodische Zugpferde von Vokalisten aller Art. Koloraturen zeigt, was ihr könnt…. Hier feiert der  hemmungslose Belcanto zusammengestoppelter Publikumsreisser Urständ. Das Libretto wurde wiederverwertet sowie Musik aus mindestens vier schon vorher aufgeführten Opern (u.a. Adelaide di Borgogna, Ermione, und Ricciardo e Zoraide). Nicht einmal ein Autograph ist vorhanden,  es sollte nur ein passendes Stück für das Debüt der Carolina Cortesi sein, der Tochter von Rossinis Freund Giuseppe Cortesi, Impresario am venezianischen Teatro San Benedetto. Als reines Unterhaltungsstück konzipiert, wollen wir es auch als solches nehmen,  wie es ist. Es gab nach der erfolgreichen Uraufführung 1819  über 20 Jahre lang ca. 100 Aufführungen  in Italien und von München bis St-Petersburg. Inhaltlich treffen hier zwei typische Handlungsschemata der damaligen Zeit zusammen, die Geschichte eines heimlich verheirateten Paares samt heroischem Melodrama aus adeligem Milieu (vgl. Tancredi). 

 

Wir erleben einen pfiffigen Mitschnitt aus Wildbad. Unumstrittener Star der Aufführung ist wieder einmal der verzierungsgewandte, höhensichere und wohltimbrierte Tenor Kenneth Tarver als Carlo, König von Schweden. Aber auch die Rossini Primadonnen, die wunderbare dramatische Sopranistin  Silvia Dalla Benetta als seine Frau Cristina und die mit einem üppigen  Mezzosopran ausgestattete Laura Polverelli als Eduardo, General der schwedischen Armee, räumen den Beifall des Publikums und unseren Zuspruch ab. Was macht da schon aus, dass der Chor aus Poznan  natürlich nicht mit den Kräften des Bayerischen Rundfunks in Sigismondo mithalten kann. 

 

Viva Rossini! Für den nach sommerlicher Kost dürstenden Musikfreund kommen die beiden schwungvollen Rossini Opern-Gesamtaufnahmen goldrichtig!

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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