Operntexte
Rossini: „ELISABETTA, REGINA D’INGHILTERRA“ übersetzt und herausgegeben von Reto Müller (Leipziger Universitätsverlag ISBN 978-3-96023-397-8)
Rechtzeitig zu den Rossini-Festivals in Pesaro und Bad Wildbad, die in diesem Jahr beide die 1815 uraufgeführte Oper in Neuinszenierungen präsentieren, wurden jetzt geschichtliche und musikalische Informationen zu diesem ersten der vom Komponisten für Neapel geschriebenen Bühnenwerke in der Reihe der von Reto Müller übersetzten und herausgegebenen Operntexte aus dem Oeuvre des Schwanes von Pesaro veröffentlicht.
Reto Müller, der seit vielen Jahren Geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Rossini-Gesellschaft und als enthusiastische Koryphäe im Wissen um Rossini speziell für das Festival in Bad Wildbad durch seine ständige wissenschaftliche Begleitung und Einrichtung der Übertitel eine wesentliche Stütze ist, wirft bei seiner Einführung in dieses englische Königssujet auch einen Blick auf die politischen Umstände der Zeit. Entscheidend war demnach bei der Wahl dieser Oper die Rückgewinnung des Königreich von Neapel und Sizilien durch den Bourbonen Ferdinand nach napoleonischer Fremdherrschaft im Einzugsjahr Rossinis, denn absolutistische Herrscher sahen sich gerne in der Kunst gefeiert. Das nach einer Dramenvorlage von Carlo Federici von Giovanni Schmidt textlich eingerichtete Libretto über die zuletzt großmütig verzeihende und entsagende Königin Elisabeth I. von England bot dafür den passenden Inhalt. Ob Rossini zu einer Vertonung dieses Stoffes verpflichtet war oder er es unter mehreren vorgelegten Sujets ausgewählte hatte, kann nicht mehr rekonstruiert werden.
Mit dieser ersten von 9 für das Teatro San Carlo in Neapel in 7 Jahren geschriebenen Opern begann die experimentierfreudigste Phase in der Entwicklung des Komponisten. „Elisabetta“ entspricht in ihrer Anlage noch der herkömmlichen Opera seria mit Secco-Rezitativen zwischen den einzelnen Nummern, doch sind letztere zugunsten des dramaturgischen Aufbaus wie auch den damaligen Möglichkeiten der Sänger, wozu an erster Stelle Rossinis spätere Ehefrau Isabella Colbran stand, angepasst. An der Stelle ausladender zweiteiliger Arien stehen mehr und mehr groß angelegte mehrstimmige Ensembleszenen. Wie so oft hat sich der Komponist auch hier des Recycling-Verfahrens bedient und einen großen Teil bereits bestehender Musik aus früheren Werken umgearbeitet und den neuen Situationen angepasst, weil er an keinen beständigeren Verbleib auf den Bühnen glaubte. Doch gerade in diesen Verwandlungen lag letztlich ein wesentlicher Faktor von Rossinis intuitivem und phantasiereichem Experimentieren und damit auch seiner Meisterschaft als einer der führenden Vertreter seiner Spezies in Europa. Für die Wiener Erstaufführung im Jahr 1822 hatte der Meister einige Änderungen in Form von Strichen, Erweiterungen oder Ersatz von ganzen Nummern vorgenommen, die in dieser auf der kritischen Ausgabe der Fondazione Rossini stützenden neuen Übersetzung konzentriert auf die musikalischen Nummern berücksichtigt und markiert sind. Speziell wurde auch auf das Uraufführungslibretto mit seinen szenischen Anweisungen Rücksicht genommen sowie auf Wort- und Sinntreue ebenso geachtet wie auf Lesbarkeit.
Im Ganzen bietet sich damit eine informative Vorbereitung sowohl auf einen Aufführungsbesuch wie auch eine gründlichere Beschäftigung mit der heute nur noch wenig gespielten Königsoper.
Udo Klebes