Generalaudienz bei Papst Franziskus
Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger
Foto: Andrea Matzker
Prolog: Ein Bild meines Vaters während einer Privataudienz bei Papst Johannes Paul II., das auf meinem Schreibtisch steht, erinnert mich täglich daran, dass für meinen Vater, der immerhin einige weltliche Ehrungen im Laufe seines Lebens erfahren hatte, doch dieses Gespräch mit dem Heiligen Vater von außerordentlichem Wert war. Seit Beginn der Amtszeit des aktuellen Papstes hatte auch ich schon immer den Wunsch, Papa Francesco einmal persönlich begegnen zu dürfen, da ich, unabhängig von meiner Glaubenseinstellung, von seiner Persönlichkeit fasziniert bin. Gerne wollte ich wenigstens einmal in meinem Leben räumlich spüren, ob sich dieser Eindruck in der Realität bewahrheiten würde. Im Falle einer Begegnung mit dem Heiligen Vater wollte ich ihm nicht mit leeren Händen gegenübertreten. Daher bereitete ich einen musikalischen Gruß aus seiner Heimat für ihn vor. Don Carlos, Argentinier italienischen Ursprungs wie der Heilige Vater, war in Köln zentraler Anlaufpunkt für Lateinamerikaner aus aller Welt, ein begnadeter Sänger und enger Freund von – neben Gabriela Sabatini, Diego Maradona und Lionel Messi – Atahualpa Yupanqui, Eduardo Falú, Raúl Lavié, dem Sexteto Mayor, Semino Rossi (den er sogar entdeckte) und, nicht zuletzt, Mercedes Sosa. Letztere stammte, ebenso wie er, aus Tucumán, nannte ihn liebevoll ihren „Bruder“ und sang in Köln zusammen mit ihm eine „Samba de la an͂oranza“, wovon eine private Aufnahme existiert. Dieses Duett zweier großer, argentinischer Stimmen sollte dem Heiligen Vater mit zwei weiteren italienischen und lateinamerikanischen Musikaufnahmen eine kleine Freude bereiten. Mercedes Sosa verkörpert die „Stimme Lateinamerikas“, ist nicht zuletzt dank ihrer Interpretation von Violeta Parra’s Hymne an das Leben „Gracias a la vida“ weltberühmt und sang die „Misa criolla“ von Ariel Ramírez ein. Als UNICEF-Botschafterin für Lateinamerika setzte sie sich Zeit ihres Lebens vehement für Menschenrechte ein. Nach ihr ist der Asterioid Nummer 27147 benannt.
Im Juli 2021 erfuhr ich zufällig von einer Rom-Reise, die mit einer organisierten, nächtlichen Führung durch die Vatikanischen Museen und die Sixtinische Kapelle verbunden war und, je nachdem, wenn es die Gegebenheiten zulassen würden, den Besuch einer Papstaudienz beinhaltete. Ich erkundigte ich mich umgehend in Rom, ob es möglich wäre, Zutritt zu einer Audienz im entsprechenden Zeitraum der Reise zu erhalten. Nachdem ich vom Pilgerzentrum im Vatikan überraschenderweise sehr schnell eine positive Antwort erhielt, buchte ich augenblicklich diese Reise.
Wie vereinbart, wurden dann in Rom die Zutrittskarten zur Generalaudienz am Vortag im Pilgerzentrum abgeholt. Da meiner Begleitung leider am Vorabend ein Missgeschick widerfahren war, musste ich allein zum Petersdom, weil ich nach dieser monatelangen Vorbereitung diese Gelegenheit in keinem Fall verpassen wollte. Man hatte mir gesagt, es würde genügen, sich um 7:30 Uhr früh unter den Kolonnaden des Petersdoms einzufinden, was theoretisch auch genügt hätte. Da ich aber sicher sein wollte, begab ich mich bereits um kurz nach 5:00 Uhr morgens zum Petersdom. Obwohl es noch stockdunkel war, wartete bereits eine Schlange von ca. einhundert Personen vor den noch geschlossenen Schaltern. Erfreulicherweise war es trocken und nicht zu kalt. Minütlich verlängerte sich die Schlange unaufhörlich weiter, bis gegen 7:30 Uhr langsam die Kontrollstellen unter den Kolonnaden geöffnet wurden, und Bewegung in die Sache kam. Nach den obligaten Kontrollen einschließlich des Impfstatus wurde man von der Schweizer Garde zu verschiedenen Einlassstellen an der Aula Paulo VI geleitet. Da man mir falsche Tickets gegeben hatte, und meine angemeldete Begleitung fehlte, wurde ich zunächst in den hinteren Teil der Aula geleitet, der schon gut gefüllt war. Meiner mehrfachen Bitte, doch eventuell etwas weiter vorne Platz nehmen zu dürfen, wurde kurz vor Beginn der Audienz freundlicherweise entsprochen, und so saß ich direkt an der Absperrung zu dem Gang, den der Heilige Vater normalerweise benutzt, um die Aula wieder zu verlassen. An diesem 1. Dezember 2021 war die Aula zu meinem Glück nicht übermäßig voll, sonst hätte man auf meinen Sonderwunsch in keiner Weise Rücksicht nehmen können. In aller Ruhe konnte ich jetzt aus nächster Nähe beobachten, wie professionell, diszipliniert und geordnet die unzähligen Angestellten den riesigen Fluss der Gläubigen regulierten und den Auftritt des Heiligen Vaters vorbereiteten. Gegen 9:00 Uhr wuchs die Spannung im Saal merklich. Eine Gruppe junger Musiker, links oben auf der Bühne angeordnet, spielte und sang stimmungsvolle, lateinamerikanische Balladen.
Foto: Andrea Matzker
Plötzlich öffnete sich die Türe links auf der Bühne, und nach ein paar Sekunden betrat Papst Franziskus unter jubelndem Beifall der Pilger die Aula. Er begrüßte zunächst die Musiker und ging anschließend zu seinem Thronsessel in der Mitte der Bühne. Nach der liturgischen Begrüßung und seinem Segen für alle nahm er Platz. Seine Katechese war an diesem Tag einer weiteren Reflexion über den Heiligen Joseph gewidmet. Damit sprach er besonders die Verlobten und Neuvermählten an, die bei der Generalaudienz auch immer in einem besonderen Bereich, separat von allen anderen und in der Nähe des Heiligen Vaters weilen dürfen. Trotz andauerndem, lautem Babygeschrei aus dem Publikum gab Papst Franziskus zur Freude der Gläubigen in aller Ruhe äußerst praktische und lebensnahe Tipps für ein glückliches Eheleben, in dem, zumal vom Übergang der ersten Verliebtheit bis zur reifen Liebe, schon einmal häufiger die „Teller fliegen“ würden: „Geht nicht zu Bett, bevor ihr nicht Frieden geschlossen habt!“ „Und wenn ihr nicht wisst, wie“, fährt er fort und macht es an sich selbst zweimal vor, „tätschelt euch liebevoll die Wange!“ Anschließend begrüßte er speziell englische, deutsche, spanische, arabische und polnische Gruppen und erinnerte daran, dass wir die alten Menschen unter uns nicht allein lassen und uns um sie kümmern sollen. Den finalen Segen erteilte er, nachdem er darum gebeten hatte, für ihn zu beten und Beistand zu erbitten für die Vorhaben der Reise am Folgetag nach Zypern und Griechenland. Damit war nach circa einer Stunde die offizielle Audienz beendet und er begrüßte persönlich die vielen Gläubigen, zunächst auf der Bühne, die zu seinen Ehren gekommen waren, zu den Klängen des berühmten Libertango „Esta cara me es conocida“ von Astor Piazzolla, eindrucksvoll dargeboten mit Bandoneon und Gesang.
Foto: Andrea Matzker
Tatsächlich dauerte es noch eine weitere, ganze Stunde, bis er sich, begleitet von sicherlich acht Männern im schwarzen Anzug, langsam in meine Gegend vorgearbeitet hatte. Die Befürchtung, dass er an mir vorbeigehen könnte, trat nicht ein. Ich traute meinen Augen kaum: Er kam tatsächlich auf mich zu und reichte mir freundlichst die Hand. Ich hatte vor lauter Freude Tränen in den Augen. Auf Italienisch erzählte ich ihm von der Musik und den Aufnahmen, was ihn scheinbar sehr interessierte, und er antwortete mir zwischendurch überraschend, weil völlig spontan, zweimal in perfektem Deutsch und strahlte mich an! Als wir über die Liebe zur Musik und über die Freude am Singen sprachen, sagte er nur, er habe leider ein bisschen Probleme mit dem Gehör. Am Ende bat er mich, für ihn zu beten. Trotz des allgemeinen Autogramm- und Selfie-Verbotes traute ich mich, ihn anschließend zu fragen, ob ich eine gemeinsame Portraitaufnahme mit ihm machen dürfe, was er sofort bejahte und bereitwillig machte. Danach verabschiedete er sich von mir und wandelte, umringt von seinen Begleitern, weiter an der Absperrung entlang in Richtung Ausgang der Aula. Dort wartete ich aus der Entfernung, bis auch der Heilige Vater die Aula verlassen hatte und nach vielen weiteren Verabschiedungen, freundlich lächelnd und winkend in den Fond eines unauffälligen, kleinen Autos einstieg und verschwand.
Mein ursprünglicher Eindruck aus der Ferne, ohne ihn jemals leibhaftig gesehen zu haben, war sogar noch um ein Vielfaches durch die Realität übertroffen worden und wird mir unvergesslich bleiben. Die unendlich humane Ausstrahlung, die unglaubliche Sympathie und die faszinierende Kraft dieser so überraschend nahbaren, hellwachen, lebhaften, humorvollen und herzlichen Persönlichkeit begeistern umso mehr in Anbetracht seines immerhin fortgeschrittenen Alters, seiner nicht zu übersehenden Gehschwierigkeiten und, vor allem, seines unfassbar großen Mammut-Pensums, das er alltäglich im Dienst seiner Sache leistet. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass er der Einzige von den vielen tausend Menschen in und vor der Aula war, der keine Maske trug, sich trotzdem vertrauensvoll mit jedem Einzelnen aus der Nähe unterhielt, uns die bloße Hand reichte und somit uns allen ein uneingeschränktes Vertrauen entgegenbrachte und bringt.
Epilog: Während der Wartezeit vor der eigentlichen Audienz hatte ich ja noch Zeit genug und informierte mich darüber, ob und wo man eventuell, falls man überhaupt abgelichtet worden wäre, Fotos von der Audienz zum ausschließlich privaten Gebrauch erstehen könne. Ich bekam die Anschrift eines Fotolabors und erfuhr, dass theoretisch schon am gleichen Tag der Audienz ab 17:00 Uhr die Fotos einsehbar seien, und man sich Fotos aussuchen und bestellen könne. Als ich dann daraufhin zur gegebenen Zeit in dem Fotolabor anrief, hieß es, dass die Apparaturen ausnahmsweise leider nicht funktionierten, und man die Fotos von der heutigen Audienz erst frühestens gegen Abend einsehen könne. Ich rief immer wieder an, aber leider klappte es nicht mehr bis zum Geschäftsschluss. Da ich am nächsten Tag zurück nach Deutschland fliegen musste, und ich mich nicht darauf verlassen konnte, dass man aus tausenden von Fotos dasjenige von mir mit dem Heiligen Vater, falls es überhaupt existieren würde, heraussuchen könnte und es mir dann mit einem womöglich inkompatiblen und umständlichen Übertragungsprogramm übermitteln würde, begab ich mich vormittags bei strömendem Regen und heftigem Gewitter persönlich in das Fotolabor, wo man aber leider weiterhin Schwierigkeiten mit der Entwicklung der Bilder vom Vortag hatte. Insgesamt musste ich drei Stunden warten, dafür wurde ich aber auch mit einer unerwarteten Überraschung belohnt, denn die offiziellen Fotografen des Vatikans hatten tatsächlich mehrere Aufnahmen von dem Gespräch des Heiligen Vaters mit mir gemacht, die mir dann, nach weiterem Warten, selbstverständlich gegen Bezahlung, mühsam herausgesucht und auf ein Speichermedium zum direkten Mitnehmen überspielt wurden. So konnte ich mich schließlich überglücklich auf den Weg zum Flughafen machen.
Dr. Egon Schlesinger