Ein Besuch im Quirinalspalast von Rom am 29.11.2024
Von Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger
Loewen von Davide Rivalta im Innenhof des Palastes. Foto: Andrea Matzker
Der ehemalige, seit 1583 errichtete Papst- und Königspalast auf dem Quirinalshügel dient heute dem italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella als offizieller Amtssitz in der Hauptstadt. Er ist mit insgesamt rund 1200 Räumen auf knapp 111.000 Quadratmetern einer der größten Amtssitze eines Staatsoberhauptes weltweit. Der Staatspräsident selbst hat in der Palazzina del Fuga (nach dem florentinischen Architekten Ferdinando Fuga, der diesen Teil 1732 baute) sogar nur eine relativ kleine Privatwohnung zur Verfügung, ansonsten konzentriert sich das Präsidialamt auf einen Teil des sogenannten „langen Ärmels“ (eines der langen Seitenflügel) des Palastes, und das Hauptgebäude wird nur bei besonderem Bedarf genutzt. Auf Anordnung des aktuellen Präsidenten darf der Quirinalspalast erst seit 2015 interessierten Besuchern mit Führungen durch das Hauptgebäude, die Gärten und das Kutschenmuseum geöffnet werden.
Für den Schutz des Staatspräsidenten und seiner Residenzen ist das Corazzieri-Regiment der Carabinieri verantwortlich, eine Garde von durchweg jungen Herren, die alle über eine hervorragende Abstammung, einen lupenreinen Leumund, allerbeste Ausbildung und eine Mindestgröße von 1,90 Metern verfügen. Die meisten von ihnen sind allerdings größer als 2 m (und widersprechen damit der vorherrschenden Meinung nordeuropäischer Länder, dass Italiener meistens „klein“ seien). Metonymisch spricht man in Presseberichten oft nur von Il Quirinale oder Il Colle (beide sind Bezeichnungen für den Hügel), wenn das Amt des Staatspräsidenten gemeint ist. Auf dem Turm des Altbaus wehen die Flagge Italiens sowie in der Regel die Europaflagge und die Standarte des Staatspräsidenten. Letztere wird eingeholt, wenn sich der Präsident nicht in Rom aufhält. Im Turm selbst ist ein Esszimmer, das einen weiten Blick über die Dächer der Stadt erlaubt. Wenige Meter nördlich des Turms und des Altbaus liegt ein Hubschrauberlandeplatz.
Der Arbeitsplatz des Präsidenten.
Der amtierende italienische Staatspräsident ist bekannt für seine eigene außerordentlich dramatische Lebensgeschichte, seine uneingeschränkte Seriosität, seine persönliche Zuverlässigkeit, sein großes Verantwortungsgefühl, seine Integrität und die unbedingte Beliebtheit, die ihm sein Volk entgegenbringt. Auch seine politischen Kollegen schätzen ihn sehr. Dass er außerdem über ein tiefes Kunstverständnis und einen unbeirrbar guten und interessanten Geschmack in dieser Hinsicht verfügt, dürfte hingegen nur den Personen offenbar geworden sein, die direkt mit ihm zu tun haben. Allein ihm ist es zu verdanken, dass der herrliche Quirinalspalast, der an sich schon ein riesiges, kostbares Museum darstellt, nun auch noch zu einem Tempel der modernen italienischen Kunst und des Designs geworden ist. Ausstellungen zu diesen Themen gibt es zuhauf, auch ist es keine Kunst, sie sich von hochdotierten Kunsthistorikern einrichten zu lassen, aber nicht in diesem Kontext.
Denn über 100 Gemälde moderner italienischer Meister und ebenso über 100 Skulpturen oder Objekte zeitgenössischer italienischer Künstler sind mit ausgesprochen selten zu findendem Mut und Geschmack den unschätzbaren Kunstwerken und Räumlichkeiten des Palastes gegenübergestellt worden und bilden dadurch ein höchst anregendes Ambiente, das umso mehr zum Denken und Studieren der italienischen Kunst über die Jahrhunderte hindurch bis heute Anlass gibt. Abgesehen davon, dass der Präsident auch sichtlich stolz auf die moderne Kunst Italiens ist, bestätigt er mit der Aufnahme dieser Werke in den Regierungspalast, dass er voll hinter den Statements der diversen modernen italienischen Künstler steht.
Disco in forma di rosa del deserto von Arnaldo Pomodoro im Innenhof. Foto: Andrea Matzker
Es mögen nur einige wenige der Kunstwerke benannt werden. Durchquert man das Eingangsportal zum Quirinalspalast, so kommen einem gleich von links im Säulengang zwei lebensgroße schwarze Bronzelöwen entgegen, die vom 50 Jahre alten Künstler Davide Rivalta im Jahr 2018 geschaffen wurden. Seine Tierinstallationen sind weltberühmt, und kaum einem anderen gelingt es so gut, Energie, Kraft und Andersartigkeit seiner jeweiligen Tierbronzen auszudrücken. Gleich ein paar Meter weiter, im Innenhof des Quirinalspalastes, steht die „Scheibe in Form einer Sandrose (Disco in forma di rosa del deserto)“ des 98-jährigen Künstlers Arnaldo Pomodoro, die aus dem Zeitraum von 1993 bis 1994 stammt. Die mineralischen Formen und Kristalle in der afrikanischen Wüste haben den Künstler zu diesem Werk inspiriert. Mit dem technischen Verfahren der Bronzebehandlung rekonstruiert er den natürlichen Prozess der Kristallisation.
Der Schreibtisch im Präsentationsbüro des Präsidenten wird von einem absoluten Klassiker der Leuchtmittel geschmückt: „Atollo“ als Modell aus silbernem Metall aus dem Jahre 1977 von Vico Magistretti. Die Kombination aus Zylinder, Kegel und Halbkugel bildet die perfekte Balance zwischen minimalistischem Design und dekorativem Fluidum. Doch nicht genug damit: Auf einem Tisch an der Wand steht ihr Pendant aus Marmor, nämlich die Tischlampe „Biagio“ von Afra und Tobia Scarpa aus dem Jahre 1968. Der 89-jährige Architekt und Designer ist bekannt für seine Leuchten. Seine Werke sind in großen Museen ausgestellt und auf Design-Ausstellungen zu sehen. Seine Ehefrau Afra arbeitete seit den sechziger Jahren bis zu ihrem Tod im Jahre 2011 mit ihm zusammen.
Fazzoletto trikolore aus dem Jahr 1948 von Paolo Venini. Foto: Andrea Matzker
Wer kennt sie nicht, die berühmte Vase von Fulvio Bianconi und Paolo Venini mit dem Titel „Dreifarbiges Taschentuch (Fazzoletto trikolore)“ aus dem Jahre 1948? Sie gilt als Inbegriff der venezianischen Glaskunst und taucht beim Rundgang ganz nebenbei mal eben auf einer der originalen Spiegelkonsolen im Palast auf. Von keinem einzigen Exemplar auf der ganzen Welt gibt es eine Kopie, jede Vase ist einzigartig. Venini galt jahrelang als führendes Designunternehmen der Glasfirmen von Murano. Die Farben Grasgrün, Kristall und Rot sind zugleich die italienischen Nationalfarben und sprechen daher für sich.
Grande Cardinale seduto 1983 von Giacomo Manzu in der Cappella Paolina. Foto: Andrea Matzker
Ein weiteres Beispiel sei noch erwähnt: Beim Eintritt in die Cappella Paolina des Palastes befindet sich gleich zu Linken der „Große sitzende Kardinal (Grande Cardinale seduto)“ aus vergoldetem Kiefernholz mit einer Höhe von 2,05 Metern aus dem Jahre 1983 von Giacomo Manzù. Der Widerstandskämpfer und spätere Kommunist schuf bedeutende Werke aus Bronze in der ganzen Welt, darunter auch das linke Fassadenportal des Petersdoms in Rom, die „Porta della morte (die Tür des Todes)“. Dies sind nur einige Beispiele der Kunstwerke, die sich über den gesamten Palast und die Gärten verteilen, wozu auch viele Möbel, wie zum Beispiel von Ettore Sottsass oder Edra, und Installationen gehören.
Es gibt aber auch hübsche kleine Anekdoten über einige Zusammenhänge, die man nicht sofort von selbst erahnt, wie zum Beispiel eine kleine geschmückte Nische rechts in der Cappella Paulina, in der sich der damals hier amtierender Papst zur Heiligen Messe verstecken und der Messe beiwohnen konnte, ohne von den anderen Anwesenden gesehen zu werden. Oder ein anderes On-dit: Im Musikzimmer des Palastes mit herrlichem Ausblick bis zum Petersdom gibt es ein Gemälde von „Caesar, während er seine Kommentare diktiert“, von Pelagio Palagi. Sein Antlitz soll das des leibhaftigen Napoleons sein, der damals vorhatte, hier einzuziehen, und daher viele Räumlichkeiten, auch für seine Frau, dazu hatte vorbereiten lassen.
Caesar mit den Zügen Napoleons: Foto: Andrea Matzker
Andrea Matzker und Dr. Egon Schlesinger