ROGER DOYLE: HERESY – eine klanglich coole elektronische Oper über das Leben und Sterben des Renaissancegenies Giordano Bruno – Heresy Records 2 CDs
Die Zukunft der Oper 4.0? Warum nicht?
Die Geschichte dieser insgesamt spannenden und akustisch unkonventionellen, nichtsdestotrotz wohl gelungenen neuen Oper könnte banaler nicht sein: Opern- und Theaterregisseur Eric Fraad schlug dem irischen Pionier für elektronische Musik und Filmkomponisten Roger Doyle eine Oper mit dem Namen des von ihm geleiteten Labels Heresy vor und schickte ihm gleich eine Liste einiger mythisch-heroischer Häretiker mit. Die Assoziation mit James Joyce’s Finnegans Wake und den 400 Referenzen auf Giordano Bruno taten das Ihrige, und schon stand dieser faszinierende Universalist des 16. Jahrhunderts im Zentrum dieses innovativ-psychedelischen elektronischen Musiktheaters.
Was für eine schillernde Renaissancefigur dieser Giordano Bruno war: Dominikaner, häretischer Priester, visionärer Philosoph, Spion und Stückeschreiber, der schlussendlich nach einem neunjährigen Prozess vor der römischen Inquisition im Jahr 1600 als Märtyrer auf dem Scheiterhaufen (Campo dei Fiori) landete. Und das, weil der streitbare „Mann der freien Rede“ naturwissenschaftliche Erkenntnisse ahnte, die heute Allgemeingut sind: ein Kosmos ohne Zentrum, unendliche Galaxien, möglicherweise andere Planeten mit Lebewesen. Als Seher multipler Realitäten kann er gar als Wegbereiter der Quantentheorie gelten. Er leugnete zudem etliche Dogmen der katholischen Kirche, wie die Dreifaltigkeit oder die Wandlung von Brot und Wein.
Die szenische Uraufführung von Doyles Opernerstling „Heresy“ fand im November 2016 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Dubliner Project Arts Centre statt. Die Oper basiert auf einem Libretto von Jocelyn Clarke und Eric Fraad und ist für fünf hohe Stimmen geschrieben. Auf der im Vergleich zur Aufführung um einige Nummern erweiterten CD hören wir den 14-jährigen Sopranisten Robert Crowe, die junge Aimee Banks, die Soprane Caitríona O’Leary (mit Eric Fraad verheiratet) und Daire Halpin. Ein weiterer Tenor, Morgan Crowley , singt u.a. die Titelpartie.
In der Oper finden sich verschiedene historische Konnotationen, wie etwa die Szene, wo Giordano Bruno König Heinrich III von Frankreich sein System des magischen Gedächtnisses lehrt oder Episoden am Hofe der Königin Elisabeth I, für die der vielseitig Begabte gegen Frankreich und Spanien spioniert haben soll. Der Hörer lernt seine beiden weiblichen Idole Circe und Sophie kennen, geboren aus der eigenen literarischen Fantasie und kann den Prozess, geleitet von Cardinal Robert Bellarmine, mitverfolgen. In der Nacht vor seinem Tod erhält Giordano Bruno Besuch von sich selbst als kleinen Jungen, James Joyce, Circe und Sophie dürfen auch auftreten. Die Oper schließt mit einer kosmischen Apotheose.
Die elektronische Partitur, 90% davon ist auf Band aufgezeichnet, greift Quellen der Alten Musik auf und lässt sie in die Logik fließender, vielfach monodischer Gesänge münden. Live kommen Schlagzeuger hinzu. Die oszillierenden, ständig sich ändernden polystilistischen Klangflächen, seien es beat based oder hard based electronic, haben eine starke, fast hypnotische Wirkung, unterscheiden sich aber grundlegend von den Meistern des Minimalismus. Nicht repetitive Rhythmen prägen den Eindruck, sondern das Spiel mit Technologien, die trefflich die Handlung forcieren und fortentwickeln.
Ein wichtiges Motiv für Roger Doyle, eine Oper zu schreiben, lag auch in der beabsichtigen Beweisführung, dass Oper nicht teuer und elitär sein muss, ebenso das Hervorkehren der Gleichwertigkeit von Musik mit den Erfahrungen auf der Bühne.
Fazit: Experiment geglückt, man kann nur hoffen, dass Roger Doyles Bühnenwerk in vielen Technotempeln dieser Welt aufgeführt und somit ein neues Momentum für Oper abseits konventioneller Traditionen samt Schwellenangst kreiert. Ist das etwa die Oper 4.0?
Dr. Ingobert Waltenberger