ROBERT SCHUMANN: FANTASIE in C-Dur, Op. 17, KREISLERIANA Op. 16 – Jean-Philippe COLLARD– La Dolce Volta CD
In den Fußstapfen von Vladimir Horowitz, reife künstlerische Ernte
„Zuweilen geschieht Seltsames im Herzen des Menschen: So mischen sich darin Freud und Leid in einem sonderbaren Durcheinander.“ Robert Schumann
Der große französische Pianist Jean-Philippe Collard widmet sich in seinem zweiten Album für das Label la dolce volta zwei Meilensteinen frühromantischer Meisterschaft: Der Fantasie in C-Dur, Op. 17 und dem Zyklus Kreisleriana Op. 16. In beiden Werken geht es um das Geheimnis freier, autobiographisch motivierter Kunst und bei Collard wohl auch seinem Vorbild Horowitz gleich um das Wunder hochindividueller, einer innerer Logik und Wahrheit folgender Interpretation. Collard findet zu Schumanns Klangwelten leidenschaftliche Töne, und ebenso beeindruckende Worte: „Nicht nur von den Mysterien der Nacht und von der Beklommenheit der im Dunkeln kauernden Wälder gezeichnet, beschwört Schumann eine Welt der schwer zu entziffernden Anspielungen (Täuschungen?), Masken, Metaphern und literarischen Reminiszenzen herauf. Eusebius‘ Melancholie steht in ständigem Gegensatz zu Florestans Enthusiasmus. Schumanns spinnenartige Handschrift nacht den rätselhaften Charakter seiner Kunst noch undurchschaubarer, zumal die rhythmische Struktur ein Gefühl der Unsicherheit oder gar der Instabilität schafft. Jenen, die den hitzigen Diskurs nicht beherrschen und sich von den Empfindungen des Augenblicks überwältigen lassen, droht Trance oder Tollheit.“
Die dreisätzige Fantasie war eigentlich Schumanns Beitrag zu Liszts Projekt für die Errichtung des Beethoven Denkmals in Bonn anlässlich dessen zehnten Todestages. Ist es die Klage um die ferne Geliebte Clara, die Schumann auf Geheiß von Friedrich Wieck ein Jahr nicht sehen darf, oder eine Hommage an Beethovens Sonate Op. 111, die „ebenfalls in den tiefen Lagen des Klaviers mit einer sanften Hymne an die Nacht schließt“, Collard schöpft in seiner ganz persönlichen Art in diesem sehnsüchtigen um sich selbst Kreisen, diesem halluzinierten Strudel, er befasst sich vorwiegend mit dieser tiefen Klage, die das Fassbare übersteigt. Collard bewahrt dabei jedoch immer die Bodenhaftung, der natürliche Rahmen des Instruments wird nie gesprengt noch dynamisch extrem aufgeheizt. Es sind die leisen Zwischentöne, das Spiel mit Klangnuancen, die so ganz ihm eigenen Rubati, die bezaubern und verführen.
Bei der literarisch durch E.T.A Hoffmanns Erzählung über den wunderlichen Kapellmeister Johannes Kreisler inspirierten Kreisleriana („Lebensansichten des Katers Murr“) ist alles Widersprüchliche des romantischen Genies, seine Manien und Abgründe, das Rausch- und Borderlinehafte seiner Existenz zu Ton geworden. Als märchenhafte Exzentrik könnte hier der Stil Collards beschrieben werden. Abrupte Stimmungswechsel brechen in das kontinuierlich Erzählerische, wie eine dünne Eisdecke rasch dem im Krater der Seele kochenden Untergrund nachgibt. Mein Lieblingstrack: der „sehr rasche“ koboldhafte siebente Satz. Zuletzt noch eine Hoffmannsche Pirouette à la Collard: „Der Gnom wie später Scarbo in Ravels Gaspard de la Nuit entflieht, aber verschwindet nicht völlig.“
Dr. Ingobert Waltenberger