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RIO DE JANEIRO: BERICHT ÜBER DAS DÉFILÉ DER GRUPO ESPECIAL BEIM KARNEVAL 2013

13.02.2013 | KRITIKEN, REISE und KULTUR

RIO DE JANEIRO: Bericht über das Défilé der Grupo Especial beim Karneval von Rio 10.-12. Februar 2013


Die  Marketing-Direktoren in der Loge der Unidos da Tijuca und Dr. Klaus Billand

Die große Schlacht der Giganten des Karnevals von Rio de Janeiro ist geschlagen! Am 12. Februar gegen 6 Uhr früh endete das Défilé der 12 Sambaschulen der Grupo Especial im hell erleuchteten Sambodrom zu beiden Seiten der Avenida Marquês de Sapucaí, 570 Meter lang. Auch die letzte Schule, Vila Isabel, konnte sich der begeisterten Zustimmung ihrer Anhänger im selbst um diese Zeit immer noch fast vollen Stadion erfreuen, das zuvor über 70.000 Fans bei 32 Grad Celsius zu Beginn mit Fächern, viel cerveja (Bier), Mineralwasser und den farbigen Plastikfähnchen der Schulen bevölkert hatten. Es lohnte sich: Vila Isabel zeigte ein fantasievolles Bild des Lebens der einfachen Menschen auf
dem Land in Brasilien – alles klappte perfekt, und sie ist nun unter den Titelanwärterinnen.


Unidos da Tijuca. Foto: Mauro Samagaio

Anders als der deutsche und der österreichische Karneval, der sich vor allem mit gesellschaftlicher und politischer Satire zu den relevanten und
kontroversiellen Themen des zurück liegenden Jahres befasst, stellt der Karneval von Rio auf Themen umfassender historischer, gesellschaftlicher, kultureller, geografischer und ähnlich gearteter Dimensionen ab. Er legt das Schwergewicht auf archetypische Topoi, von wenigen Ausnahmen abgesehen, von denen es diesmal eine gab. Dabei verwenden die carnevalescos, das sind die – oft sehr hoch bezahlten – Regisseure des Karnevals, zur Visualisierung ein großes Spektrum an Metaphorik, Symbolik, Poesie und Allegorik.

So gab es diesmal thematische Umzüge zu der im Zentrum Brasiliens liegenden Stadt Cuiabá (Mangueira) und des im amazonischen Norden gelegenen Bundesstaates Pará (Imperatriz Leopoldinense), einen zur Bedeutung der fama (des Ruhmes) großer Künstler, Schauspieler etc. (Salgueiro) und einen zu den vielen brasilianischen telenovelas (Seifenopern) der letzten Jahre (São Clemente). Eine Schule würdigte den berühmten Musiker und Poeten Vinicius de Moraes zu seinem 100. Geburtstag mit vielen Bezügen zu Afrika (União da Ilha). Eine andere wiederum ließ die vier großen Rock-Konzerte Brasiliens vorbeiziehen (Mocidade).
Eine sehr traditionsreiche Schule huldigte ihrem Stadtviertel Madureira (Portela) und eine weitere nahm sich das Pferd und seine Geschichte als Helfer des Menschen zum Thema (Beija-Flor). Zwei Schulen schauten über die nationalen und ideellen Grenzen hinaus und machten ihr Défilé über andere Länder, i.e. Südkorea (Innocentes de Belford Roxo, der Aufsteiger von 2012) und die Unidos da Tijuca, die sich angesichts des Deutschen Jahres in Brasilien auf das Thema Deutschland konzentrierten. Und die große Ausnahme eines gar tagespolitisch konkreten und durchaus polemischen Sujets machte die Schule Grande Rio mit dem Thema des „schwarzen Goldes“, der großen Ölvorkommen des Staates Rio de Janeiro und wie sie zu nutzen seien und wie man mit den Einnahmen verfahren solle…

Einmal mehr hat dieser Karneval in Rio gezeigt, dass es dem großen Publikum doch eher auf gute und vielleicht auch nicht allzu schwer verdauliche Unterhaltung ankommt, bei der der Samba, der gute und am besten mitreißende Rhythmus sowie die Opulenz der Optik die wesentlichen Rollen spielen. So gewann die ohnehin sehr populäre Mangueira bereits die standarte de ouro (Goldstandarte), eine Art Publikumspreis, mit einem guten Samba bei verdoppelter Kapelle (etwa 500 Musikanten!) und einem leicht bekömmlichen und verständlichen
Thema. Dass die maximale Zeit von 80 Minuten um sechs überschritten wurde und der Titel deshalb kaum erreichbar ist, spielte dabei keine Rolle. Auch Beija-Flor konnte mit der Geschichte des Pferdes und gutem Samba das Sapucaí schnell vereinnahmen und ist sicher titelverdächtig. Hingegen liegt die mit ihrem intelligenten und facettenreich thematisierten sowie optisch anspruchsvollen Défilé zum Thema Öl beeindruckende Schule Grande Rio in den ersten Einschätzungen weit hinten. Das würden wir Europäer wohl ganz anders sehen – nimmt Grande Rio doch damit sogar das Thema des neuen „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth 2013 durch Frank Castorf vorweg!


Deutsches Jahr beim Karneval: Der Donnergott Thor. Foto: Mauro Samagaio.


Im „Deutschen Jahr“ durfte auch ein VW nicht fehlen. Foto: Mauro Samagaio

Aber auch die Unidos da Tijuca sah sich am Ende veranlasst, das aufgrund des Deutschen Jahres und des 200. Geburtstages von Richard Wagner 2013 vorgeschlagene Konzept des Autors einer metaphorischen Darstellung Deutschlands vom Urmythos des Rheins über die Technologisierung seiner Wirtschaft nach dem Krieg bis zum modernen Berlin von heute anhand von Wagners „Ring des Nibelungen“
in einen volkstümlicheren Ansatz abzuwandeln. Ausgangspunkt des Regiekonzepts des derzeit wohl renommiertesten carnevalescos von Rio, Paulo Barros, war schließlich der Donnergott Thor, Sohn Odins bzw. Wotans, der seinen Blitz auf das Sambodrom sendet und ein unglaubliches Spektakel zu dem entfacht, was landläufig mit Deutschland assoziiert wird: Fabelwesen, u.a. aus den Märchen der Gebrüder Grimm, der Mann im Mond, der deutsche Wald, der auch in Brasilien Jahrzehnte sehr beliebte fusca (VW Käfer), aber auch ein Playmobil mit Wasserrutsche und Drachen. Und am Ende prangt ein gigantischer Bierwagen mit über 60 schäumenden Biertulpen, auf jeder ein Sambista…. Das kam beim Publikum an, die visuelle Opulenz, der zur Schau gestellte Ideenreichtum, sowie die ständigen kreativen Wechsel der Bilder waren wohl das Beste, was in diesen beiden Nächten zu erleben war. Immerhin wurden die nordischen Götter thematisiert – ich konnte dazu einen Aufsatz im Programmheft schreiben – und auch Wagner war mit dem imposant schaukelnden und gespenstisch verwirkten Schiff  des „Fliegenden Holländer“ und einer Gruppe von Walküren gut sichtbar  vertreten.


Holländerschiff” beim Karneval in Rio. Foto: Klaus Billand

Am Ende war es aber eben doch eine eher volkstümliche Annäherung an Deutschland mit allgemein leichter zu verstehender Thematisierung und entsprechenden Visualisierung, mit der das Publikum ganz offenbar immer noch am besten zu erreichen ist. Bei der Endfassung des Konzepts der Unidos da Tijuca mag auch die Schwierigkeit, in ausreichendem Maße Sponsorenmittel aufzutreiben, zumal bei der deutschen Industrie in Brasilien, eine Rolle gespielt haben. Das war dieser Tage auch in den Zeitungen in Rio zu lesen: Die Schulen richten ihre enredos (Drehbücher) immer mehr auch nach der Möglichkeit aus, entsprechende Sponsorenmittel zu bekommen. Denn etwa die Hälfte eines über vier €4 Millionen kostenden Umzugs sind auf diese Weise zu finanzieren. Und fast alle Schule sind nach dem Karneval im besten Falle plus minus Null, einige haben signifikante Schulden. Im Falle von Südkorea und Deutschland konnten die beiden betreffenden Schulen jedoch keine öffentlichen Mittel bekommen. Die Unidos da Tijuca erhielt neben signifikanter Unterstützung des Goethe-Instituts, insbesondere durch  dessen Büro in Rio de Janeiro auch bei der Vorbereitung des Themas im Jahre 2012, schließlich einige Beiträge deutscher Firmen in Brasilien.

So wird es wohl weiterhin noch einige Zeit dauern, bis komplexer und auch etwas pointierter konzipierte Themen beim Grupo Especial des Karnevals von Rio, wie jenes der Grande Rio 2013 zum Öl und des zunächst bei der Unidos da Tijuca ins Auge gefassten auf größere Zustimmung und Erfolgschancen auf der Marquês de Sapucaí des Sambodroms stoßen. Vielleicht soll es aber auch nicht so sein, soll der
Karneval so populär, traditionsbewusst und leicht eingängig bleiben, wie er derzeit ist – es lebe „Orfeo Negro“. Vielleicht wollen die Cariocas (Bewohner von Rio) kein „Regietheater“ beim Karneval – viele europäische Opernfreunde würden sie verstehen. Eines steht jedoch fest: Der Karneval von Rio ist ein Fest der Schönheit und der Sinne, ein einzigartiges Konglomerat aus sinnlicher Ästhetik und optischer Fantasie, getrieben durch den unbändigen menschlichen Willen, im Wettbewerb mit dem denkbar Schönsten und Mitreißenden aus dem Zusammenfluss verschiedener Künste, der Musik, dem Tanz und den bildenden Künsten – durchaus im Sinne des Wagnerschen Gesamtkunstwerks – zu siegen.

Was dabei heraus kommt, sollte jeden angehenden europäischen Theater- und Opernregisseur, Bühnenbildner und Choreografen zu einem Besuch bewegen. Hier kann nicht nur er oder sie, sondern auch ein Kenner seiner Kunst noch etwas lernen…
(Fotos von den Défilés in der Bildergalerie)
Klaus Billand


Unidos da Tijuca. Foto: Mauro Samagaio

Unidos da Tijuca. Foto: Mauro Samagaio

 

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