Egon Klauser, Birgit Niethammer, Simon Rösch, Nico Deleu. Copyright: Kammertheater Riehen
Riehen (bei Basel): Kammertheater Riehen – Gilles Dyrek „Weihnachten auf dem Balkon“ – Schweizer Erstaufführung – Besuchte Vorstellung 24.11.2017
Was haben die Komödie Winterhuder Fährhaus Hamburg, die Komödie am Kurfürstendamm in Berlin, die Comödie Dresden und das Kammertheater Riehen gemeinsam? – Richtig, diese Häuser haben alle Gilles Dyreks neue Komödie „Weihnachten auf dem Balkon“ auf dem Spielplan. Das Stück wird heuer vielerorts gegeben und etabliert sich zum Geheimtipp der Komödien-Saison – und dies absolut zu recht!
Rechtzeitig zur Adventszeit reisst die turbulente Komödie die Zuschauer aus den durch die Werbung ausgelösten vorweihnachtlichen Kitschträumen heraus und zeigt, wie Weihnachten in der Realität war, ist oder sein könnte: Vermeintlich perfekt organisiert gerät das gemeinsame Fest mit seinen mehr oder weniger Lieben zum alljährlichen durch Konflikte, Missverständnisse, gefallene Truthähne und überheitere Weihnachtsmänner zum alljährlichen Chaos. Was lernen wir daraus? Harmonie funktioniert nur dann, wenn sie nicht organisiert ist. Darum ist vielleicht auch unser Alltag nicht immer soooo ereignisreich.
Mit witzigen Dialogen, liebevoll gezeichneten Figuren und einer wendungsreichen, flotten Handlung gelingt dem Stück ein Grossangriff auf die Lachmuskeln der Besucher. Zwei Balkone, zwei sechsköpfige Familien – das ist der Plot, den sechs Schauspieler zu bestreiten haben. Jeder Akteur schlüpft mal ein Mitglied der einen und dann wieder in eines der anderen Familien – eine schweisstreibende Aufgabe, verbunden mit ununterbrochenen Kostümwechseln im Tempo des Gehetzten.
Das kleine aber feine Kammertheater Riehen bringt mit seinem Ensemble „Weihnachten auf dem Balkon“ als Schweizer Erstaufführung in die Regio Basiliensis. Das Stück ist eine riesige Herausforderung an ein kleines Theater wie dieses, denn alleine schon das Bühnenbild mit den beiden Balkonen birgt die Gefahr in sich, die vorhandenen Ressourcen der kleinen Bühne überzustrapazieren. Das Team des Kammertheaters meistert diese Herkulesaufgabe jedoch meisterlich und gestaltet ein Bühnenbild mit zwei herzigen Balkons, wie man sie an Mehrfamilienhäusern in Städten eben sieht. Tiefe und Breite der Bühne werden optimal genutzt, es besteht viel Platz zum Spielen – hinter der Bühne dürfte es für die Kostümwechsel reichlich eng sein – davon merken die Zuschauer jedoch nichts, hinter den Kulissen läuft alles ruhig und wie am Schnürchen.
Simon Rösch, Olaf Creutzburg, Egon Klausur. Copyright: Kammertheater Riehen
Mit riesiger Spielfreude sind sämtliche Aufführenden zugange. Regisseur und Theaterleiter Simon Rösch, der selber noch als Hubert und Klein-Benny besonders putzig auf dem Dreirad unterwegs ist, sorgt für einen reibungslosen Ablauf auf der Bühne und verleiht jeder handelnden Person nicht nur optisch einen eigenen Charakter. Dabei darf er auf ein hervorragend agierendes Ensemble zählen: Olaf Creutzburg, den man auch aus verschiedenen Fernsehserien wie z. B. „Die Fallers“ kennt, überzeugt als der unter dem Pantoffel seiner – durchaus reizenden – Frau stehenden Patrick, der es allen recht machen möchte, dabei jedoch anrührend am Laufmeter scheitert. Auf dem anderen Balkon glänzt Olaf Creutzburg dann als Marjories „neuer“ Christophe, der beweist, dass Fleischer beruflich durchaus flexibel sind und Fleischplatten nicht ausschliesslich für Aufschnitt einsetzbar sind. Der in Belgien geborene Nico Deleu trifft mit seiner Darstellung des 16jährigen Gothic-Teenies Sebastien den Nagel auf den Kopf. So mit richtigem „Null-Bock-auf-gar-nichts“ bringt Delau die Gothic-Anti-Philosophien zum Besten – herrlich! Als Kontrast zum „abgelöschten“ Sebastian gibt Nico Deleu den draufgängerischen Nachbarn Bernard, der unverfroren Sebastiens Tante Eliane anflirtet. Als Etienne zeigt Egon Klauser seinem Bruder Patrick auf, was für ein Versager dieser sei. Dabei gerät er jedoch selber unter Druck, weil sein Sprössling Sebastien seine häufigen „geschäftlichen“ Telefonate durchschaut. Traditionsbewusst setzt der trinkfreudige Jacques sein Vorhaben, seine Lieben als Weihnachtsmann zu beglücken, gegen den Wunsch seiner Familie schlussendlich in der Wohnung seiner Nachbarn – dies auf Einladung von Patrick. Etienne und Jacques sind zwei Paraderollen für Egon Klauser, der im südbadischen Raum in vielen Schauspiel-, Operetten- und Musicalproduktionen zu erleben ist. Die entzückende Birgit Niethammer glänzt als Patricks Ehefrau Eliane, welche mit eiserner Hand die Weihnachtsfeierlichkeiten aufgleist und (vermeintlich) sämtliche Fäden in den Händen hält. Ihren Gegenpart zur energischen Eliane erhält Birgit Niethammer im frisch verliebten Backfisch Marjorie, welche erneut ihre grosse Liebe Christophe zum Familienfest mitbringt – allerdings ist es dieses Mal einmal mehr nicht derjenige Christophe vom vergangenen Jahr. Isolde Polzin, welche zusammen mit Simon Rösch die Leitung des Kammertheaters Riehen innehat, steht schon seit einiger Zeit auf der Bühne in Riehen. Zudem arbeitet sie an verschiedenen Bühnen im In- und Ausland, ist mit ihrer ausdrucksstarken Stimme als Synchronsprecherin sehr begehrt und blickt auf Engagements bei Regisseuren wie Fredi M. Murer oder Dani Levy zurück. Sie rauscht als energische Schwiegermutter, welche nicht nur ihrer Schwiegertochter Eliane die Hölle heiss macht, über den einen und als hochschwangere Anne-Cécile, welche sich einmal im Jahr den Wunsch erfüllt mit einem Weihnachtslied solistisch – wenn auch nur vor ihrer Familie – aufzutreten (Florence Foster-Jenkins lässt grüssen), über den anderen Balkon.
Wie schön können auch solche Weihnachten sein – wenn man sie als aussenstehender beobachten kann! Das Ensemble des Kammertheaters Riehen bietet mit riesiger Spielfreude einen herrlichen Theaterabend, den man sich nicht entgehen lassen darf. Sämtliche Rollen sind perfekt auf die DarstellerInnen zugeschnitten und mit grösster Sorgfalt erarbeitet. Jede Pointe sitzt, die unzähligen Kostümwechsel klappen tadellos – wir haben Tränen gelacht!
Dieser höchst vergnügliche Abend verdient vor allem eines: Volles Haus!
Michael Hug